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Herpetologie: Zwiespältiger Seitensprung

Trockenheit ist Gift für Amphibien - erst recht, wenn ihr Nachwuchs deswegen verdorrt. Um dies zu verhindern, geht eine Schaufelfußkrötenart in der Not sogar artfremd und rettet damit ihre Brut. Aber zu einem erheblichen Preis.
Amerikanische Spatelfußkröte
Der amerikanische Westen gilt als harsches Terrain – auch und gerade für Amphibien, die für sich und ihren Nachwuchs zumindest feuchte Phasen und kleine Tümpel brauchen. Ohne diese Oasen gäbe es in der wüstenhaften Umgebung kein Überleben. Dennoch trotzen einige Lurche den unwirtlichen Bedingungen, so wie die Amerikanischen Schaufelfußkröte (Spea bombifrons), die ihren Namen wegen ihres harten, spatenartigen Hinterfußes trägt. Mit ihm gräbt sie sich während lebensfeindlicher Dürren im Boden ein, um im feuchten Substrat trockene Perioden auszusitzen.

Balzende Schaufelfußkröte | In Zeiten, in denen eine rasche Austrocknung von Dürren droht, vermählen sich weibliche Amerikanische Schaufelfußkröten (Spea bombifrons) lieber mit männlichen Gebirgs-Schaufelfußkröten (Spea multiplicata) als mit den eigenen Artgenossen – selbst wenn diese am Tümpelrand im Weg sitzen, während sich die fremde Konkurrenz im Teichinneren tummelt.
Spenden durchziehende Regenfronten dann einmal ausreichend Nass, kehren die Kröten aus ihren unterirdischen Behausungen zurück, verpaaren sich und legen ihre Eier in neu entstandene Tümpel, die sich nun an vielen Stellen der Wüste ausbreiten. Ein heikler Poker mit dem Leben der Quappen: Nur zu oft trocknen die frischen Feuchtbiotope wieder aus, bevor die Jungfrösche ausgereift und bereit für den Rückzug ins Erdreich sind.

Doch Spea bombifrons entwickelte eine Strategie, dieses Vabanque-Spiel zu ihren Gunsten zu beeinflussen, wie Karen Pfennig von der Universität von North Carolina in Chapel Hill jetzt entdeckt hat: Die Weibchen paaren sich bisweilen mit den ihnen nahe verwandten Gebirgs-Schaufelfußkröten (Spea multiplicata).

Gewitterschauer in der Wüste | Wasser ist ein kostbares Gut in der Wüste – gerade für Amphibien. Geht ein Schauer nieder und füllt eine Senke, sind bald auch Kröten da, um in dem flüchtigen Nass ihren Nachwuchs zu gebären.
Damit widersprechen sie allerdings dem gängigen biologischen Artkonzept, nach dem eine Spezies nur dann als eigenständig gilt, wenn sich ihre Mitglieder ausschließlich untereinander fortpflanzen. Und sollten sie dennoch einmal fremdgehen, so sollte der Nachwuchs kaum lebensfähig oder steril sein – alle anderen Verhaltensmuster oder Fortpflanzungserfolge würden bedeuten, dass die beiden Arten eigentlich noch zusammengehören.

Die Verbindung aus beiden Spatelfußkröten bringt aber tatsächlich fruchtbare Sprösslinge hervor, die wiederum die vermischten Genome weitergeben können. In manchen Gegenden machen die Hybride bis zu vierzig Prozent des Bestands aus. Den einzigartigen Charakter der Art stellen sie damit in Zweifel.

Kurzzeitiges Lebenselixier | Schnell verdampft das Wasser in der Wüste, deshalb müssen sich die Lurche mit ihrer Metamorphose beeilen. Den Gebirgs-Schaufelfußkröten gelingt dies zügiger als den Amerikanischen.
Spea bombifrons unternimmt diesen Schritt allerdings nur aus Liebe zu ihrem Nachwuchs: Reine Bombifrons-Kaulquappen benötigen einfach länger für ihre vollständige Metamorphose als ihre Multiplicata-Kollegen. Mit der artfremden Paarung und dem entsprechenden Genaustausch beschleunigt sich jedoch die Entwicklung der vermischten Krötenkinder, die zeitlich nun genau in der Mitte zwischen den Entwicklungszeiten ihrer Eltern erwachsen werden – ihre Überlebenswahrscheinlichkeit steigt.

Ob sie sich mit den Gebirgs-Schaufelfußkröten paaren, machen die Amerikanischen Schaufelfußkröten stets von den vorherrschenden Umweltbedingungen abhängig, wie Pfennig anhand von Experimenten herausgefunden hat. Simulierte die Wissenschaftlerin feuchte Perioden oder tiefe Tümpel, in denen auch ihre langsamen Quappen gute Entwicklungschancen hatten, vermählte sich Spea bombifrons fast nur mit Ihresgleichen. Unter ungünstigen äußeren Umständen tendierten die Lurchdamen dagegen stark zum Seitensprung.

Geschafft | Diese Kaulquappe hat ihre Wandlung zum Erwachsenen fast gänzlich geschafft und steigt an Land, um vor der Trockenheit in den Boden zu fliehen. Ihre Artgenossen (die kieselartigen Elemente links) haben wahrscheinlich weniger Glück und vertrocknen.
Die Zahl der Mischehen kann also von Jahr zu Jahr beträchtlich schwanken. Beeinflusst wird das Paarungsverhalten zudem durch den physischen Zustand der Weibchen: Je schwächer sie waren, desto ausgeprägter fiel der Trend zum Fremdgehen aus. Ein Trend, der einer Einbahnstraße gleicht: Weibliche Gebirgs-Schaufelfußkröten ließen sich nur selten von artfremden Männchen begatten.

Die erhöhten Überlebensaussichten der Mischlinge haben allerdings ihren Preis, denn ihr späterer eigener Fortpflanzungserfolg ist unsicher: Viele hybride Männchen sind steril, und die gekreuzten Weibchen legen weniger Eier als ihre artreinen Halbschwestern, was auf Dauer das Überleben der Art oder zumindest der Population in Frage stellen könnte. Die Amerikanischen Schaufelfußkröten müssen also stets abwägen, wann sie sich mit wem einlassen und wann nicht – eine fakultative Paarungsstrategie, wie es Pfennig ausdrückt. Dem biologischen Artkonzept fügen Sie damit allerdings noch eine weitere schillernde Facette hinzu.

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