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Das Innenleben des Oktaederstumpfs

Treitz-Rätsel

Bekanntlich kann man von einem regulären Oktaeder an allen 6 Ecken Pyramiden von 1/3 seiner Kantenlänge abschneiden und bekommt den archimedischen (und daher halbregulären) Oktaederstumpf mit seinen 8 Sechsecken und 6 Quadraten.

Wenn man aber die Pyramiden nach innen klappt, landen ihre Spitzen an 6 Stellen, die wegen der Symmetrie wieder die Ecken eines regulären Oktaeders bilden, und seine Kantenlänge ist die gleiche wie die des Stumpfes, also 1/3 der ursprünglichen.

In dieser Figur tauchen einige Rechtecke auf, die aus Quadraten bestehen. Wenn man nun nach den Diagonalen des Oktaederstumpfes (mit lauter gleich langen Kanten und voller Symmetrie des Oktaeders) fragt, also nach ihre Längen und den Anzahlen zu den jeweiligen Längen, so findet man höchst Erstaunliches.

Ein Polyeder mit \(e\) Ecken und \(k\) Kanten hat \(e\cdot(e-1)/2 – k \) Diagonalen, oder wenn man die Kanten mitzählt, \(e\cdot(e – 1)/2\) (die 2 steht im Nenner, weil jede Kante zwei Ecken verbindet und daher doppelt erfasst wird). Für \(e = 24\) und \(k = 36\) gibt das \(12\cdot 23 – 36 = 240\) Diagonalen. Einige von ihnen liegen in den Quadraten und Sechsecken der Oberfläche und sind daher leicht zu berechnen. Die Berechnung der anderen wird sehr stark vereinfacht (was ich aber erst hinterher gemerkt habe ...), wenn man den mit unserem Bild leicht bestimmbaren Durchmesser der Umkugel und den pythagoreischen Satz benutzt.

Fangen wir mit dem Durchmesser der Umkugel an. Dazu vergewissert man sich zuerst anhand der Symmetrie und der Schneidevorschrift der Tatsache, dass der Stumpf überhaupt eine Umkugel hat.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Aus unserem Bild sieht man, dass (je!) zwei einander gegenüberliegende Kanten ein Rechteck mit der dreifachen Kantenlänge als langer Seite bilden. Ihre Diagonale hat die Länge \(a\sqrt{10}\) – wenn \(a\) die Kantenlänge ist – und ist der Durchmesser \(d\) der Umkugel. Wenn die Ecken \(A\) und \(B\) einander genau gegenüberliegen und \(C\) eine weitere Ecke des archimedischen Polyeders ist, dann liegen \(A\), \(B\) und \(C\) auf einem Großkreis der Umkugel. \(A\) und \(B\) bilden die Enden eines Halbkreises, also ist nach dem Satz des Thales der Winkel bei \(C\) ein Rechter, und der pythagoreische Satz sagt uns: \(AB^2=AC^2+BC^2\). Haben wir also eine Diagonale \(AC\), dann ist die zugehörige \(BC\) leicht zu berechnen.

Zu jeder Ecke gibt es 2 Ecken, die von ihr so weit wie von der entgegengesetzt liegenden entfernt sind (betrachten Sie dazu das "Schweizer Kreuz" aus 5 Quadraten), es gibt also 2 mal 12 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{5}\) (was man auf zwei Wegen finden kann). Diese 24 Diagonalen bilden (also) 6 Quadrate um den Mittelpunkt.

Damit haben wir das Schwierigste schon erledigt. Sehr einfach sind die Flächendiagonalen des Quadrats \(a\sqrt{2}\) (12-mal) und des Sechsecks \(a\sqrt{3}\) (48-mal) und \(2a\) (24-mal).

Nun kommt sozusagen der Hammer: Wegen des Umkugeldurchmessers und der Punktsymmetrie des Ganzen folgt daraus, dass es auch 12 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{8}\), 48 der Länge \(a\sqrt{7}\) und 24 der Länge \(a\sqrt{6}\) gibt.

Vergessen wir schließlich nicht die Gegenpunkte zu den Nachbarn: Den 36 Kanten entsprechen sozusagen ebenso viele Diagonalen der Länge \(3a\), und der Umkugeldurchmesser kommt 12-mal als Diagonale vor. Damit haben wir unsere 240 Diagonalen zusammen.

