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Schädlinge: Weinbau ohne Gift - unvorstellbar, aber möglich

Weinreben werden häufiger gespritzt als jede andere Kulturpflanze. Doch der Trend ist ein anderer: weg vom Gift hin zu einem nachhaltigen Weinbau - mit Hilfe wilder Reben. Der Haken: Die Verbraucher akzeptieren keine Gentechnik.
Weinberg mit Klapotetz in der Südsteiermark

Die Weinrebe war eines der ersten Opfer der Globalisierung: Zu Versuchszwecken führte man im Laufe des 19. Jahrhunderts nordamerikanische Reben nach Bordeaux ein, mit an Bord gleich mehrere blinde Passagiere: die Reblaus und die Erreger des Echten sowie des Falschen Mehltaus. Zügig breiteten sich die Schädlinge in allen europäischen Weinanbaugebieten aus, führten zu dramatischen Ernteverlusten, teils gar zum Absterben der Reben. Bis heute sind Winzer gezwungen, regelmäßig Gift zu spritzen, um die damals eingeschleppten Schädlinge in Schach zu halten.

Der Gifteintrag ist dabei beachtlich: Rund 60 Prozent des Fungizidverbrauchs, knapp 90 000 Tonnen Pilzbekämpfungsmittel, gehen in Europa auf das Konto des Weinbaus – der gerade einmal fünf Prozent der Anbaufläche ausmacht. Selbst im ökologischen Weinbau müssen Winzer Kupfer- und Schwefelpräparate einsetzen, um ihre Ernte zu sichern. Der Klimawandel könnte die Situation weiter verschärfen: Wetterereignisse wie Starkregen und anhaltende Trockenperioden fördern den Schädlingsbefall. Zwar ist man europaweit schon länger darum bemüht, den Kupfer- und Fungizideintrag zu reduzieren, aber die Maßnahmen reichen nicht aus. »Die Behandlungen der Reben bereiten gesundheitliche Probleme, belasten Boden und Luft, sind teuer und schädigen den Ruf des Weins auf Grund möglicher Rückstände«, sagt Christophe Schneider von der Abteilung Genetik und Verbesserung der Weinrebe vom Nationalinstitut für Agronomieforschung (INRA) in Colmar. So wurde in Frankreich das ehrgeizige Programm »ECOPHYTO 2« ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Pestizidmenge bis 2025 um 50 Prozent zu reduzieren. Das Pendant in Deutschland ist der »Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP)«. Um den Gifteinsatz im Weinanbau drastisch zu reduzieren, gibt es allerdings nur einen Weg: Unsere Kulturreben (Vitis vinifera) müssen robuster werden.

Die Wiege des Weinbaus liegt vermutlich in Georgien, wo der Mensch vor etwa 7000 bis 8000 Jahren begann, Reben zu züchten. Die Trauben wurden nach und nach immer größer und süßer, die Pflanzen wuchsen immer schneller. Der Zuchterfolg hatte seinen Preis: Die hochgezüchteten Reben verloren ihre natürlichen Abwehrkräfte. »Inzwischen hat man begriffen, dass die einseitige Forcierung hoher Erträge nicht nachhaltig ist, und hat nun großes Interesse, natürliche Resistenzfaktoren zu finden und über Züchtung in die anfälligen Reben einzubringen«, sagt Peter Nick, Leiter der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Botanischen Institut des Karlsruher Instituts für Technologie. Hier nun kommen die Wildreben ins Spiel: »Wildreben aus dem amerikanischen und asiatischen Vitis-Formenkreis tragen im Vergleich zu den europäischen anfälligen Rebenarten in ihrem Genom zahlreiche Resistenzgene«, sagt Reinhard Töpfer, Leiter des Julius Kühn-Instituts (JKI), Fachinstitut für Rebenzüchtung Geilweilerhof, Siebeldingen.

Evolutionäres Wettrüsten hilft Wildreben

Amerikanische Wildreben etwa schauen auf eine Jahrtausende währende gemeinsame Evolution mit Reblaus und Mehltau zurück. Experten sprechen auch von einem evolutionären Wettrüsten, da sich Wirt und Erreger immer wieder aneinander anpassen. Die Pflanzen entwickelten in diesem Zeitraum spezifische Abwehrmechanismen: Wird die amerikanische Wildrebe etwa von Erregern des Falschen Mehltaus (Plasmopara viticola) befallen, begehen die infizierten Zellen Selbstmord. Da der Erreger im Inneren der Zellen lebt, wird er mit in den Tod gerissen. Die asiatischen Wildreben hingegen parfümieren sich ein: Plasmopara dringt über die Spaltöffnungen in das Blattinnere ein. Diese Öffnungen sondern einen Duftstoff ab, der den Erregern den Weg weist. Duftet aber das gesamte Blatt, verwirrt das den Erreger und er findet den Eingang nicht. »Die Evolution hat das Problem bereits gelöst, wir müssen nur verstehen wie«, so Nick.

