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Künstliches Leben: Zwei neue Buchstaben im Erbgut

Ein menschengemachtes Basenpaar erzeugt ein künstliches Protein: Die erste echte Erweiterung des genetischen Kodes. Beginnt damit die Ära künstlicher Organismen - oder ist es nur Spielerei?
Erbgut

Ein halb künstliches Bakterium erzeugt unnatürliche Proteine mit Hilfe eines menschengemachten neuen Basenpaars im Erbgut. Das berichtet jetzt eine Arbeitsgruppe um Floyd E. Romesberg vom Scripps Research Institute in Kalifornien in der Zeitschrift "Nature". Das Team hatte bereits 2014 Schlagzeilen gemacht, als es das künstliche dritte Basenpaar dNaM–dTPT3 zusätzlich zu A-T und C-G ins Erbgut einfügte. Zu jener Zeit jedoch waren die neuen Buchstaben dNaM und dTPT3, von Romesberg mit X und Y abgekürzt, funktionslose Sonderzeichen. Erst mit der jetzt vorgestellten neuen Technik tragen sie Information: Sie sind Teil von zwei neuen Basenkombinationen, die die unnatürlichen Aminosäuren Propargyllysin (PrK) und Azidophenylalanin (pAzF) in Proteine einbauen. Wie die Arbeitsgruppe berichtet, übersetzt die veränderte Zelle die künstlichen Basen originalgetreu in RNA und übersetzt sie im Ribosom mit Hilfe spezieller tRNA in ein fluoreszierendes Protein mit künstlichen Bauteilen. Die Übertragung sei hochpräzise, heißt es in der Veröffentlichung.

Jener Text des Erbguts, der in Proteine übersetzt wird, besteht aus vier Buchstaben: C, T, G und A. Bereits seit zwei Jahrzehnten forschen Arbeitsgruppen an Möglichkeiten, dieses Repertoire zu erweitern, darunter auch jene von Romesberg, die bereits 2014 das Erbgut von E. coli um die beiden neuen DNA-Bauteile dNaM und dTPT3 erweiterten. Es reicht allerdings nicht, nur zwei neue Moleküle ins Erbgut einzuschleusen. Das zusätzliche Basenpaar darf die Bakterien nicht an der Vermehrung hindern, und es muss Zellteilungen überstehen, ohne wieder verloren zu gehen. Erst seit Ende 2016 erfüllt Romesbergs Bakterium diese Kriterien. Vor allem müssen die neuen Buchstaben auch in RNA übertragen und im Ribosom korrekt als ausgelesen werden – erst dann handelt es sich um genetische Information.

Um diese Bedingung zu erfüllen, stellte das Team dem veränderten Erbgut eine ganze Palette Hilfsmoleküle zur Seite: Künstliche DNA- und RNA-Bausteine, gezielt veränderte Hilfsproteine wie Molekültransporter und Enzyme zur Verarbeitung der RNA sowie eine tRNA, die anhand der künstlichen Basen eine der neuen Aminosäuren an eine wachsende Eiweißkette hängt. Damit hat das Basenpaar als Erstes auch eine biologische Bedeutung, statt einfach nur zum höheren Ruhm der Wissenschaft in einem Genom herumzuhängen. Ob die Arbeit von Romesbergs Team langfristig auch für praktische Anwendungen bedeutsam ist, lässt sich aber bisher noch nicht absehen. Einerseits bietet ein erweiterter genetischer Kode Raum für Dutzende neue Aminosäuren, die in maßgeschneiderte Proteine mit neuen Eigenschaften eingebaut werden könnten. Andererseits sind wohl bei den meisten möglichen Anwendungen der Technik einfachere Verfahren möglich, die das Gleiche mit weniger Aufwand leisten.

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