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Teleskope: "Wir werden Dinge sehen, die wir uns nicht einmal erträumt haben"

Einen Blick ans Ende des Universums - das soll der Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), das neue Riesenteleskop der Europäischen Südsternwarte, schon vor seinem endgültigen Ausbau ermöglichen. Der ESO-Projektmanager Wolfgang Wild erzählt im Gespräch mit spektrumdirekt, was wir jetzt und in Zukunft erwarten können.
Antenne im Abendlicht
spektrumdirekt: Herr Professor Wild, weshalb wurde ALMA ausgerechnet auf einer Hochebene in der chilenischen Atacamawüste errichtet – fern der Zivilisation?

Wolfgang Wild: Dafür gibt es mehrere Gründe: Der eine ist der südliche Sternhimmel, der mehr Informationen bereithält. Wer schon einmal dort war, stellt erstaunt fest, dass man viel mehr Sterne sieht als auf der Nordhalbkugel. Zum anderen benötigten wir einen Ort, der möglichst hoch liegt, so dass die Luft sauerstoffarm ist. Sauerstoff schwächt Radiowellen ab, die wir beobachten wollen.

Außerdem ist die Hochebene von Chajnantor extrem trocken, und enthält somit wenig Wasserdampf, der die Radiowellen ebenfalls negativ beeinflusst. Und wir wollten einen Ort, an dem wir die Radioantennen in einem Abstand von bis zu 16 Kilometer aufstellen konnten. Es gibt nicht allzu viele Plätze auf der Welt, die diese Bedingungen erfüllen. Das Hochplateau von Chajnantor, 5000 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, tut das in idealer Weise.

Was bedeutet das für die Menschen, die dort arbeiten?

Während des Betriebs werden sich auf dem Feld, dem Array, nur wenige Menschen aufhalten. Es gibt aber ein Kontrollgebäude, dessen Höhenlage nur noch von einem einzigen anderen Haus übertroffen wird und wo vielleicht fünf bis zehn Personen arbeiten. Betrieben wird es eigentlich von der auf 2900 Meter Höhe aufgebauten "Operations Support Facility" (OSF). Im Augenblick sind während der Bauphase mehrere hundert Arbeiter und Techniker am OSF und je nach Bedarf auch auf 5000 Meter Höhe vor Ort.

Ein Teil der Mannschaft arbeitet dort ohne Sauerstoff – es gibt in Chile zahlreiche Leute, die als Minenarbeiter an diese Höhe gewöhnt sind; andere dagegen tragen für besondere Arbeiten eine Sauerstoffflasche und einen Schlauch in der Nase, also keine Atemmaske – etwa bei den Fahrern der beiden Transporter, mit denen die Einzelantennen an ihren Aufstellungsort gebracht werden

Antennen-Galaxien | Galaktischer Zusammenstoß in 70 Millionen Lichtjahren Entfernung: Dieses Bild entstand aus der Kombination von Hubble- und ALMA-Aufnahmen und zeigt die zwei Galaxien NGC 4038 und 4039 – besser bekannt als Antennen-Galaxien.
Auf dem Hochplateau herrschen auf starke Winde, es gibt Schnee und Staub. Wie sind die Antennen dagegen gesichert: Müssen Sie fegen?

Die Luft, die in die Empfänger hineinströmt, wird durch industrielle und hochfeine Filter gereinigt. Am Reflektor selbst haftet daher kein Staub. Und selbst wenn das der Fall sein sollte, spielt das für die Radiowellen keine Rolle. Die Antennenschüsseln haben keine reflektierenden Oberflächen wie die der optischen Spiegelteleskope. Es sind viel mehr Metalloberflächen, die nicht spiegeln. Wenn sich also auf ihnen ein wenig Staub absetzt, beeinträchtigt das nicht unsere Beobachtungen.

Weshalb sind so viele Einzelspiegel notwendig, wo doch in der optischen Astronomie ein oder vier Teleskope wie beim Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte – ebenfalls in der Atacama – reichen, um eine hohe Auflösung und damit Leistungsfähigkeit zu erzielen?

