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Infrastruktur: Amazonien wird verdammt

Etliche neue Staudämme und breite Straßen - das bedroht den brasilianischen Fluss Tapajós. Mit in Gefahr: das Volk der Munduruku. Wie steht es um das Projekt?
Der Itaipu-Staudamm versorgt große Teile Brasiliens und Paraguays mit Strom, ging aber auf Kosten des Regenwaldes

Nach intensivem, jahrelangem Kampf erzielten engagierte Umweltschützer 2016 vor einem brasilianischen Gericht einen ersten Erfolg: Der lange geplante Bau eines neuen Wasserkraftwerks am Rio Tapajós wurde abgeblasen, was weltweit auf viel Zustimmung stieß. Auch der fast acht Kilometer lange Staudamm kommt nicht, das monströse 8000-Megawatt-Kraftwerk bleibt ein böser Traum. Unter den wachen Augen der Justiz hatte die Umweltbehörde Ibama Belege vorgelegt, laut denen das beteiligte Unternehmen Eletrobrás zuvor kaum Informationen darüber gesammelt hatte, wie sich der Bau des Projekts Sao Luiz de Tapajós (kurz SLT) auf die Natur und die im Gebiet lebenden Ureinwohner auswirken würden.

Bei der indigenen Bevölkerung, den Munduruku, freut man sich über den erzwungenen Stopp: "Wir sind sehr glücklich. Nun werden wir gegen die anderen geplanten Dämme an unserem Fluss kämpfen", sagt der Chef der Ureinwohner, Arnaldo Kabá Munduruku. Und mit etwas Pathos in der Stimme: "Das Tal ist unser Supermarkt, unsere Kirche, unser Büro, unsere Schule und unser Leben!" Also alles gut in diesem Teil Amazoniens? Mitnichten. Denn an einem der Zuflüsse baggern sich die schweren Geräte intensiver denn je in das Flussbett vor und zerstören den Lebensraum von Tieren, Pflanzen und Menschen. Sechs Staudämme sind inklusive der passenden Wasserkraftwerke in der Region noch in Arbeit. Mehr als 16 000 Megawatt Strom sollen sie eines Tages produzieren. Einmal beendet, erstrecken sich die neuen Wasserreservoire auf mehr als 302 000 Hektar.
Tote Bäume im Stausee des Balbina-Damms | Wasserkraftwerke in Amazonien verursachen riesige Umweltschäden – weit über überflutete Gebiete hinaus. Die verrottende Vegetation setzt das Treibhausgas Methan frei, und die Sperrwerke verhindern die Wanderung von Fischen.

Hunderte Millionen US-Dollar Schmiergelder

Schuld am Tapajós-Dilemma der Konzerne trägt, neben den fehlenden Studien, auch ein enormer brasilianischer Korruptionsskandal. Vor fast drei Jahren flog im Land ein Kartell auf, als die Bundespolizei den Geldwäscher Alberto Youssef festnahm. Der erklärte den Ermittlern tapfer: "Wenn ich zu reden beginne, bricht die Republik auseinander." Er sollte Recht behalten. Zwischen März 2014 und März 2015 wurden dutzende Mitarbeiter von Baufirmen festgenommen. Das höchste brasilianische Gericht ermittelte gegen hunderte Verdächtige. Dutzende Bürger verurteilte man insgesamt zu fast 1000 Jahren Gefängnis. Das zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein der brasilianischen Justiz. Im Zuge der Anschuldigungen der ehemaligen Spitzenleute und Manager des Baukonzerns tauchten aber auch gut 200 Politikernamen auf. Präsidentin Dilma Rousseff trat zurück und Michel Temer, der Chef der Partei der demokratischen Bewegung, kurz PMDB, löste sie im vergangenen Herbst ab. Der Konservative herrscht nun über die gut 200 Millionen Brasilianer und steckt wohl selbst im Korruptionssumpf. Im Skandal geht es neben dem staatlichen Energieunternehmen Petrobras auch um die Firma Odebrecht. Firmenchef Marcelo Odebrecht sitzt in Haft und plaudert wacker Geheimnisse aus. Anfang des Jahres wurde der Baukonzern Odebrecht durch ein US-Gericht zu einer Strafe von 4,5 Milliarden US-Dollar verdonnert. Der brasilianische Baukonzern hatte für die politische Landschaftspflege in zwölf Staaten 788 Millionen US-Dollar ausgegeben. Die Liste ist lang, und auch am Tapajós floss Geld, um den Auftrag zu ergattern.