Als Tabelle sieht das dann so aus:

Anzahl 36 12 48 24 24 24 48 12 36 12
Länge a\(\sqrt{1}\) (Kanten) a\(\sqrt{2}\) a\(\sqrt{3}\) a\(\sqrt{4}\) a\(\sqrt{5}\) a\(\sqrt{6}\) a\(\sqrt{7}\) a\(\sqrt{8}\) a\(\sqrt{9}\) a\(\sqrt{10}\)(Durchm.)

Die Links-Rechts-Symmetrie dieser Tabelle folgt aus der Symmetrie des Polyeders mit Umkugel.

Eine bemerkenswerte Eigenschaft des Oktaederstumpfes scheint mir aber zu sein, dass hier bei den Längen der Kanten und Diagonalen alle ganzen Zahlen von 1 bis 10 unter der Wurzel auftreten. Wer hätte das gedacht!

Es kommt aber noch besser!

Wenn man eine Diagonale, die zugleich Durchmesser ist, in 10 gleiche Teile teilt und durch die Teilpunkte Ebenen rechtwinklig zu dieser Diagonalen legt, so liegen alle 24 Ecken in diesen 11 Ebenen. Anders gesagt: Wenn man den Oktaederstumpf an einer Ecke festbindet und dann in Schritten von je 1/10 des Umkugeldurchmessers stufenweise tiefer ins Wasser tunkt, so liegen jeweils 1 bis 4 Ecken in der Wassseroberfläche, und es bleibt keine übrig. Auch das bestätigt sich leicht mit dem Kathetensatz und dem Umkugeldurchmesser.

Das Stereobild zeigt durch gleiche Farben an, welche Ecken gleich weit von der weißen oder von der dunkelgrauen Ecke entfernt sind:

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Dass sich die Ecken in 4 gleichabständigen Ebenen parallel zu den Sechsecken und ebenso in 5 gleichabständigen Ebenen parallel zu den Quadraten befinden, sieht man dagegen fast durch bloßes Hingucken, und auch das hebt den Oktaederstumpf heraus: Andere Polyeder haben entweder ungleiche Abstände der Ebenen oder deutlich weniger Ebenen (der Würfel hat zwar 4 Ebenen, aber in den beiden äußeren sitzt nur je eine Ecke). 11 Ebenen mit 10 gleichen Abständen – obendrein beim etwas schiefgestellten Polyeder – finde ich aber schon eine ziemlich beachtliche Eigenschaft des Oktaederstumpfes.

Hier sehen Sie ein gelbes Oktaeder, das zu einem rosa Stumpf "zugeschnitten" wurde. Eine durch die Mitte gehende Diagonale ist in Portionen zu je 1/10 blau-gelb-gestreift, die Teilungspunkte sind mit den jeweiligen Ecken des Oktaedertumpfes mit Wollfäden "verknüpft", die jeweils eine (hier im Bild leichtgeneigte) Ebene bilden. Außerdem ist noch ein Quadrat aus Diagonalen der Länge \(a\sqrt{2}\) durch gelbe Fäden markiert.

Hier ist noch ein etwas handfesteres Modell mit anderen Farben zu sehen:

In den folgenden Animationen – bitte die Bilder anklicken! - sind jeweils Diagonalen gleicher Länge zu sehen, und dabei hervorgehoben (in der bunten Version) die von einer bestimmten Ecke ausgehenden:

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

12 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(2)}\), von jeder Ecke eine.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

48 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(3)}\), von jeder Ecke 4.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

24 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(4)}\), von jeder Ecke 2.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

24 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(5)}\), von jeder Ecke 2.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

24 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(6)}\), von jeder Ecke 2.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

48 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(7)}\), von jeder Ecke 4.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

12 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(8)}\), von jeder Ecke eine.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

36 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(9)}\), von jeder Ecke 3.

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

12 Diagonalen der Länge \(a\sqrt{(10)}\), von jeder Ecke eine.

In der Parallelprojektion in Richtung einer Diagonalen des zugehörigen vollständigen Oktaeders (dessen Kanten orange gestrichelt erscheinen) kann man alle Rechnungen pythagoreisch im Kopf nachvollziehen. Die violette Linie ist eine maximale Diagonale durch den Stumpf, die grünen Linien zeigen die Ebenen rechtwinklig zu ihr, die schwarzen Kleckse ohne Umrandung sind Ecken des Oktaederstumpfes in der Zeichenebene, die umrandeten je eine vor und eine hinter dieser Ebene.

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