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Ethik: Was kann die Präimplantationsdiagnostik?

Die Bundestagsdebatte vom 14. April zeigt: Die PID wird offensichtlich in ihrer Leistung völlig überschätzt und als gefährlich eingestuft, obwohl sie es nicht ist. Der Reproduktionsmediziner Elmar Breitbach beschreibt, was sie wirklich kann.
Drei Tage alter Embryo
In fast jedem Artikel zur Präimplantationsdiagnostik (PID) tauchen die Begriffe "blond und blauäugig" und "Designerbaby" auf. Die Darstellung dieser Methode in den Medien impliziert, dass es mit Hilfe dieser genetischen Untersuchung des Embryos möglich ist, beliebige Eigenschaften des späteren Menschen gezielt zu beeinflussen, und die werdenden Eltern mit dieser Methode in der Lage sein werden, sich die Fähigkeiten und das Aussehen ihrer Kinder per Katalog zu bestellen.

Dr. Elmar Breitbach | Der Autor ist ausführender Arzt an der Deutschen Klinik Bad Münder, wo er als Reproduktionsmediziner mit den Schwerpunkten künstliche Befruchtung und Reproduktionsmedizin arbeitet und somit tagtäglich mit diesem Thema zu tun hat.
Nachdem im letzten Jahr der Bundesgerichtshof feststellte, dass im Embryonenschutzgesetz de facto kein Verbot der PID enthalten ist, hat sich die Politik dieses Themas angenommen. Bedauerlicherweise stehen dabei nicht Tatsachen im Vordergrund, sondern weltanschauliche Aspekte. Daher hier zunächst einmal die Fakten:

Was ist eigentlich die Präimplantationsdiagnostik?

Die PID ist die Untersuchung von Genen oder der Chromosomen bei einem im Rahmen der künstlichen Befruchtung entstandenen Embryo. Dazu werden dem Embryo im Achtzellstadium meist zwei der Zellen für die Untersuchung entnommen. Im Prinzip entsteht dem Embryo dadurch kein wesentlicher Schaden, da die Zellen in diesem Stadium der Embryonalentwicklung noch "totipotent" sind, sich also zu jeder möglichen Körperzelle ausdifferenzieren können. Die übrigen sechs Zellen sind daher in der Lage, sich ungestört weiterzuentwickeln.

Aus den entnommenen Zellen lassen sich zwar die Chromosomen isolieren und untersuchen. Da aber keine Kultur der Zellen möglich ist und daher auch keine Vermehrung derselben, stehen für die Diagnostik nur zwei vollständige Chromosomensätze zur Verfügung. Dadurch sind die Möglichkeiten der Methode deutlich eingeschränkt. Eine ausführliche Begutachtung von mehreren Chromosomensätzen, wie zum Beispiel bei der Fruchtwasseruntersuchung, ist folglich nicht möglich. Um mit dem wenigen Material die besten Aussagen zu erzielen, wird üblicherweise der so genannte FISH-Test (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) verwendet. Hierbei werden Fluoreszenzmarker eingesetzt, die entweder typisch für bestimmte Chromosomen sind oder für genetische Defekte.

Was kann die PID?

Überraschend wenig, wenn man sie mit den in den Medien dargestellten "Wunschvorstellungen" vergleicht. Die geringe Menge des zur Verfügung stehenden Erbmaterials limitiert die möglichen Untersuchungen erheblich. Grundsätzlich muss man vorher wissen, wonach man sucht, sonst wird man nicht fündig. Die PID ist daher keine Screeningmethode, um die allgemeine Gesundheit eines Embryos zu gewährleisten, sondern kann nur zum Ausschluss weniger ausgewählter Erbkrankheiten dienen.

Aneuploidie-Screening (zahlenmäßige Chromosomenaberrationen)

Die FISH-Diagnostik kennzeichnet vorgegebene Bereiche auf einem Chromosom, allerdings sind nur acht bis zehn solcher Markierungen möglich. In Anbetracht der Tatsache, dass der menschliche Chromosomensatz 22 Paare plus den Geschlechtschromosomen aufweist, ist deswegen selbst ein simples "Durchzählen" der Erbgutträger (Aneuploidie-Screening) nicht möglich.

Man beschränkt sich daher meist auf die Aufdeckung zahlenmäßiger Abweichungen der Chromosomen 13, 16, 18, 21, 22, X, Y. Die anderen Chromosomen könnten fehlen oder dreifach vorhanden sein und man würde es nicht feststellen. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass man nicht den Embryo, sondern zwei Zellen davon untersucht. Das Problem: Sehr häufig weisen Embryonen im Achtzellstadium Mosaike auf – nicht jede Zelle hat den gleichen Chromosomensatz. Das kann dazu führen, dass man die gesunden Zellen biopsiert, den Embryo als unauffällig klassifiziert und die sechs verbleibenden auffälligen Zellen in die Gebärmutter einpflanzt (transferiert) oder gar gesunde Embryonen verwirft.