Und Michel Temer? Ihm und seiner neuen Regierung liegt viel am wirtschaftlichen Aufschwung im Staat, erlebt dieser doch 2017 eine der größten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Möglich also, dass Temer die Umweltbehörde Ibama zukünftig mehr an die Kandare nimmt. Denn diese ist für ihre sagenhaft langsamen Prozesse und Entscheidungen bekannt. Der Kampf um die weiteren Projekte am 810 Kilometer langen Fluss löst jedoch noch einen viel größeren Zwist aus, wenn es um die brasilianische Energieversorgung der Zukunft geht. Das jetzt gestoppte Wasserkraftwerk sollte immerhin ein Drittel der bald benötigten zusätzlichen Energie liefern. Und die Idee, die hinter dem Bau steht, klingt zunächst einleuchtend: neue Projekte – mit einem deutlich geringeren Einfluss auf die Lebensbedingungen der Betroffenen. Für die Errichtung des gigantischen Stauwerks Itaipu im Südosten des Landes an der Grenze zu Paraguay vernichteten Bagger und Bauarbeiter eine viermal größere Fläche als am Tapajós. Doch was bedeutet das eigentlich, wenn es um die legendäre Lebensader Amazonas geht?

Gescheiterte Großprojekte

Am Tapajós hatte sich bereits ein anderer Großindustrieller an einer haarsträubenden Investition versucht, die die Region weltberühmt machte. Im Jahr 1928 hatte der US-Autobauer Henry Ford die Idee, sich von den malaiischen Gummilieferungen unabhängig zu machen, die damals den Weltmarkt beherrschten. Diese sind jedoch teuer, und es dauert lange, bis das passende Material in den USA ist. Warum also nicht direkt in Südamerika am Fluss Kautschuk für die Reifenherstellung produzieren – das Projekt Fordlandia? Es entstand eine Kleinstadt nach amerikanischem Vorbild. Fast 8000 Menschen lebten in dem nagelneuen Städtchen. Doch das Vorhaben scheitert krachend. Zum einen pflanzten die Amerikaner wider besseren Wissens der Brasilianer die Kautschukbäume viel zu eng nebeneinander; Schädlinge und Krankheiten hatten leichtes Spiel. Und zum anderen oktroyierte man den Bürgern einen US-Lifestyle auf, was den Menschen nicht gefiel. Pünktliches Erscheinen zur Arbeit um 9 Uhr und ein Schichtende um 15 Uhr, dazu das absolute Rauch- und Trinkverbot – all das schmeckte den Bewohnern nicht. Nach einer Revolte 1930 verlor Ford die Freude am Projekt und verkaufte die Stadt. Neuer Besitzer wurde für 250 000 US-Dollar der brasilianische Staat. Auch das Aufkommen des künstlichen Kautschuks hatte zum wirtschaftlichen Desaster beigetragen.

Auch eine aktuelle Entwicklung zeigt, dass nicht jedes Großprojekt sinnvoll sein muss – und sich der Bau eines Wasserkraftwerks an einem strömungsreichen Fluss nicht immer lohnt, wie ein Blick zum stark umstrittenen Belo Monte andeutet. Dieses Wasserkraftwerk an einem Nebenfluss des Rio Xingu sollte elf Gigawatt Strom liefern. Der Bau wäre nach der Fertigstellung der drittgrößte Staudamm der Welt. Teile der Konstruktion, die sich auch nach 37 Jahren Planung und Fertigstellung noch etwas im Bau befindet, stehen zum Verkauf, denn die Stromausbeute ist zu gering, der Betrieb so unrentabel. Statt der 11 233 Megawatt flössen aktuell nur etwa 4000 Megawatt durch die teuer erkauften Leitungen. Dabei hatte man seit 1980 am Projekt gebastelt und über elf Milliarden US-Dollar vergraben – auf Kosten der ortsansässigen Ureinwohner und der Natur mit ihren zahlreichen einzigartigen Fischarten in den ursprünglichen Stromschnellen.