Pestizideinsatz im Weinberg

Im Fall der Reblaus fanden Wissenschaftler schon um die Jahrhundertwende einen andere Lösung: Sie propften amerikanischen Unterlagsreben, die resistent sind gegen den Wurzelschädling, Zweige der europäischen Reben auf und hatten Erfolg. Die Reben-Veredlung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa fast flächendeckend vorgenommen. Gegen die Mehltauerreger helfen aber nur Gift oder die Zucht mit wilden Reben. Glücklicherweise lassen die sich mit Kulturreben gut kreuzen. Das Ziel: die positiven Eigenschaften der beiden – Resistenz gegen Schädlinge und ein hoher Ertrag an hochwertigen Trauben – zu vereinen. So einfach, wie es klingt, ist es allerdings nicht: »Amerikanische Wildreben sind resistent, aber qualitativ schlecht. Sie führen zu Defiziten im Ertrag und – weitaus schlimmer – erheblichen Defiziten in der erforderlichen und vom Verbraucher gewünschten Qualität. Werden Resistenzen erfolgreich in eine Rebe eingekreuzt, werden auch Eigenschaften wie schlechter Geschmack mit eingekreuzt«, erklärt Töpfer. Um das zu verhindern, sind zahlreiche Rückkreuzungsschritte notwendig. So erforderte der Aufbau von Zuchtlinien mit guten Eigenschaften wie Ertrag, weinbauliche Eignung und Qualität bisher etwa 30 Jahre.

»Die Evolution hat das Problem bereits gelöst, wir müssen nur verstehen wie«
Peter Nick

»Aus 10 000 ausgesäten Kernen erhalten wir nach 15 bis 20 Jahren ein bis drei Pflanzen, die potenziell geeignet sind, als neue Sorte eingeführt zu werden«, sagt Ernst Weinmann, Leiter des Referats Weinbau und Versuchswesen am Staatlichen Weinbauinstitut (WBI) in Freiburg. Das WBI hat momentan 13 pilzwiderstandsfähige (PIWI) Sorten im Programm, die gegen den Falschen und den Echten Mehltau resistent sind. Darunter der »Johanniter«, der dem Riesling ähnelt, oder der »Bronner«, der an Weißburgunder erinnert. PIWI-Sorten finden zunehmend Anhänger und werden außer in Deutschland unter anderem in Italien, Polen und den Niederlanden angebaut. »In Frankreich werden aktuell so gut wie keine PIWIs angebaut. Man hat erst vor rund drei Jahren das Potenzial pilzwiderstandsfähiger Sorten erkannt«, so Schneider. Weinmann bestätigt: »Frankreich hat den Trend lange verschlafen, holt aber nun kräftig auf.« Vier der Freiburger PIWI-Sorten stünden dort kurz vor der Zulassung, und die Nachfrage nehme zu.

Erreger lernen dazu

Eine PIWI-Sorte bereitet Wissenschaftlern allerdings Sorgen: Einige neue Stämme des Falschen Mehltaus vermögen auf dem Rotwein »Regent« zu wachsen, der bereits 1996 in Europa zugelassen wurde. Die Sorte verfügt nur über jeweils einen Resistenz-Genort für den Echten und den Falschen Mehltau. »Die Erfahrung zeigt, dass Erreger dazulernen und einen einzelnen Resistenzmechanismus schnell überwinden. Eine Kombination aus mehreren Resistenzfaktoren ist schwieriger zu knacken und damit stabiler«, sagt Nick. Erklärtes Ziel der Wissenschaft heute: Rebsorten mit mehreren Resistenzfaktoren. Die Züchter greift dabei auch zu Methoden der Molekularbiologie: »Dank der so genannten markergestützten Selektion (MAS) haben wir in den vergangenen zehn Jahren immense Fortschritte erzielt«, sagt Töpfer. Das Erbgut vieler Kulturpflanzen, darunter auch das der Weinrebe, ist entschlüsselt, was sich bei der Zucht einsetzen lässt: Kennen Wissenschaftler die DNA-Sequenz eines Resistenzfaktors, bauen sie sich eine passende Sonde dazu. Den heranwachsenden Rebenpflänzchen wird früh ein Stückchen Blatt entfernt, aus dem DNA extrahiert wird. Mit Hilfe der Sonde lassen sich nun diejenigen Pflanzen identifizieren, die die gewünschte Resistenz in sich tragen. Durch dieses so genannte »smart breeding« züchten Wissenschaftler neue Sorten nun in 10 bis 15 Jahren statt in 25 bis 30 Jahren.

