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Chronische Erkrankungen: Wunder Darm

Würde man die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen mit einem Puzzle vergleichen, wäre dies heute alles andere als fertig. Immerhin konnten Forscher nun ein weiteres passendes Teil einsetzten. Trotzdem bietet das fertiggestellte Puzzlefragment noch kein endgültiges Gesamtbild.
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"Ich finde mein Leben nicht mehr lebenswert, kapsle mich immer mehr von allen ab. Früher war ich eine totale Quatschtante und nun rede ich nur noch das Nötigste", schreibt eine Betroffene im Forum der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung. Ihr macht eine Krankheit das Leben zur Hölle, unter der immerhin rund 300 000 Menschen in Deutschland leiden. Der großen Allgemeinheit sagt sie dennoch nichts.

Diese Kranken plagt eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED). Die beiden häufigsten Formen heißen Morbus Crohn, bei der meist der Dünndarm betroffen ist, und Colitis ulcerosa, bei der sich der Dickdarm entzündet. Die CED treten in Schüben auf, bei denen die Patienten schlimme Bauchschmerzen bekommen, oft stark abnehmen und von Durchfall geplagt werden, der bei Colitis ulcerosa häufig auch noch blutig ist. Die meisten Betroffenen erkranken zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und wer sie einmal hat, wird Morbus Crohn und Co sein Leben lang nicht mehr los.

Relativ sicher ist, dass das Immunsystem der Patienten in irgendeiner Weise verrückt spielt. Wahrscheinlich dringen Bakterien aus dem Stuhl in die Darmwand ein und der Körper weiß sich nicht anders zu wehren als mit einer Entzündungsreaktion. Im schlimmsten Fall wird die Darmwand dadurch sogar regelrecht löchrig.

Entzündungsherde bei CED | Modell des Dünn- und Dickdarms: Stellen, die bei den beiden wichtigsten Vertretern der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Inflammatory Bowel Disease) betroffen sein können, sind rot gefärbt. Links: Colitis ulcerosa; Rechts: Morbus Crohn
Die Ursachen liegen zum Großteil noch im Dunklen, aber "es gibt auf jeden Fall eine genetische Komponente", sagt eine der deutschen CED-Expertinnen, Susanna Nikolaus von der Uniklinik Schleswig Holstein in Kiel. "Möglicherweise spielt aber auch die Umwelt eine große Rolle. Denn mit zunehmender Industrialisierung nahmen solche Krankheiten zu", ergänzt sie.

Ein kompliziertes Szenario – allein auf genetischer Ebene spielen mit Sicherheit Defekte in unterschiedlichsten Genen zusammen, von denen viele noch unbekannt sind. Am meisten weiß man bisher vom CARD15(NOD2)-Gen. Es enthält die Bauanleitung für das NOD2-Protein, das andere Eiweiße anregt, die antimikrobiellen Defensine. Diese zerstören die Bakterien in der Darmwand. Etwa ein Fünftel der Morbus-Crohn-Patienten trägt aber eine Mutation im NOD2-Gen, wodurch ihre Darmwand nicht mehr richtig geschützt ist.

Was ist aber mit den restlichen vier Fünftel der Erkrankten? Auf der Suche nach weiteren Genen haben sich nun Forscher unterschiedlicher Universitäten zusammengetan und das gesamte menschliche Genom nach Auffälligkeiten durchkämmt. Sie verglichen 300 000 Variationen im genetischen Kode, so genannte SNPs (single nucleotide polymorphisms), von rund 540 Kranken und genauso vielen Gesunden. Ihr Ziel war es, Varianten zu finden, die bei Kranken häufiger vorkommen und deshalb wahrscheinlich mit der Veranlagung für die Entzündungskrankheiten zu tun haben.

