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Hirnforschung: Zurück auf Los

Wer viel lernt, der braucht auch mal eine Pause. Diese alte Schülerweisheit findet endlich neurobiologische Unterstützung: Denn Ratten nutzen schöpferische Pausen, um ihre Erinnerungen wieder abzuspielen - und zwar rückwärts.
Rennende Ratte
Examenszeit. Ein beeindruckender Stapel dicker Lehrbücher lauert auf dem Schreibtisch. Voller Tatendrang und gewillt, diesmal wirklich von morgens bis abends durchzupauken, stürzt sich das Opfer in die Arbeit, öffnet den ersten Wälzer und beginnt zu lesen. Und liest. Und liest den gleichen Satz jetzt zum dritten Mal. Der Blick schweift ab, wendet sich zum Fenster. Draußen singt eine Amsel. Der Mann, der gerade um die Häuserecke biegt, war das nicht Herr Meyer mit seinem Hund? Und überhaupt: Man sollte doch mal wieder spazierengehen ...

Kommt Ihnen das bekannt vor? Vermutlich haben Sie sich beim Versuch, Ihrem Gehirn neue Informationen einzutrichtern, auch schon einmal dabei ertappt, dass Ihr Geist nach einer schöpferischen Pause verlangt. Doch Sie brauchen deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Denn es könnte sein, dass es gerade diese Pausen sind, die das Gehirn braucht, um Gelerntes zu festigen. Zumindest deuten die Experimente von David Foster und Matthew Wilson darauf hin.

Die beiden Hirnforscher vom Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge wollten wissen, was im Kopf einer Ratte vor sich geht, wenn sie lernt – und wenn sie Pause macht. Dazu implantierten sie in den Hippocampus von vier Nagern feine Elektroden, um damit die Aktivität von etwa hundert Nervenzellen direkt messen zu können. Dieses Hirnareal, das seinen Namen seinem seepferdchenartigen Äußeren verdankt, gilt als wichtige Schaltstelle für das Lernen. Ist es geschädigt, dann gelangen Kurzzeiterinnerungen nicht mehr in das Langzeitgedächtnis.

Die Forscher schickten nun ihre verkabelten Versuchstiere durch ein Labyrinth, an dessen Ende ein Leckerbissen wartete, und zeichneten die Hippocampusaktivitäten auf, während die Tiere ihren Weg zum Futter lernten. Erwartungsgemäß feuerten die Hirnzellen dabei in einer typischen, reproduzierbaren Art und Weise.

Danach ließen es sich die Ratten gut gehen, futterten ihre Belohnung, putzten ihr Fell oder taten einfach – gar nichts. Doch im Hippocampus zeigte sich keinerlei Müßiggang. Im Gegenteil: Die Hirnzellen wiederholten in Sekundenbruchteilen das vorherige Muster – allerdings rückwärts. Wie beim schnellen Rücklauf eines Videorekorders schien der Hippocampus seine Lektion zurückzuspulen.

Hirnforscher wissen schon lange, dass der Hippocampus auch im Schlaf Erlerntes wiederholt und damit das Gedächtnis konsolidiert. Ähnlich könnte ein schnelles Rückspulen im Wachzustand die Erinnerung festigen, vermuten Foster und Wilson. Dabei macht die umgekehrte Reihenfolge der Nervenaktivität durchaus Sinn: Denn sobald die Ratten das Futter im Labyrinth entdeckt hatten, belohnten sie sich mit einer kräftigen Dopamin-Schüttung. Bei der Rekapitulation beginnen sie mit dem belohnenden Aktivitätsmuster – gemäß dem Motto: "Da will ich hin!"

Falls auch der Mensch über einen solchen Rückspulmechanismus des Gedächtnis verfügt, könnte dies die Lernschwierigkeiten erklären, unter denen beipielsweise hyperaktiven Kinder leiden: Vielleicht, so spekulieren die Forscher, fehlen hier einfach die nötigen Ruhepausen. Insofern könnte ein ausgiebiger Spaziergang nach fleißiger Lehrbuchlektüre durchaus sinnvoll sein.

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