»In wichtigen Verbraucherländern gibt es keine Akzeptanz der Gentechnik«
Reinhard Töpfer

Diese Form der traditionellen Zucht, bei der sich das genetische Material beider Rebenarten mischt, führt aber zwangsläufig zu neuen Sorten – die unbekannte Namen tragen. »Der Kunde greift gerne zu Altbewährtem. Wir müssen also erst einmal Winzer und Verbraucher von der Qualität der neuen Sorten überzeugen«, sagt Weinmann. Denn beim Anbau der PIWI-Sorten spart der Winzer zwar Gift; verstauben die Weinflaschen aber im Regal, ist niemandem geholfen. Hier hätte die Gentechnik – zumindest in der Theorie – einen Vorteil: Da nur kleinere Genabschnitte ins Erbgut eingefügt würden, bliebe die genetische Struktur weitgehend erhalten und die Reben würden ihren traditionellen Sortennamen behalten. Doch die Macht der öffentlichen Meinung ist nicht zu unterschätzen: »Derzeit spielt Gentechnik weltweit keine Rolle in der Rebenzüchtung, da es in wichtigen Verbraucherländern keine Akzeptanz der Gentechnik gibt«, sagt Töpfer.

Wein | Verbraucher werden sich an neue Weinsorten gewöhnen müssen, da die traditionellen Sorten nicht resistent gegen die Angriffe von Schädlingen sind. Aber wird ein »Calardis blanc« oder ein »Regent« je so akzeptiert sein wie ein Riesling oder ein Trollinger?

Das JKI für Rebenzüchtung ist 2018 mit der Sorte »Calardis blanc« auf den Markt gekommen. »Sie wird bereits bei einigen Winzern im Versuchsanbau getestet und trägt gegenüber dem Falschen Mehltau erstmals zwei Resistenzen«, so Töpfer. Auch Schneider und seine Kollegen wollen 2018 entsprechende PIWI-Sorten vorstellen. Nick hat derweil eine weitere Resistenzquelle ausgemacht: die Europäische Wildrebe (Vitis sylvestris), die Mutter unserer Kulturrebe. Sie wehrt den Falschen Mehltau ebenfalls erfolgreich ab. »Das hat uns zunächst überrascht, denn die Pflanzen sind ja im Lauf ihrer Evolution nie mit dem aus Amerika stammenden Schädling in Berührung gekommen«, sagt Nick. Doch bei der Europäischen Wildrebe ist die zweite Säule des pflanzlichen Immunsystems stark ausgebildet: die Grundabwehr, die unspezifisch gegen viele Organismen wirkt. So bildet die Wildrebe bei Schädlingsbefall umgehend Resveratrol, eine Art natürliches Antibiotikum. »Nehmen wir einmal an, die Reben seien Burgwächter«, veranschaulicht Nick den Unterscheid zwischen Wild- und Kulturform. »Die Wildrebe fährt die Zugbrücke bei der kleinsten Staubwolke am Horizont hoch und erhitzt das Pech. Die Kulturrebe hingegen zieht die Zugbrücke erst hoch, wenn der Feind schon eingedrungen ist.«

Nick und sein Team identifizierten auch den genetischen Unterschied: Der Kulturrebe fehlt ein Stück des Genschalters, der das Gen zur Bildung von Resveratrol anknipst. Damit eröffnen sich neue Zuchtmöglichkeiten – zumal die Urform unserer Kulturrebe aromatischer schmeckt ist als ihre amerikanischen Verwandten. Damit nicht genug, schlummern möglicherweise noch andere Fähigkeiten in der vom Aussterben bedrohten Europäischen Wildrebe: In Versuchen waren manche Pflanzen auch gegen ESCA resistent, eine Holzkrankheit der Reben, die sich immer weiter ausbreitet und deren Ursache noch im Dunkeln liegt. »Artenvielfalt«, folgert Nick, »ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt.«

(Anm. d. Red.: Die ursprüngliche Fassung vom 4. April 2017 wurde aktualisiert.)

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