Wolfgang Wild | ist der europäische Projektleiter von ALMA. Er arbeitet bei der ESO in Garching.
Die Auflösung ist ja definiert als Wellenlänge geteilt durch den Teleskopdurchmesser: Wenn also die Wellenlänge um den Faktor hundert steigt, wie das bei Radiowellen der Fall ist, dann muss man für die gleiche Auflösung auch den Durchmesser des Teleskops um den Faktor hundert steigern. Nun sind unsere Millimeterwellen um den Faktor einhundert bis tausend länger als sichtbares Licht. Eigentlich bräuchte man, um die Auflösung des VLT zu erreichen, ein Radioteleskop von 16 Kilometer Durchmesser. So etwas lässt sich einfach nicht bauen, auch wenn wir es gern täten.

Deshalb stellen wir viele einzelne Teleskope in geeigneter Konfiguration auf und kombinieren die Signale. Man kann es sich etwa so vorstellen, dass man ein riesiges Teleskop in viele Einzelantennen splittet. So haben wir 66 Einzelantennen geplant, die man dann über ein Gebiet von 16 Kilometer verteilt und untereinander verschiebt. Auf diese Weise baut man im Grunde ein großes Teleskop.

Weshalb nimmt man die Schüsselform?

Für jeden Wellenlängenbereich der Radiotechnik gibt es optimale Lösungen für die Antenne und deren Richtcharakteristik. Zum Beispiel benutzt man für sehr lange Radiowellen Dipole. Je kürzer die Wellenlänge, umso mehr nähert man sich dem optischen Bereich an; und dann sind Reflektoren von Vorteil, die eine sehr gute Richtwirkung aufweisen und die wir mit der Schüsselform erreichen.

Weshalb lassen sich die Antennen mit Hilfe riesiger Spezialtransporter verschieben?

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen will man ein großes Teleskop über die Zeit hinweg aufbauen – das bezeichnet man als Apertursynthese, weil man die Öffnung (die Apertur) synthetisiert, also langsam aufbaut. Das geht natürlich nur, wenn die Quellen, die man beobachtet, zeitlich nicht variabel sind. Dann spielt es keine Rolle, ob ich in einer Konfiguration häufig beobachte und in der nächsten Woche in einer anderen Konfiguration. Die Daten kann man zusammenfügen.

Zum anderen erhalten wir die Funktion einer Zoomlinse. Das heißt: Wenn man große Gebiete beobachten will, kann man die Teleskope relativ nahe zusammenstellen. So erhält man zwar eine geringe Winkelauflösung, jedoch eine hohe Empfindlichkeit. Will man dagegen eine sehr hohe Winkelauflösung erreichen, postiert man die Teleskope sehr weit auseinander – bis zu 16 Kilometer. Man zahlt dann aber den Preis, dass die Empfindlichkeit geringer wird. Und so kann man die Konfiguration und die Position der Antennen auf die Projekte abstimmen, die man durchführen will.

Wie arbeiten die beiden Spezialtransporter?

Spezialtransporter sind u-förmig und umschließen die Antenne. Diese wird dann an zwei Klammern hydraulisch hochgehoben und hängt im u-förmigen Transporter. Er bringt sie zu einer anderen Antennenstation, von denen wir 192 haben. Mit der Antenne im Griff beträgt die Fahrtgeschwindigkeit maximal 12 Kilometer pro Stunde.

Das Umsetzen der Einzelantenne erfordert natürlich eine gewisse Zeit, weil die Verbindungen gelöst werden müssen, um sie auf den Transporter zu laden. Im Routinebetrieb sollte dieser Prozess zwischen einer halben und einer Stunde dauern, ebenso das Platzieren an der neuen Stelle. Hinzu kommt noch die reine Fahrzeit. Der Transport von 3000 Meter bis zum Antennenfeld auf 5000 Meter Höhe braucht etwa fünf Stunden.

Wie die Antennen relativ zueinander platziert werden, wird natürlich durch die Beobachtungsprojekte lange vorher festgelegt. Man kann sie also nicht auf die Schnelle wie ein Okular am Fernrohr auswechseln. Und: Die laufenden Beobachtungen werden nicht unterbrochen. Es werden nur zwei Antennen aus der Konfiguration herausgenommen.

