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Römisches Irland: Das verschmähte Eiland

"Wiesen, so fett, dass die Kühe platzen": Römische Autoren machten einst Stimmung für eine Eroberung Irlands. Warum wagte sich Rom trotzdem nie an eine Invasion?

Wir schreiben das Jahr 43 n. Chr.: Die ganze antike Welt ist von Rom besetzt. Vom Mittelmeerraum bis zu den Britischen Inseln, von den Provinzen in Kleinasien bis nach Nordafrika erstreckt sich das gewaltige Imperium Romanum. Nur das heutige Schottland und vor allem die grüne Insel Irland gehören nicht dazu.

Treffender als mit dieser abgeänderten Einleitung aus der französischen Comicserie "Asterix" sind der Status und die Rolle Irlands zur Zeit des Römischen Reiches kaum zu charakterisieren. Wer Roms Geschichte mit seinen zahllosen Kriegs- und Eroberungszügen kennt, fragt sich unweigerlich, weshalb das heutige Schottland und vor allem Irland nicht zur römischen Provinz wurden, wo doch ihre geografische Lage diesen Schritt nahelegte. Das bestätigen auch die Schriftsteller Juvenal und Tacitus. Bei ihnen finden sich nicht nur Angaben zu römischen Militäraktionen in Irland, sondern auch zu einer detaillierten Planung einer Einnahme der Insel.

Warum also keine römischen Feldzeichen in Irland? "Tatsächlich war man in der Forschung bisher stets der Meinung, dass die Insel keineswegs im römischen Interessengebiet gelegen habe", erklärt Patrick Reinard. Der Althistoriker an der Philipps-Universität Marburg hat die Rolle Irlands in der römischen Geschichte ausführlich untersucht. "Eine römische Präsenz, vielleicht sogar eine militärische Invasion wurde immer ausgeschlossen."

Und das, obwohl uns römische Geschichte als ständige zielgerichtete Expansion erscheint: für "Senat und Volk von Rom", wie es als "S.P.Q.R." auf den Feldzeichen zu lesen war, das Kernland erweitern und sichern, den Barbaren die eigene überlegene Kultur bringen und die Ressourcen eroberter Gebiete für das Imperium nutzen. Die Romanisierung der damals bekannten Welt als Masterplan.

Was verhinderte die Invasion?

Doch dieser Eindruck täuscht, sagt Reinard. "Es gab nicht so etwas wie einen großen römischen Imperialismus, den man konkret über Generationen hinweg verfolgt hätte. Vielmehr waren es in jedem Einzelfall Entscheidungen, die politisch motiviert waren, die militärisch motiviert waren oder auch ökonomisch motiviert waren", erklärt der Forscher. Man schaute also nicht auf die Landkarte und fragte sich: Was erobern wir als Nächstes? Im Gegenteil: "Die Träger der politischen und militärischen Verantwortung überlegten sehr genau, ob Rom außerhalb der bestehenden Grenzen aktiv werden solle", sagt Reinard.

"Ich habe ihn oft sagen gehört, dass Irland mit einer einzigen Legion und ein paar Hilfstruppen eingenommen und beherrschen werden könnte"Tacitus, Agricola I/24

Das lässt sich am Beispiel Britanniens sehr gut zeigen: In den Jahren 55 und 54 v. Chr. unternimmt Cäsar zwei militärische Expeditionen dorthin. Er will sehen, was es mit den Informationen auf sich hat, welche Händler und Angehörige keltischer Stämme verbreiten, die auf dem europäischen Festland und den Inseln siedeln. "Als er diese Expeditionen durchführt, gibt es eine Diskussion in Rom über den politischen und wirtschaftlichen Sinn dieser Unternehmen", erzählt Reinard. "Und man kommt zu dem Ergebnis – so ist es aus den Briefen Ciceros ersichtlich –, dass es sich aus ökonomischen Gründen nicht lohne, sich dort stärker zu engagieren, und Britannien auch politisch oder militärisch-strategisch kaum von Bedeutung sei, denn von dort aus drohe Rom keine Gefahr."

Entsprechend nimmt auch Cäsars Nachfolger Augustus Abstand davon, Britannien zu besuchen. Zwar wird das Land in der Literatur immer wieder erwähnt, aber das geschieht zunächst ausschließlich unter "ferner liefen": eine Insel am Rand der damals bekannten Welt. Britannia – nein danke!

Claudius brauchte außenpolitische Erfolge

Doch das ändert sich im Jahr 43 n. Chr.: Plötzlich ist Britannien Teil der römischen Welt, erobert auf Befehl des Kaisers Claudius. "Auch da sind es keine politischen und ökonomischen Erwägungen, sondern es geht einfach darum, dass der Kaiser, um seine Herrschaft zu legitimieren, einen außenpolitischen Erfolg braucht", erläutert Reinard.

Invasionsbefürworter | Der römische Schriftsteller Tacitus, hier eine neuzeitliche Statue vor dem Parlamentsgebäude in Wien, machte Stimmung für eine Invasion Irlands – und wusste damit das Volk auf seiner Seite.

Mit einem Mal wird auch "Hibernia" häufiger erwähnt, wie die Insel bei den Römern heißt. Die zeitgenössischen Autoren beschreiben sie sehr detailliert in ihrer Geografie. Als Quelle dienten ihnen wohl Kaufleute, die zwischen Irland und Britannien verkehrten, oder auch ein zu den Römern geflohener Stammeskönig. "Schließlich verhielten sich die Römer an der irischen Seegrenze so wie an jeder anderen Grenze", führt Reinard aus: "Land und Leute wurden genau untersucht, mögliche ökonomische, militärische und politische Potenziale ebenso beobachtet und bewertet wie die geografische und nautische Situation."