Bessere Schwangerschaftsraten?

Neben der Vermeidung der meist zu schweren Erkrankungen führenden Trisomien, Monosomien oder daraus resultierenden Fehlgeburten wurde und wird diese Technik immer noch zur Verbesserung der Schwangerschaftsraten bei der künstlichen Befruchtung eingesetzt. Metaanalysen dazu zeigten jedoch, dass auch diese Hoffnungen mit den gegenwärtig gebräuchlichen Methoden nicht erfüllt werden können. Möglicherweise wird die so genannte Comparative genomic hybridization (CGH) hier neue Möglichkeiten eröffnen, aktuell ist eine Bewertung dieser Methode jedoch noch nicht möglich.

Fazit: Es gibt aktuell keine sinnvolle Einsatzmöglichkeit der PID zum Screening auf Aneuploidien, also um festzustellen, ob einzelne Chromosomen zusätzlich zum üblichen Chromosomensatz vorhanden sind oder fehlen.

Feststellen von Translokationen

Auf sehr viel sichererem Boden befindet man sich, wenn nach ganz bestimmten Veränderungen im Erbgut gesucht wird. Translokationen gehören zu den häufigsten einkammerigen (uniloculären) Erbkrankheiten. Dabei wird von einem Chromosom ein Bruchstück auf ein anderes übertragen. Bei einem Träger einer balancierten Translokation ergeben sich dabei keine genetischen Auffälligkeiten, da das Erbgut vollständig vorhanden ist, jedoch nicht auf dem dafür vorgesehenen Chromosom.

Die Nachkommen dieser Träger einer balancierten Translokation können so gesund wie er selbst sein (balancierte Translokation) oder zu wenig beziehungsweise zu viel genetisches Material aufweisen. Da keine Translokation der anderen gleicht, hängt es vor allem von den betroffenen Chromosomen und der Größe des übertragenen Bruchstücks ab, welche Auswirkungen dies für die Nachkommen hat. Die unbalancierten Translokationen sind oft Ursache von wiederholten Fehlgeburten. Die PID ist in diesem Fall sehr gut in der Lage, betroffene Embryonen zuverlässig zu erkennen.

Fazit: Da es hier um die Erkennung der Alternativen "Fehlgeburt / vorgeburtlich totes Kind" und "gesundes Kind" geht, stellt sich aus meiner Sicht die Frage nach ethischen Aspekten dieser Diagnostik in diesen Fällen nicht. Es geht darum, einer Frau mit mehreren Fehlgeburten in der Vorgeschichte weitere Fehlgeburten und Schwangerschaften "auf Probe" zu ersparen.

Feststellen von Erbkrankheiten

Erbkrankheiten entstehen durch die Veränderung eines Gens (monogenetisch) oder mehrerer Gene (polygenetisch). Für viele monogenetischen Erkrankungen liegen Gensonden vor, mit denen sich diese lokalisieren und im Rahmen einer PID erkennen lassen. Bei polygenetischen Erkrankungen dagegen müssen verschiedene Kombinationen "abgearbeitet" werden, daher ist die Diagnostik hier schon bedeutend schwieriger.

Die begehrten positiven Eigenschaften wie "sportlich, musikalisch, blond, blauäugig" hängen dagegen von sehr vielen unterschiedlichen und zum Teil unbekannten Genen ab. Deswegen wird man unabhängig von der Gesetzeslage das Katalogkind wohl auch in ferner Zukunft nicht bestellen können.

Aber auch bei den polygenetischen Erkrankungen stellt sich das Problem, dass nach dem Aussortieren der betroffenen Embryonen noch gesunde für den Transfer zur Verfügung stehen müssen. Bei zirka zehn Eizellen, die üblicherweise bei der künstlichen Befruchtung gewonnen werden, ein statistisch oft unmögliches Unterfangen.

Fazit: Nach monogenetischen Erbkrankheiten kann man im Erbgut der Embryonen gezielt suchen, bei polygenetischen Erkrankungen ist dies in den meisten Fällen nicht zuverlässig genug möglich.

Ethische Aspekte

Und hier stehen wir aus Sicht konservativer Kreise am Rand der "slippery slope". Ein Schritt, und man kann die Büchse der Pandora nicht mehr schließen – von mir auch gerne als "Dammbruch-Totschlag-Argument" bezeichnet.

