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Gedächtnis: Wenn Kaninchen-Senioren die Schulbank drücken

Im Alter fällt manchen Lernen allmählich immer schwerer. Doch die Fähigkeit, sich Neues einzuprägen, verschwindet normalerweise nie ganz. Wovon hängt es ab, ob das Gehirn gerade in der Lage ist, sich etwas zu merken?
"Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" – auch wenn diese Weisheit angesichts der nachgewiesenen Fähigkeit des lebenslangen Lernens überholt ist, enthält sie doch einen Funken Wahrheit: Im Alter nimmt die Fähigkeit, neue Zusammenhänge zu lernen, rapide ab. Das gilt für Kaninchen Hans nicht anders als für den Menschen.

Doch warum das so ist, können Wissenschaftler bis heute nicht genau sagen. Im Augenmerk des Interesses befindet sich eine Hirnregion, die an nahezu jedem Lernprozess beteiligt ist: der Hippokampus im Zentrum des Gehirns.

Verschiedene Studien hatten gezeigt, dass Lernen immer dann besonders erfolgreich ist, wenn dort theta-Aktivität auftritt – oszillatorische Feldpotenziale zwischen zwei und acht Hertz. In dieser Phase ist der Hippokampus und mit ihm verbundene weitere Hirnstrukturen wandelbar – eine Voraussetzung für jeden Lernprozess. Ist dieses Aktivitätsmuster also eine zwingende Voraussetzung dafür, dass das Gehirn neue Informationen speichern kann?

Dieser Frage ging eine Forschergruppe um Yukiko Asaka von der Miami-Universität in Ohio nach. Sie untersuchte das Lernverhalten von je zwölf Kaninchen im Alter von vier bis sechs Monaten sowie zwischen 22 und 36 Monaten. Dazu platzierten die Wissenschaftler Elektroden im Kopf der Tiere, mit denen sie die Aktivität des Hippokampus aufzeichneten.

Einige Tage später begannen die Forscher damit, den Lidschlagreflex der Kaninchen zu konditionieren – ein Klassiker, wenn es darum geht, Lernprozesse zu erforschen: Zunächst hört das Tier einen Ton; eine halbe Sekunde später trifft ein Luftstoß die Hornhaut des Auges, wodurch es unwillkürlich blinzeln muss. Wird dieser Ablauf häufig wiederholt, lernt es, das Lid als Reaktion auf den Ton allein zu schließen.

Um die Bedeutung der theta-Aktivität zu überprüfen, teilten die Wissenschaftler beide Altersstufen jeweils in zwei Gruppen auf. Während je eine Hälfte der Tiere als Kontrollgruppe in regelmäßigen Abständen Übungen absolvieren mussten, wachte bei den übrigen ein Computer über den Unterrichtsverlauf. Der präsentierte einem Tier immer dann eine Übung, wenn die Elektroden theta-Aktivität in seinem Hippokampus meldeten.

Die Lidschlagreaktion trainierte jedes Tier so lange, bis es in achtzig Prozent der Fälle auch ohne Luftstoß als Reaktion auf den Ton blinzelte. Die jungen Kaninchen schafften dies nach mindestens 15 Übungstagen; die älteren Kollegen benötigten dafür dreißig Tage und mehr, wobei sie die Übung auch viel häufiger wiederholten.

Fiel also den Kaninchen-Senioren das Lernen grundsätzlich schwerer? Nur in der Kontrollgruppe traf dies eindeutig zu: Hier benötigten die älteren Tiere im Schnitt deutlich mehr als 800 Durchgänge, die jüngeren beherrschten die Aufgabe nach knapp 300 Übungen. Anders sah es dagegen für die Versuchskaninchen aus, die nur dann übten, wenn theta-Aktivität im Hippokampus auftrat: In dieser Gruppe waren die Alten den Jungen nicht unterlegen.

Für die Senioren scheint theta-Aktivität also eine Voraussetzung für Lernen zu sein. Bei den jüngeren macht es dagegen keinen Unterschied, ob sie streng nach Plan oder nur bei theta-Aktivität unterrichtet werden. Sie ist für Junge also keine notwendige Voraussetzung, um zu lernen. Worin besteht der Unterschied?

Ein genereller Verlust der Lernfähigkeit in einem gealterten Gehirn könnte nach Meinung der Forscher auf eine erhöhte Kalzium-Konzentration innerhalb der Zellen und eine Abnahme der Aktivität von Gehirnzellen zurückzuführen sein. Die Plastizität des Hippokampus, welche mit der theta-Aktivität einhergeht, könnte temporär diese Defizite sowie die alterstypische Degeneration des Kleinhirns, das Bewegungen steuert, ausgleichen. Welche Prozesse genau währenddessen im Gehirn stattfinden, wissen Asaka und seine Kollegen jedoch bisher nicht.

Von den Ergebnissen erhoffen sich die Wissenschaftler ein tieferes Verständnis für die natürlichen Alterungsprozesse im Gehirn sowie das Zusammenspiel von Gehirnstrukturen einerseits und Aktivitätsmustern andererseits. Entgegen ihrer Äußerungen scheint es jedoch unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse in nächster Zeit zu einer praktischen Anwendung zur Milderung von Lernschwierigkeiten von Älteren führen werden. Auch in Zukunft wird es daher wohl kaum Volkshochschulkurse geben, in denen der Kursleiter die EEG-Wellen seiner Teilnehmer beobachtet und plötzlich ruft: "Schnell Frau Schultz, jetzt können Sie die Vokabel lernen."

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