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Quantenphysik: Wohl temperiertes Kollektiv

Magnetische Schwingungen in einem Festkörper bilden bereits bei Raumtemperatur eine quantenmechanische Einheit. Ob es sich um ein Bose-Einstein-Kondensat handelt oder eine besondere Form eines Lasers, darüber ist sich die Fachwelt noch nicht ganz einig.
Bose-Einstein-Kondensat in einem Festkörper
Satyendra Nath Bose und Albert Einstein sagten vor gut achtzig Jahren einen extrem ungewöhnlichen Zustand spezieller Materie voraus. Ihren Berechnungen zufolge sollten bestimmte Teilchen, die zur Klasse der nach Bose benannten Bosonen gehören, unter gewissen – meist sehr extremen – Umständen ihre Scheu voreinander verlieren und sich zu einem nicht mehr unterscheidbaren Klumpen zusammenfinden. Dieser ließe sich dann nach den damals noch sehr neuen Regeln der Quantenmechanik als ein einziges Objekt beschreiben. Erst knapp 70 Jahre später, im Jahr 1995, gelang es zwei Arbeitsgruppen um die Physiker Eric Cornell, Wolfgang Ketterle und Carl Wieman fast zeitgleich, ein solches Bose-Einstein-Kondensat zum ersten Mal aus einem Gas von Rubidium- beziehungsweise Natrium-Atomen herzustellen, wofür sie im Jahre 2001 den Nobelpreis für Physik erhielten.

Die Bosonen sind zugleich eine von zwei universellen Teilchensorten, aus denen jegliche Materie besteht – und nach Albert Einstein damit auch alle Energie. Falls sie nicht ruhen, drehen sie sich ähnlich wie ein Brummkreisel, stets aber nach einem ganz speziellen Muster: Ihr Drehimpuls – oder Spin – beträgt immer exakt ein ganzzahliges Vielfaches des von Max Planck im Jahr 1900 in die moderne Physik eingeführten Wirkungsquantums, dessen Entdeckung die Entwicklung der Quantenphysik auslöste. Die Teilchen der anderen Klasse heißen dagegen Fermionen – benannt nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi. Diese scheinen immer mit einem halbzahligen Vielfachen der von Planck gefundenen Naturkonstante zu rotieren, wenngleich sie sich zu Paaren zusammenschließen können, um dann ebenfalls wie Bosonen zu agieren.

Warum es diese zwei grundverschiedenen Spezies im Universum gibt, ist noch immer eines der größten Rätsel dieser Welt. Fakt ist nur, die Teilchen benehmen sich in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. So verhalten sich Fermionen eher wie Billardkugeln oder Apfelsinen: Wo eine liegt, findet keine andere Platz. Bosonen gleichen dagegen eher den Tröpfchen einer Flüssigkeit: Gibt man mehrere zusammen, so vertragen sie sich in aller Regel und bilden ein größeres Pfützchen. Etwas Ähnliches passiert auch bei den Bose-Einstein-Konglomeraten, weswegen die Wortwahl des Kondensats einleuchtet.

Bislang gelang es Experimentatoren, diesen neuartigen Materiezustand nur unter extremen Bedingungen herzustellen. Sie mussten ihre Proben, die meist aus mehreren hunderttausend Atomen bestehen, außerordentlich stark herabkühlen. Temperaturen von wenigen Tausendstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt waren normalerweise ein Muss. Nun hat eine Arbeitsgruppe um Sergej Demokritov von der Universität Münster aber gezeigt, dass es auch anders geht.

Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war die Erkenntnis, dass ein solcher Materiezustand auch erreicht werden könne, wenn man die Dichte eines Gases aus Bosonen erhöhte. Statt mit Atomen oder anderen reellen Teilchen zu experimentieren, untersuchte das Team um Demokritov so genannte Magnonen – Quasiteilchen, die nach den Vorstellungen Albert Einsteins zur Äquivalenz von Masse und Energie in gequantelter Form die Energie magnetischer Schwingungen tragen. Sie kommen daher in magnetischen Stoffen vor.

