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Sprachkritik: Wie sollte man über Menschen mit psychischen Störungen sprechen?

Ob Depression, Schizophrenie oder Magersucht: Menschen mit psychischen Erkrankungen werden häufig stigmatisiert. Schuld daran könnte auch unsere Alltagssprache sein, wie nun eine Studie zeigt.
Mann mit Kapuze

Wer Familie, Freunden oder Arbeitskollegen erklärt, dass er an einer psychischen Erkrankung leidet, stößt in vielen Fällen immer noch auf Skepsis und Ablehnung. Die Frage, wie man dieser Stigmatisierung – auch vor dem Hintergrund der steigenden Diagnosezahlen – entgegenwirken kann, beschäftigt inzwischen zahlreiche Forscher. Einen relativ naheliegenden, bislang aber womöglich unterschätzten Ansatzpunkt bietet dabei vielleicht unser alltäglicher Sprachgebrauch. Darauf deutet nun zumindest eine Untersuchung von Darcy Haag Granello and Todd A. Gibbs von der Ohio State University hin. Die Wissenschaftler setzten sich darin erstmals genauer damit auseinander, wie sich die verschiedenen Begrifflichkeiten, die wir für Menschen mit psychischen Erkrankungen benutzen, auf unsere Einstellung ihnen gegenüber auswirken.

So hat es sich in der Fachwelt etwa zum Teil bereits eingebürgert, statt von »Depressiven« von »Menschen mit einer Depression« zu sprechen. Der Ausdruck »Depressive«, so die Begründung, reduziere die entsprechenden Personen nämlich auf ihre Erkrankung. Zumindest im englischsprachigen Raum empfiehlt auch die American Psychological Association bereits seit den 1990er Jahren in vielen Bereichen den bewussten Einsatz solcher »person-first language«. Es gibt aber auch Kritiker.

Mehr als »political correctness«

Dass hinter solchen sprachlichen Feinheiten tatsächlich mehr als Wortklauberei und »political correctness« stecken kann, belegten Granello und Gibbs nun mit einem Versuch, in dem sie mehr als 700 Probanden zu ihren Ansichten bezüglich psychisch kranker Personen befragten. Ein Drittel der Versuchspersonen waren dabei Studenten, ein weiteres Drittel bestand aus Erwachsenen, die die Wissenschaftler willkürlich in einem Gemeindezentrum rekrutierten. Die übrigen Studienteilnehmer waren als professionelle Berater etwa im Bereich Schule und Gesundheitswesen tätig.

Alle Probanden bekamen einen identischen Fragebogen vorgelegt, der allerdings in Bezug auf eine Kleinigkeit variierte: Während bei der einen Hälfte der Teilnehmer stets von ihrer Einstellung gegenüber »psychisch Kranken« (im englischen Original: »the mentally ill«) gesprochen wurde, tauchte bei den anderen durchgängig die Formulierung »Menschen mit psychischen Erkrankungen« (»people with mental illness«) in den Fragen auf. Um Missverständnissen vorzubeugen, versahen die Forscher außerdem alle Fragebögen vorab mit derselben Definition: »Der Begriff ›psychisch Kranke‹ (respektive ›Menschen mit psychischen Erkrankungen‹) bezieht sich in diesem Fall auf Personen, die auf Grund einer psychischen Störung behandelt werden müssen, aber in der Lage sind, ein eigenständiges Leben außerhalb eines Krankenhauses zu führen.«

»Psychisch Kranke« sollen eher ausgegrenzt werden

Und tatsächlich: Wurden die Versuchspersonen gebeten, sich zu »psychisch Kranken« zu positionieren, stimmten sie trotz der gleich lautenden Definition des Begriffs etwa eher Aussagen zu, denen zufolge die Betroffenen ähnlich kontrolliert und bestraft werden sollten wie kleine Kinder – oder vom Rest der Bevölkerung isoliert werden müssten. Am empfänglichsten für diese Form der Beeinflussung zeigten sich die Berater; und das, obwohl sie auch im echten Leben eigentlich deutlich häufiger Kontakt zu Menschen mit psychischen Problemen hatten als die beiden anderen untersuchten Personengruppen. Dafür betrachteten sie Menschen mit psychischen Erkrankungen aber grundsätzlich positiver.

»Ich kann verstehen, dass viele lieber ›psychisch Kranke‹ sagen. Es ist kürzer und weniger umständlich als ›Menschen mit psychischen Erkrankungen‹«, sagt Granello. »Aber ich denke, dass Personen mit psychischen Erkrankungen es verdienen, dass wir unsere Sprache ändern.« Und das gelte nicht nur für Menschen, die privat oder beruflich mit ihnen zu tun hätten, sondern etwa auch für die Medien, so die Forscher in ihrer Studie.

Warum Formulierungen wie »psychisch Kranke« unser Bild der betreffenden Personen offenbar unbewusst schmälern, wissen Granello und Gibbs noch nicht genau. Es wäre aber denkbar, dass viele bei dem Begriff automatisch an die besonders schweren Fälle denken, die häufig mit Gewalttätigkeit und einer Gefahr für die Allgemeinheit assoziiert werden. Sprechen wir von »Menschen mit psychischen Erkrankungen«, kommt uns dagegen vielleicht eher das (nicht minder klischeehafte) Bild vom netten Arbeitskollegen mit Burnout in den Sinn.

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