So kannten die Römer die Topografie Irlands genau, wussten um die vielen Wiesen, deren Gras so fett sei, dass die Kühe platzen, wussten, wo die besten Anlegestellen zu finden sind und – was für uns heute noch faszinierend ist – dass es in Irland keine Schlangen gibt.

Die schon erwähnten Autoren Juvenal und Tacitus, die zeitgleich lebten, sind für die Sichtweise Roms auf Irland in den achtziger Jahren n. Chr. die wichtigsten Quellen. Sie machen in ihren Schriften nicht nur Andeutungen zu römischen Militäraktionen in Irland, um Stammeshändel im Sinne Roms zu klären: "Vielmehr berichtet Tacitus sogar, dass der römische Statthalter in Britannien genau weiß, welche Truppenstärke notwendig ist, um in Irland nicht nur einzufallen, sondern das Land auch politisch zu kontrollieren, es zur römischen Provinz zu machen", betont Reinard.

"Bewaffnet über die Küsten Irlands hinweg"

Dafür seien nach Tacitus' Meinung lediglich 8000 bis 10 000 Mann erforderlich. Eine Untertreibung, meint Reinard: "Man muss sich fragen, wie realistisch, wie authentisch eine solche Zahl ist, ob hier nicht einfach nur schöngeredet wurde. In Wirklichkeit ist die Truppenzahl, die für ein solches Unternehmen nötig gewesen wäre, erheblich höher zu bemessen."

Beide Autoren wussten, wovon sie redeten: Juvenal war mit großer Wahrscheinlichkeit selbst in Britannien stationiert gewesen und hatte wohl auch an Erkundungszügen in Irland teilgenommen. So berichtet er, dass sie "bewaffnet über die Küsten Irlands hinweggezogen" seien. Tacitus' Schwiegervater Gnaeus Julius Agricola war dagegen Statthalter in Britannien, das die Gebiete des heutigen England bis zum Hadrianswall, Cornwall und Wales umfasste.

Rationalist | Der römische Kaiser Domitian ließ sich genauso wenig wie seine Vorgänger von Eroberungslust anstecken – wo und wann eine Invasion lohnte, wurde genauestens kalkuliert. Die abgebildete Büste des Herrschers befindet sich in den Kapitolinischen Museen in Rom.

Nach Tacitus' Beschreibung musste es für Rom leicht und lohnend sein, Irland zur neuen Provinz zu machen, denn es lockte ein Gewinn, der höher war als die Kosten. Diese Gelegenheit nicht beim Schopf zu packen, so Tacitus, sei ein großer Fehler. "Dabei verschweigt er jedoch die wahren Beweggründe, weshalb das nicht geschieht", sagt Reinard. Denn die Römer besaßen auch subtilere und damit weniger riskante Mittel, um in einem für sie politisch-wirtschaftlich interessanten Gebiet entsprechenden Einfluss zu gewinnen: "Das ging auch, indem sie bestimmte Parteien unterstützten, mit ausgesuchten Stämmen Freundschafts-Klientelverbände eingingen und diesen monetär oder militärisch unter die Arme griffen, ohne direkt eine politische Herrschaft zu installieren."

Sträfliches Nichtstun oder hartes Kalkül?

Doch was tat Kaiser Domitian, der von 81 bis 96 n. Chr. regierte? Er tat einfach nichts. "Seiner Meinung nach gab es kein spezifisches Produkt, das ökonomisch interessant gewesen wäre", sagt Reinard. "Irische Kampfhunde für die Arena und Sklaven, die nicht besonders gut ausgebildet waren, bekamen die Römer billiger über Händler."

Und obwohl die Römer definitiv auf Irland waren, schlugen sie kein politisch-militärisches Kapital aus ihren Besuchen – das jedenfalls zeigen Patrick Reinards durchgeführte Untersuchungen sämtlicher literarischer und archäologischer Quellen aus der Antike und ihr Vergleich mit Befunden zu anderen Grenzregionen der römischen Welt.

Dem stimmt auch der Althistoriker Ernst Baltrusch von der FU Berlin zu: "Gewiss haben die Römer Irland einbezogen in ihre Planungen, haben gesehen, wie eng die Beziehungen zwischen Britannien und Irland in der Antike waren, und haben sicher auch die Insel betreten. Aber wenn man sich Irland anschaute, dann gab es sicher nichts, was es lohnte, einen aufwändigen Eroberungsfeldzug zu starten. Bei Britannien waren noch die symbolische Bedeutung und der Ruhm des erobernden Kaisers wichtige Faktoren, aber Irland zu erobern und zu sichern, wäre einfach zu kostenintensiv gewesen."

Dabei gab es in Fragen der römischen Expansion immer ein Spannungsverhältnis zwischen der realen Interessenlage und der ideellen Identität von Imperium Romanum und Orbis terrarum, von Reich und Welt, so der Wissenschaftler: "Wenn die Autoren also über die Nichteroberung Irlands klagten, dann wussten sie sich im Einklang mit der öffentlichen Meinung, die immer weitere Expansion erwartete."

Wer wie Domitian so wenig Weitblick bewies und von einer Eroberung absah, der konnte nur ein schlechter Herrscher sein, der war unfähig, zum Wohl und zur Sicherheit des Imperiums zu handeln. So legte es jedenfalls Tacitus mit seinen Schriften nahe.

Ein Forscher wie Patrick Reinard sieht das heute freilich anders: "In Wirklichkeit haben Kaiser und Beraterstab knallhart ausgerechnet, wie hoch der militärische Aufwand sein müsste oder der finanzielle für die Verwaltung, die Errichtung von Militärlagern, den Ausbau der Flotte. Fazit: Es hätte sich für Rom nicht gelohnt."

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