Direkt zum Inhalt

Ikosaeder im Oktaeder

Treitz-Rätsel
© Norbert Treitz
© Norbert Treitz

Hier wandert auf jeder der 12 Kanten eines Oktaeders ein Teilungspunkt in der Weise, dass in jedem Augenblick auf den Oktaederflächen kleinere gleichseitige Dreiecke erscheinen. Wenn die Teilungspunkte genau in den Kantenmitten liegen, sind diese Dreiecke am kleinsten.

Alternativ kann man sich vorstellen, dass das gleichseitige Dreieck stets gleich groß bleibt und dafür das Oktaeder entsprechend an- und wieder abschwillt. Dann hat man acht Dreiecke, die nur zu je zweien an ihren Ecken miteinander verbunden sind. Im "Ruhezustand" bilden sie ein Oktaeder; aber man kann sie sozusagen aufklappen, wobei sich immer größere Spalte zwischen ihnen auftun und wieder schließen, bis die Dreiecke schließlich in anderer Anordnung wieder ein Oktaeder bilden: das berühmte Heureka-Oktaeder.

In der "Mittelstellung" (wandernder Teilungspunkt in der Kantenmitte bzw. größte Öffnung des Heureka-Oktaeders) ist die Figur mit den 12 Ecken ein Kuboktaeder, das bekanntlich 24 Kanten und 14 Flächen hat. Davor und danach gibt es aber 6 zusätzliche Kanten, da die Quadrate des Kuboktaeders sich dann in zwei gegeneinander geknickte Dreiecke aufspalten, also eine Figur mit (immer noch) 12 Ecken, aber nun 30 Kanten und 20 Dreiecken. Das sieht wie ein Ikosaeder aus, aber gibt es auch Teilungsverhältnisse der Oktaederkanten, bei denen es genau ein regelmäßiges Ikosaeder ist?

Wenn es um Ikosaeder (oder Dodekaeder oder auch nur einfach um ein regelmäßiges Fünfeck) geht, ist der goldene Schnitt nie ganz weit.

Sie können es aber auch rechnen: Nennen Sie das Verhältnis des größeren Abschnitts zur ganzen Oktaederseite \(x\). Beachten Sie dann die verschiedenen (aber sehr einfachen) Winkel zwischen den Kanten des Oktaeders und wenden Sie den Cosinussatz an.

Eine Ikosaederkante bildet mit einem langen und einem kurzen Abschnitt der Oktaederkante ein Dreieck innerhalb einer (dreieckigen) Oktaederfläche und hat mit dieser einen Winkel von 60o gemeinsam. Es trifft sich günstig, dass cos 60o=1/2 ist. Außerdem bildet eine Ikosaederkante mit zwei kurzen Abschnitten der Oktaederkante ein gleichschenklig-rechtwinkliges Dreieck; dieses liegt innerhalb einer Symmetrieebene des Oktaeders. Das ergibt mit dem Cosinussatz zwei Gleichungen. Unter der Voraussetzung, dass alle Kanten des Ikosaeders gleich sind, kann man sie lösen und erhält den "goldenen Schnitt" \(x = (\sqrt5 – 1)/2 \). Wegen der sonst noch vorliegenden Symmetrien folgt daraus auch, dass das Ikosaeder regulär ist.

Es geht auch mit etwas weniger Algebra: Wenn man dem regulären Ikosaeder eine "Kappe" aus fünf Dreiecken, die alle an eine Ecke grenzen, abschneidet, kommt ein regelmäßiges Fünfeck zum Vorschein. Dessen Diagonalen stehen zu den Ikosaederkanten wie üblich im Verhältnis des goldenen Schnitts. In dem Bild findet man nicht nur das oben angesprochene gleichschenklig-rechtwinklige Dreieck aus Ikosaederkante und zweimal dem kurzen Oktaederkantenabschnitt, sondern auch ein dazu ähnliches aus Fünfecksdiagonale und zweimal dem langen Oktaederkantenabschnitt. Daraus folgt die Behauptung.

© Norbert Treitz
© Norbert Treitz

Ich gebe ja zu, dass ich die Spekulationen über die ästhetische Bedeutung des goldenen Schnitts bei den Proportionen von Gesichtern, menschlichen Figuren oder Rathäusern von der Renaissance bis Le Corbusier für ziemlichen Mumpitz halte. Ob wohl jeder, der davon schwärmt, mit bloßen Augen den goldenen Schnitt vom DIN-Papierformat unterscheiden kann?

Die "goldene Zahl" ist eben die Zahl, die als Längenverhältnis von Diagonale und Seite im regelmäßigen Fünfeck auftritt, ebenso wie die Wurzel aus 2 im Quadrat. Dass sie nun bei einigen Polyedern, in denen Fünfecke vorkommen, auftritt, ist nicht so erstaunlich, wenn es nicht gerade so hinterrücks geschieht wie bei unserem Oktaeder. Das finde ich denn doch faszinierend (ähnlich wie das Auftreten der Kreiszahl bei der Glockenkurve der Statistik).

Bisher haben wir das Ikosaeder im Oktaeder einbeschrieben gefunden, genauer: die Ecken des Ikosaeders lagen auf den Kanten des Oktaeders. Wie sieht es aus, wenn die Ecken des Oktaeders auf den Kanten des Ikosaeders liegen sollen?

© Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Hier sind 6 Kanten des Ikosaeders, die zu einander parallel oder rechtwinklig liegen, hervorgehoben (allerdings nur im mehrfarbigen Stereobild, ohne Rot-Grün-Brille). Die 6 Ecken des Oktaeders sind einfach die Mitten dieser Kanten.

Macht man das Oktaeder etwas größer (hier sozusagen stufenlos), kommt man wieder zum Anfang der Aufgabe zurück:
© Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Zum Schluss das Oktaeder im Ikosaeder im Oktaeder, das innere Oktaeder liegt zentrisch und parallel zum äußeren, und der Maßstab zwischen beiden ist – na was wohl – der goldene Schnitt:

© Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Natürlich ist hier immer nur eine von vielen Möglichkeiten zu sehen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.