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Meeresforschung: Werden und Vergehen an unerwarteten Orten

In den Bilanzen der Ozeane werden stetig riesige Mengen von Stickstoff aus der Atmosphäre von der Soll- auf die Habenseite gebucht und wieder zurück. Wie lange diese Kontoumschichtungen dauern, ist dabei für Klimaforscher wichtig - und bislang offenbar ziemlich falsch eingeschätzt worden.
Leben ist die ewige Jagd nach Partner und Fortpflanzung, nach knappen Ressourcen wie Nahrung, Macht, Geld und hoffentlich noch ein paar Dingen mehr. An zumindest einem aber sollte es auf Erden eigentlich nicht mangeln: dem Stickstoff. Unser unverzichtbarer Grundbestandteil von Eiweiß- bis Erbgutmolekülen füllt doch immerhin stolze achtzig Prozent der irdischen Lufthülle: also einatmen, und schon strömt einem das begehrte Baumaterial massig in den Körper.

Und, leider, beim Ausatmen auch genauso schnell wieder hinaus, ohne das auch nur ein kleines N-Atom dabei aufgehalten werden könnte. Die gasförmige Form des Stickstoffs, N2, ist extrem stabil, sehr reaktionsträge und für den menschlichen Körper biochemisch einfach nicht greifbar. Anderen Tieren und Pflanzen geht das genauso – sie benötigen Hilfe, um an das ungemein reaktionsträge Massenprodukt N2 heranzukommen.

Diese global lebensnotwendige Unterstützung leisten biochemische Spezialisten, die im Laufe der Evolution den Reaktionsmechanismus der "Stickstofffixierung" erlernt haben – sie bringen die unbrauchbare N2-Form in eine auch durch gemeine Feld-Wald-und-Wiesen-Stoffwechsel, wie jenem der menschlichen Zellen, verwertbare Form, etwa Nitrat, NO32-. Dominiert wird das Berufsfeld dabei von Mikroben, die an allerlei Orten heimisch sein können. Zunächst gefielen die Stickstofffixierer neugierigen Forschern, weil sie solch exotischen Lebensräumen wie dem Darm von Termiten oder den Wurzelknöllchen von Erbsenverwandten besiedeln, wo sie symbiotische Beziehungen mit den stickstoffabhängigen Gastgeberorganismen pflegen. Viel öfter aber gedeihen die Stickstofffixierer einfach im Boden – wobei hier wohl Archaeen noch häufiger teilnehmen als die "echten" Bakterien.

Kaum zu überschätzen aber ist der Anteil des im Meer fixierten Stickstoffs. Im Ozean läuft das Geschäft dabei noch etwas anders, vor allem offenbar in anderen Zeitdimensionen und hübsch geografisch getrennt: Im warmen lichtdurchfluteten Oberflächenwasser äquatornaher Breiten dümpeln Massen an Fotosynthese treibenden Cyanobakterien, die aus dem im Meerwasser gelösten Stickstoff-Reservoirs N2 entnehmen und fixieren. Das klappt nur solange, bis die zur Fixierung nötigen sonstigen Rohstoffe zur Neige gehen, etwa die seltene Ressource Eisen. Gerade im Atlantik, so die bisher gängige Lehrmeinung, tritt dieser Fall aber seltener ein, weil das Meer hier immer wieder durch Wüstenwinde aus der Sahara mit Eisen gedüngt wird. Quantitativ entscheidende Stickstofffixierer sollten also besonders die weniger ressourcenbeschränkten Mikroben des tropischen Atlantiks sein.

Ausgeglichen wird das Verschwinden des N2 im Meerwasser dann durch den entgegengesetzten Prozess: die Denitrifikation, bei der Nitrat wieder zu gasförmigem Stickstoff zurückverwandelt wird. Das geschieht in den Ozeanen in den Sedimenten, aber besonders auch in der sauerstoffarmen Schicht zwischen 200 und 700 Meter Wassertiefe. Dabei spielen etwa so genannte Anammox treibende Bakterien eine lange unterschätzte Rolle, die den Ammoniumstickstoff ganz ohne Sauerstoff per Nitrit in die gasförmige Stickstoff-Form zurückoxidieren. Wie auch immer: Denitrifikation findet jedenfalls vor allem im östlichen tropischen Pazifik und im arabischen Meer statt – sodass nach vorherrschender Meinung N2 wohl meist an anderer Stelle fixiert wird (im Atlantik) als es entsteht (im Pazifik und Arabischen Meer). Nur in Zeitrahmen von rund tausend Jahren würden Meeresströme dies ausgleichen, dachten Forscher bislang – womit das System nur recht langfristig und träge auf plötzliche lokale Eingriffe reagieren könnte, die etwa in Folge des Klimawandels denkbar sind.