Tödliche Erkrankungen

Nüchtern betrachtet, gibt es Erkrankungen, die mit hoher Sicherheit während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt zum Tod führen und durch die PID im Embryonalstadium ausgeschlossen werden können. Den Eltern nicht die Möglichkeit zu geben, sich und ihrem Kind dieses Schicksal zu ersparen, ist in diesen eindeutigen Fällen schlicht unethisch.

Kirchliche und politisch konservative Kreise argumentieren hier mit der Würde des Embryos, die durch eine solche Untersuchung verletzt würde. Ihr Dilemma: Setzt sich diese Ansicht durch, dann werden sich die Eltern aus nachvollziehbaren Gründen weiterhin später für eine Abtreibung entscheiden. Aus meiner Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, die Würde des achtzelligen Embryos zu schützen und die Eltern dann zur Abtreibung eines Fötus zu zwingen. Die Vielzahl an Embryonen, die durch diese Methoden verbraucht und "getötet" würden, ist ebenfalls ein oft vorgebrachtes Argument, auch gegen die künstliche Befruchtung im Allgemeinen. Die Natur macht es jedoch nicht anders: Maximal fünf Prozent der Embryonen nisten sich in die Gebärmutter ein und werden ausgetragen, bei der künstlichen Befruchtung (IVF) ist die Quote da sogar eher noch besser.

Fazit: Das Verbot zur Diagnostik von tödlichen Erberkrankungen wäre unethisch. Hier gibt es auch keine "slippery slope", da es leicht ist, diese Erkrankungen klar zu definieren.

Schwere Erkrankungen

Die Definition einer "schweren Erkrankung" ist hingegen ein schwieriges Unterfangen und hier eine Liste der entsprechenden Krankheiten zu erstellen hochproblematisch bis unmöglich. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern das überhaupt nötig ist. Warum lässt man es die betroffenen Paare nicht selbst entscheiden? Ich möchte die Geduld der Leserschaft nicht mit einem detaillierten Quellensammelsurium zur Ethikdebatte in Bezug auf die PID überfordern, sondern auf die Empfehlung der Ethikkommission der Giordano-Bruno-Stiftung (pdf) verweisen, die sehr schön zeigt, wie man Ethik in einer säkularen Gesellschaft definieren kann:

Im Gegensatz zur vorherrschenden Diskussion, in der gefragt wird: "Darf PID gesetzlich erlaubt werden?", sollte die strittige Frage lauten: "Darf PID überhaupt gesetzlich verboten werden?" Schließlich sollten mündige, aufgeklärte Bürger in einem liberalen Gemeinwesen tun und lassen dürfen, was sie wollen, solange es ihnen nicht mit guten Gründen verboten werden kann. Diese guten, verallgemeinerungsfähigen Gründe für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik gibt es nicht.

Es gibt nicht einmal gute Gründe für die von einigen Politikern vorgeschlagene Beschränkung der PID, etwa auf Paare, deren erbliche Vorbelastung erwiesen ist. Deshalb plädieren wir für eine Gesetzgebung, die den Grundsätzen eines modernen, liberalen Staats angemessen ist: für die Zulassung der PID in erweiterten Grenzen. Grundsätzlich sollten alle Menschen, die den beschwerlichen Weg der künstlichen Befruchtung wählen, die Möglichkeit zur PID haben. [...] Dass Embryonen "heilig" und somit für medizinische Zwecke unantastbar seien, beruht auf metaphysischen (meist religiösen) Überzeugungen, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können.

Ein "aktuales Lebensinteresse" setzt ein empfindungsfähiges Lebewesen voraus, das verwundet, misshandelt oder gedemütigt werden kann. Diese Bedingungen sind jedoch bei Embryonen, die überhaupt nichts spüren und bei minus 196 Grad Celsius kryokonserviert werden können, nicht erfüllt.


Auch sehr klar ist die Aussage zu den Argumenten von Behindertenverbänden, dass die PID zu einer Diskriminierung Behinderter führt oder sogar eine solche bereits darstellt:

Die Annahme, dass die Vernichtung befruchteter Eizellen mit genetischen Defekten zur Diskriminierung von Behinderten führt, ist ähnlich absurd wie die Forderung nach Abschaffung der Impfung gegen Kinderlähmung, weil diese eine Diskriminierung von Menschen mit Kinderlähmung zur Folge haben könnte.

Niemand, der nur mit Hilfe der künstlichen Befruchtung und der PID ein gesundes Kind bekommen kann, wird dies leichtfertig tun oder lediglich, um dessen Augenfarbe zu bestimmen. Er wird es tun, um sein eigenes Leid zu beenden und das seiner Kinder zu vermeiden.

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