Transport der Antennen | Der Standort von ALMA befindet sich einer der abgelegensten und extremsten Regionen der Erde: der Hochebene von Chajnantor in der chilenischen Atacama-Wüste. Um die Antennen dorthin zu bekommen, muss ein großer logistischer Aufwand betrieben werden.
Alma beobachtet bei Wellenlängen zwischen 0,3 und 9  Millimeter. Weshalb ist der Submillimeterbereich so interessant?

Weil das Universum hier für uns sehr viele Informationen bereithält. Wir sehen damit kalte Objekte – und das ist nun einmal die Mehrheit im Universum: etwa die größten interstellare Gas- und Staubwolken mit Massen, die jene unserer Sonne bis zu eine Million Mal überragen. Sie sind die Geburtsstätten neuer Sterne und Planetensysteme, die man mit ALMA erforschen kann. Zudem gibt es im Weltraum relativ viele Moleküle; ihre Größenordnung liegt etwa bei zweihundert – darunter auch komplexe organische Moleküle wie Zuckerbausteine, Formaldehyd, Methanol, Blausäure. Diese Moleküle strahlen charakteristische Linien im Submillimeterbereich, was einzigartig ist. Damit kann man beispielsweise kosmische Chemie studieren; man kann auch spekulieren, ob die Lebensbausteine vielleicht aus dem All auf die Erde gekommen sind.

Weshalb hat man sich die Kollision der beiden Antennen-Galaxien ausgesucht?

Beide Galaxien sind relativ groß am Himmel. Damit kann man eine Technik ausprobieren, die Mosaicing heißt. Hierbei werden mehrere Bilder mit dem ALMA-Teleskop aufgenommen und zu einem zusammengesetzt. Weiterhin gibt es in ihnen sehr viel gasförmige Materie, weshalb man auch ein deutliches Signal erhält. Außerdem ist die Struktur sehr interessant.

Was kann außer der kalten Materie noch untersucht werden?

Durch ALMAS hohe Empfindlichkeit, die uns fast die Empfangsfläche eines Fußballfelds bietet – sie umfasst knapp 7000 Quadratmeter – können wir auch sehr schwache Objekte beobachten. Diese sind oft sehr weit entfernt. Und so hoffen wir, mit ALMA bis an den Rand des Universums sehen zu können.

ALMA-Ausbau | Noch steht nur ein Teil der Antennen, der Rest wird in den kommenden Monaten aufgebaut. Dennoch hat ALMA seinen Betrieb schon aufgenommen.
Wir erwarten uns von dort einen Blick auf die ersten Sterne und hoffen, die ersten Galaxien bei der Entstehung beobachten zu können. Wir sehen, dass es Galaxien in verschiedenen Formen gibt, aber wie sie aus der Urmaterie entstanden sind und sich entwickelt haben oder wie ihre chemische Zusammensetzung war, ist nicht bekannt. ALMA kann hier sicher einiges beitragen. Und: Wir können auch Hubbles Ultra Deep Field in einem anderen Spektralbereich ergänzen. So ergänzen sich Hubble und Alma sehr gut.

In wiefern kann AlMA bei der Frage nach der Planetenentstehung weiterhelfen?

Die Theorie besagt, dass aus einer – meist rotierenden – Gaswolke durch bislang noch nicht völlig verstandene Prozesse ein neuer Stern entsteht. Durch diese Rotation flacht die Gaswolke zu einer Scheibe ab, aus der dann eventuell Planeten hervorgehen. ALMA kann diese Staub- und Gasscheiben beobachten, bevor ein Planet entstanden ist und dann die Bedingungen studieren. Man kann Temperaturen messen, die Zusammensetzung, Dichte und Dynamik und damit die Theorie verfeinern. Es besteht die Möglichkeit ist, eine Staubscheibe zu finden, in der ein neu entstehender Planet auf der Bahn die Materie aufgesammelt hat und nur noch wenig davon vorhanden ist. Wenn man das mit ALMA entdecken könnte, kann man wahrscheinlich davon ausgehen, dass hier die Geburt eines Planeten abläuft.

