Direkt zum Inhalt

Evolution: Wie neue Arten entstehen

Graduelle Umwidmung des Vorhandenen oder radikale Innovation? Wie ganz neue Merkmale entstehen, ist umstritten. Ein Wasserläufer mit kuriosem Fächer gibt Antworten.
Der Fächer eines Rhagovelia-Bachläufers.

Wie entstehen neue Merkmale, durch die sich Arten und ganze Artenfamilien voneinander unterscheiden? Diese Frage, zentral fürs Verständnis der Evolution selbst, beschäftigt Fachleute schon lange. Nun hat ein Team um Abderrahman Khila von der Université de Lyon den genetischen Ursprung einer kuriosen Anpassung untersucht: Bachläufer der Gattung Rhagovelia – und nur sie – besitzen einen auffälligen Fächer an ihren mittleren Beinen. Den brauchen sie, um sich auf schnell fließenden Gewässern fortzubewegen. Wie die Arbeitsgruppe in "Science" berichtet, erweist sich dieser Fächer als Schlüsselinnovation – eine einzelne Verbesserung, die eine ganze Gruppe neuer Arten entstehen lässt. Genetisch entstand sie durch die Kombination gradueller Entwicklung mit radikalen Neuerungen.

Hinter der Neuentwicklung stehen zwei neue Gene, die es ausschließlich bei Rhagovelia gibt: gsha und mogsha ("geisha" und "mother-of-geisha", wegen des Fächers). Hinzu kommen drei bekannte Gene, die in neuer Weise verwendet werden. Diese umgewidmeten Gene lassen schon für sich genommen rudimentäre Fächer entstehen, die nach den Analysen Vorteile auf bewegten Gewässern bieten. Der Befund stützt die Vermutung, dass Innovationen zunächst durch Umwidmung existierender genetischer Mechanismen in rudimentärer Form auftauchen und dann durch ganz neu entstehende Erweiterungen ihren Vorteil entfalten und zur Schlüsselinnovation werden.

Alle 200 bekannten Rhagovelia-Arten besitzen den Fächer, mit dem sie auf der Wasseroberfläche "rudern" und so auf schnelleren Gewässern vorankommen, während derartige Strukturen bei keiner verwandten Art vorkommen. Der Fächer ist eine echte evolutionäre Innovation, die schon im ersten Larvenstadium von Rhagovelia auftaucht. Bei seinen Analysen fand Khila fünf Gene, die am Fächeransatz aktiv sind – zwei von ihnen waren völlig unbekannt. Selbst in verwandten Arten stieß das Team nur auf mögliche ähnliche Kandidaten.

Die anderen drei sind bekannte Gene, die bei der Entwicklung des Exoskeletts eine Rolle spielen, aber an ungewöhnlicher Stelle aktiviert werden. Diese drei Genaktivierungen waren wohl der Ausgangspunkt der Fächerentwicklung: Sie erzeugen bereits Auswüchse am mittleren Bein, die bei der Fortbewegung helfen – so dass schon diese Mutanten ihren Lebensraum erweiterten. Damit solche graduellen Verbesserungen jedoch zur Schlüsselinnovation werden, brauchen sie, so die Vermutung der Arbeitsgruppe, radikale Neuerungen wie gsha und mogsha.

Schreiben Sie uns!

1 Beitrag anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.