Alles nicht ganz richtig, meinen nun Curtis Deutsch und seine Kollegen. Der Forscher der Universität von Washington hat sich mit Computerhilfe erneut Datenberge vorgenommen, die bei der Analyse von Wasserproben aus allen Ozeanen angefallen sind. Ihr Hauptaugenmerk legten sie dabei auf das bislang nicht erschöpfend berücksichtigte Verhältnis zwischen Nitrat (NO32-) und Phosphat (PO43-). Auch in Anwesenheit von schlemmenden Bakterien bleibt dieses Verhältnis im Meerwasser normalerweise konstant, da durchschnittliche Mikroben beide Moleküle gleichermaßen verfrühstücken.

Ein Sonderfall tritt aber in Regionen mit vielen Stickstofffixierern ein: Diese verbrauchen zwar Phosphat intensiv, lassen aber Nitrat links liegen, weil sie ihren Stickstoffbedarf ja durch N2 decken – dass PO43-/NO32--Verhältniss sinkt also dramatisch unter den sonstigen konstanten Wert.

Wo dieser Absturz auftritt und wie stark er ausfällt, sollte den Forschern um Deutsch also etwas über die örtliche Aktivität von Stickstofffixierern verraten. Bislang war ein deutliches Absacken eben besonders im Atlantik nachgewiesen worden – und das blieb auch bei den Studien von Deutsch und Co in groben Zügen so. Dennoch überraschte die Auswertung ihrer Analyse die Forscher: Denn auffällig zeigten sich besonders einige begrenzte Regionen im Pazifikoberflächenwasser, in denen nicht weniger, sogar deutlich mehr Phosphat im Verhältnis zu Nitrat vorhanden war als der allgemeingültige Mittelwert gebietet.

Dies ist eindeutig das Werk besonders aktiver Anti-Stickstofffixierer in der Tiefe, schlussfolgert Deutsch: Aus ihrem Lebensraum steigt Wasser zur Oberfläche auf, dem die denitrifizierenden Bakterien zuvor viel Nitrat entzogen haben. Das merkwürdig verschobene Verhältnis der aufgestiegenen, relativ nitratarmen und phosphatreichen Wasser gleichen sich an der Oberfläche dann aber sehr schnell wieder dem konstanten Normalwert an. Und zwar, so die unausweichliche Feststellung, weil eben doch auch im Pazifik die Stickstofffixierer ihre Arbeit sehr gründlich tun, Phosphat verbrauchen und Nitrat Nitrat sein lassen.

Zwar sinkt dabei das Verhältnis selten auf jenes phosphatarme Verhältnis ab, welches im Atlantik zu sehen ist und bislang immer als Beleg für die dortige Hochaktivität der Stickstofffixierer gedeutet wurde – insgesamt aber ergab das Computermodell, dass wohl fast doppelt so viel N2 im Wasser von Pazifik und Indischem Ozean fixiert wird wie im Atlantik. Die Folgen auf das PO43-/NO32--Verhältniss sind aber in beiden Meeren unterschiedlich, weil im Pazifik offensichtlich noch deutlich stärker denitrifiziert wird, als zunächst gedacht.

Insgesamt dürften die Ergebnisse die vorherrschenden Modelle der ozeanischen Stickstoffkreisläufe wohl revolutionieren, meinen etwa Douglas Capone und Angela Knapp von der Universität von Südkalifornien. Klar scheint nun zum Beispiel, das Zyklen, die den Ausgleich zwischen den verschiedenen Stickstoff-Formen besorgen, eher lokal als global sind – weil N2 und NO32- eben nicht immer nur in einem Ozean entstehen und im anderen vergehen.

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