Bischof warnte erfolglos

Bis heute endete der massive Widerstand der indigenen Bevölkerung und Umweltschützer nicht. Lange ging ihnen Erwin Kräutler voran, der das Desaster mit aller Gelassenheit voraussagte. Der katholische Bischof predigte 50 Jahre lang in der Region und erlebte hautnah, was es bedeutet, gegen die Omnipräsenz der Baumafia aufzubegehren. Ein Wunder, dass der Mann heute noch lebt. So stürmte 2006 zum 25-jährigen Dienstjubiläum ein Mann während der Andacht in seine Kirche und rief laut, er "habe zwei Kugeln für den Herrn Bischof", wie Kräutler selbst auf seiner Website schreibt. Bereits 1983 schlugen ihn Unbekannte zusammen. 1987 folgte ein bis heute nicht ganz geklärter Autounfall, den der Geistliche nur sehr knapp überlebte. Womöglich hatte ein Attentäter seinen Kleinlaster in das Auto des Geistlichen gelenkt. Dennoch ließ sich der 78-Jährige nie abschrecken. Dom Erwin, so nennen ihn die Menschen hier. Kräutler trat 2015 in den Ruhestand. Über den Bau von Belo Monte hatte er einmal gesagt: "Die Indios können nicht absehen, was auf sie zukommt. Man schneidet sie vom Wasser ab – Menschen, die seit Ewigkeiten vom Fischfang leben."

Die Verdammung Amazoniens geht allerdings auch an anderer Stelle im Amazonasgebiet munter weiter. Vier Dämme werden etwa am Teles Pires, einem Zufluss des Tapajós gebaut. Auch hier soll später ein Wasserkraftwerk folgen. Zunächst sollen sie den Fluss schiffbar machen. Lastkähne randvoll mit Soja aus dem Bundesstaat Mato Grosso im Landesinneren gelangen dann eines Tages bis zum Atlantik. Die rund 13 000 ansässigen Munduruku wurden jedoch nicht dazu gefragt oder angehört, so wie es eigentlich ein Gesetz vorschreibt.

Insgesamt steht das Herz Amazoniens auf dem Spiel. Werden alle 40 vorgesehenen Dämme und die geplanten Straßen gebaut, droht der mächtige Fluss und das gesamte Ökosystem massiv beeinträchtigt zu werden. Denn wie eine Studie in "Nature" zeigt, reichen die Folgen für die Flusssysteme weit über das Einzugsgebiet der Dämme hinaus. Die Barrieren halten unter anderem gewaltige Sedimentmengen zurück, die dann flussabwärts fehlen. Das füllt auf Dauer nicht nur den Stausee, sondern beeinträchtigt generell die Flussdynamik. Es entstehen weniger neue Inseln und Sandbänke, auf die zahlreiche Arten angewiesen sind. Verschiedene Schildkröten, deren Eier und Fleisch ein wichtiger Proteinlieferant für die Bevölkerung sind, nutzen sie beispielsweise als Kinderstube. Neben dem Tapajós betrifft das den Madeira, einen der größten Amazonaszuflüsse. Hier sind umfangreiche Bauarbeiten geplant, obwohl der Strom etwa die Hälfte der Sedimentfracht des Amazonas liefert.

Zwar besteht noch die Chance, die enorme kulturelle und biologische Vielfalt vor Ort zu bewahren. Die Arbeiten gehen jedoch unvermindert weiter. Dabei vernichten sie mitunter die spirituellen Wurzeln der indigenen Menschen vor Ort – wie 2013, als Bauarbeiter einige Stromschnellen sprengten, die den Menschen hier als heilig galten. "Zerstört man ein Heiligtum mit Dynamit, so ist dies das Ende der Kultur und der Religion. Mit der Sprengung haben sie die 'Mutter der Fische' getötet", sagt Eurico Krixi, eine Dorfbewohnerin aus einem der 112 Weiler, die nahe am Tapajós liegen. Aufgeben wollen die Ureinwohner dennoch nicht.

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