Außer den Europäern und den USA sind zahlreiche weitere Länder an dem Projekt beteiligt. Wie wird die Beobachtungszeit aufgeteilt?

Drei Partnerregionen sind an ALMA beteiligt: Nordamerika, Europa und Ostasien. Nordamerika umfasst die USA und Kanada, Europa ist die ESO mit ihren Mitgliedsländern, Japan und Taiwan vertreten Ostasien. Sie zusammen finanzieren und bauen diese Anlage. Die jeweilige Beobachtungszeit wird durch ein Komitee vergeben, das die besten Wissenschaftler ihres Fachgebiets auf der Welt vereint. Die eingehenden Beobachtungsvorschläge werden nach wissenschaftlicher Qualität geordnet und nach technischen Gesichtspunkten untersucht. Nur die allerbesten Ideen haben eine Chance, Zeit an ALMA zu erhalten. Danach gibt es einen bestimmten Schlüssel, der dafür sorgt, dass über längere Zeiträume die Beobachtungszeit den finanziellen Beiträgen entspricht. Europa und Nordamerika halten deshalb einen Anteil von je 37,5 Prozent, Ostasien bekommt 25 Prozent, und Chile als Gastland 10 Prozent.

Es wird bei den Beobachtungen von "Early Science" gesprochen. Was bedeutet dieser Begriff?

Im Moment bauen wir ALMA noch, bis Ende 2013 wollen wir fertig sein. Nun ist jedoch das wissenschaftliche Interesse bereits sehr groß, weshalb beschlossen wurde, ALMA noch unvollendet schon jetzt für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden: mit 16 von den insgesamt 66 Antennen, die am Ende in Betrieb sein sollen. Während wir parallel das Instrument weiter auf- und ausbauen, werden die fertigen Antennen schon zu Forschungszwecken eingesetzt. Schon jetzt sind diese sechzehn Antennen wesentlich leistungsfähiger als irgendein anderes vergleichbares Observatorium auf der Welt!

Milchstraße über der Atacama | An kaum einem anderen Ort der Welt ist die Luft so klar wie über der Atacama – das macht sie zum idealen Standort für Astronomen.
Welche Rolle spielt beim ALMA-Betrieb das auf 2900 Meter gelegene Operations Support Facility?

Es ist eigentlich das Betriebszentrum. Wegen der schwierigen Bedingungen auf rund 5000 Meter Höhe besitzen wir dort oben nur ein Gebäude, in dem der Korrelator, eine Art Supercomputer, steht. Er kann 17 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde ausführen und verrechnet die Bilddaten jeder Einzelantenne zu einem Gesamtbild. Dieses Gebäude ist übrigens mit Sauerstoff angereichert. Doch der gesamte restliche Betrieb – Kontrollraum, Labors, Wohn- und Schlafräume – befindet sich am OSF. Auf dieser Höhe kann man noch einigermaßen angenehm arbeiten.

Was ist nach ALMAs Endausbau zu erwarten?

Wir erwarten einen Blick bis an den Rand des bekannten Weltalls – unter Umständen sogar die Entdeckung von gerade sich bildenden Planetensystemen und all die vorhin erläuterten Dinge. Man wird sicher neue Moleküle entdecken und neue Sternentstehungsregionen finden, die wir dann auch studieren können.

Was aber bei jedem neuen wissenschaftlichen Instrument interessant ist – das zeigt die Geschichte der Wissenschaft –, sind die Dinge, die man bisher nicht erwartet hatte, die aber ziemlich sicher mit einem neuen Messgerät entdecken werden. Sie können es etwa mit der Situation Galileis vergleichen, als er zum ersten Mal das neu erfundene Fernrohr auf den Himmel richtete und die Monde des Planeten Jupiter entdeckte. Uns dürfte Ähnliches geschehen: Wir werden Dinge sehen, die wir uns nicht einmal erträumt haben.

Herr Wild, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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