Innenansicht eines gesunden Darms | So sieht ein gesunder Darm von innen aus. Das Bild ist bei einer Darmspiegelung (Koloskopie) entstanden.
Erwartet hatten sie unter anderem Defekte in Genen, die mit den so genannten Interleukinen zusammenhängen, da sie eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen. Interleukine (IL) sind Botenstoffe, durch welche die verschiedenen Zelltypen der Körperabwehr miteinander kommunizieren. Trägt eine Zelle den passenden Rezeptor für das jeweilige Interleukin, kann der Stoff binden und sie darüber zu einer Aktion anregen. Tatsächlich identifizierten die Forscher "verschiedene genetische Signale im Gen für den Interleukin-23-Rezeptor, die stark mit Morbus Crohn zusammenhingen", wie Richard Duerr von der Universität Pittsburgh erzählt.

"Wir wissen, dass der IL-23-Rezeptor wichtig bei der Aktivierung von Entzündungen ist, auch in Organen des Verdauungstraktes", fährt Judy Cho von der Yale Universität in New Haven fort. IL-23 kurbelt einen wichtigen Zelltyp der Körperabwehr an, die T-Helferzellen. Bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten greifen diese Zellen dadurch körpereigenes Gewebe an, was sich unter anderem in einer Entzündung äußert. Es könnte also gut sein, dass IL-23 die T-Helferzellen auch bei Morbus Crohn dazu anstiftet.

Eine ihrer Entdeckungen überraschte die Forscher allerdings ziemlich: Sie fanden nicht nur IL-23-Rezeptor-Varianten, die spezifisch bei den Kranken auftauchten, sondern auch eine bei den Gesunden, die sie in irgendeiner Weise gegen CED zu schützen scheint. Kann diese Variante den Botenstoff vielleicht schlechter binden, wodurch es zu keiner Entzündung kommt?

Darm eines Morbus-Crohn-Patienten | Im fortgeschrittenen Stadium bilden sich im Darm von Morbus-Crohn-Erkrankten so genannte Pseudopolypen, glatte Schleimhautvorwölbungen. Auf diesem Bild sieht man solche Polypen. Es entstand bei der Darmspiegelung eines Betroffenen während eines akuten Schubs.
In das IL-Geschehen einzugreifen und IL-23 zu blockieren scheint jedenfalls eine gute Idee zu sein, worauf erste klinische Tests von Peter Mannon vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda und Kollegen aus dem Jahr 2004 hinweisen. Die Wissenschaftler zeigten, dass sich die Symptome von Patienten verbesserten, wenn sie einen monoklonalen Antikörper gegen eine Untereinheit von IL-23 verabreicht bekamen. Cho und Kollegen hoffen, dass sich diese Therapie dank ihrer neuen Erkenntnisse jetzt noch verbessern lässt. Doch Vorsicht ist angebracht, denn es gibt auch eine Studie, in der sich die Krankheit bei Mäusen ohne IL-23 verschlechterte. Aber auch eine der heute schon recht gebräuchlichen Therapien greift ähnlich ein. Dabei blockt das Medikament Infliximab einen anderen wichtigen Entzündungs-Botenstoff, der TNF-alpha heißt.

In letzter Zeit werden jedoch auch immer mehr alternative Ansätze entwickelt. Ein solcher ist die Würmertherapie. Klingt zwar ziemlich eklig, scheint aber ebenfalls zu wirken. Nikolaus erklärt: "Die Patienten schlucken die Eier des Schweinepeitschenwurms (Trichuris suis) und dann schlüpfen die Würmer im Dünndarm. Da der Mensch ein Fehlwirt ist, können sie sich nicht vermehren. Das heißt, sie leben ihr Leben dort im Darm und sterben dann ganz normal ab." Diese Tierchen stimulieren das Immunsystem, das dann verschiedene Botenstoffe abgibt.

Die Erfolge der Würmertherapie und die Erkenntnisse über NOD2 lassen darauf schließen, dass das Immunsystem bei den Betroffenen zu lasch reagiert, diejenigen über IL-23 und TNF-alpha hingegen, dass das Immunsystem überreagiert. Ein Paradoxon, das sich zum Teil durch die komplexe Wirkweise unserer Körperabwehr erklären lässt. Es kommt immer darauf an, was für eine Komponente im Immunsystem verrückt spielt – eine die es unterstützt oder eine die es hemmt. Die Entstehung von CED ist also vermutlich extrem heterogen. Nikolaus fasst es so zusammen: "Es gibt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eine, sondern mehrere Wahrheiten."

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