Für ihre Versuche benutzten Demokritov und seine Kollegen eine hauchdünne, (ferri)magnetische Verbindung aus Yttrium, Eisen und Sauerstoff mit der chemischen Bezeichnung YIG. Sie reagiert recht empfindlich auf Mikrowellenstrahlung. Diese Verbindung legten sie auf einen Metallstreifen, durch den sie eben jene Mikrowellen schickten. Zusammen mit einem von außen angelegten Magnetfeld regten die Wissenschaftler auf diese Weise magnetische Schwingungen in ihrem Material an und erzeugten so zusätzliche Magnonen. Sie erhöhten also deren Dichte im YIG, oder anders gesagt: Sie "pumpten" Magnonen in ihre Probe. Den Erfolg ihrer Bemühungen maßen die Wissenschaftler durch Streuung eines Laserstrahls am YIG, den die Arbeitsgruppe auf das Material richtete und dessen charakteristisch gestreutes Licht sie schließlich analysierten.

Bis zu einer gewissen Pumpleistung des Mikrowellenresonators glichen die Ergebnisse der Streuversuche dem erwarteten, natürlichen Verhalten. Bei höherer Pumpleistung konnten die Forscher ihre Resultate aber nur damit erklären, dass sich einige Magnonen in ihrer Probe zu dem gewünschten Bose-Einstein-Kondensat zusammengefunden haben [1].

Bedeutend ist dieses Ergebnis vor allem deshalb, weil die Forscher ihre Versuchsanordnung bei Raumtemperatur betrieben. Von einer Abkühlung auf ultrakalte Temperaturen wurde vollends verzichtet. Möglich ist das nach Überlegungen der Physiker, weil die hier betrachteten Quasiteilchen eine verhältnismäßig geringe Masse auf die Waage bringen, was deren Neigung zur Komplizenschaft drastisch erhöht.

Auch wenn es in der Fachwelt noch umstritten ist, ob man diesen nun nachgewiesenen Zustand mit Fug und Recht ein Bose-Einstein-Kondensat nennen darf, da beispielsweise durch das Nachliefern von Quasiteilchen die Zahl der Magnonen streng genommen nicht erhalten ist, scheinen sich hiermit neue experimentelle Methoden zu eröffnen. So meint David Snoke von der Universität Pittsburgh beispielsweise, es sei wohl angebrachter, den von der Arbeitsgruppe um Demokritov gefundenen Zustand eher mit Laserlicht zu vergleichen, dessen Quasiteilchen – die Photonen – ebenfalls einen so genannten kohärenten – also gleichförmigen – Zustand einnehmen. Insofern ergeben sich aber auch nach Ansicht von Snoke einige interessante Forschungsansätze. Er denkt dabei an neuartige und wegen der Leichtigkeit der Quasiteilchen zugleich sehr energiesparende Laser, die nicht mit Licht funktionieren, sondern mit diesen andersartigen Schwingungen.

Bose-Einstein-Kondensat in einem Festkörper | Bose-Einstein-Kondensat in einem Festkörper: Gezeigt wird hier die Energieverteilung von so genannten Polaritonen als Funktion der Anregungsdichte vor Überschreiten des Schwellenwertes zur Bildung eines Bose-Einstein-Kondensats (rechts), am Schwellenwert (Mitte) und über dem Schwellenwert (links).
Ähnlicher Ansicht ist BenoÎt Deveaud-Plédran von der Technischen Hochschule Lausanne, der zusammen mit seiner Arbeitsgruppe jetzt ebenso ein Bose-Einstein-Kondensat in einem Festkörper erzeugt haben will [2]. Er verwendete so genannte Polaritonen, die Quanten von Gitterschwingungen in einem aus Ionen bestehenden Kristall. Doch musste er seine Probe – eine Halbleiterverbindung aus den chemischen Elementen Kadmium, Tellur und Magnesium – noch auf 19 Kelvin kühlen.

Der Schweizer Physiker kann sich beispielsweise vorstellen, dass in Festkörpern gehaltene Bose-Einstein-Kondensate einmal in so genannten Quantencomputern die Informationsverarbeitung übernehmen. Diese sollen künftig nicht nur binär mit den klassischen Nullen oder Einsen rechnen, sondern ebenso mit Zwischenwerten, was sie deutlich leistungsstärker macht. "Mitte des 20. Jahrhunderts haben Transistoren die Vakuumröhren ersetzt", meint Deveaud-Plédran. "Nun sind die meisten der äußerst nützlichen Gerätschaften aus Festkörpern hergestellt." Und mit Polaritonen oder gar Magnonen lässt sich in fünfzig Jahren eventuell ähnlich leicht umgehen wie heute mit Elektronen.

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