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Vergrößertes Auge

Auge aus der Nähe

Das Bild auf der Netzhaut eines doppelt so großen Auges wäre auch doppelt so groß. Kann man mit einem technischen Trick unsere Augen so ergänzen, dass sie wie doppelt so große funktionieren? Deuten Sie einen passend geschliffenen Glasstab, der wie ein holländisches Fernrohr wirkt, in diesem Sinne.

Der Glasstab ist an einem Ende konvex und am anderen konkav (und zwar mit kleinerem Krümmungsradius) geschliffen. Man kann ihn sich ohne wesentlichen Zwischenraum an die Hornhaut, also die Frontfläche des Auges, gesetzt denken. Für unsere qualitative Betrachtung dürfen wir die Brechzahlen von Glas und Augeninnerem als gleich annehmen, aber deutlich höher als diejenige der Luft. Wo treffen sich Strahlen auf der Netzhaut, die parallel zueinander, aber etwas geneigt zur Augenachse von einem fernen Objektpunkt kommen?

Das Auge ist im Wesentlichen eine innen durchsichtige Kugel mit einem stärker gewölbten Vorderteil, bei dem auch die Außenfläche (cornea, Hornhaut) durchsichtig ist.

Die (Augen-)Linse wäre nicht nötig, wenn diese Wölbung etwas stärker wäre und wenn alle Objekte in gleicher Entfernung lägen.

Strahlen von einem weit entfernten Objektpunkt, der in der Augenachse (gestrichelt) liegt, sind fast parallel zu dieser und treffen sich im Schnittpunkt aus Augenachse und Netzhautfläche. Strahlen von einem weit entfernten Objektpunkt außerhalb der Augenachse sind ebenfalls parallel zueinander und treffen sich in einem Punkt der Netzhaut, dessen Abstand von dem oben genannten Schnittpunkt maßgebend für die Bildgröße ist. In einem doppelt so großen Auge ist er für das gleiche Objekt doppelt so groß.

Wo der Punkt liegt, findet man sehr einfach durch Anwendung des Brechungsgesetzes auf den Strahl, der mitten durch die Cornea geht. Beachten Sie, dass das Auge kein Hohlraum mit einer Linse darin ist, sondern in optischer Hinsicht ein mit Wasser gefüllter Ball, bei dem die Linse nur Zusatzeffekte bewirkt.

Um nun das Auge effektiv zu vergrößern (sagen wir: doppelt so lang zu machen) und das scharfe Bild nach wie vor auf der Netzhaut zu bekommen, bauen wir einen (hier blau getönten) Glasstab vor das Auge, theoretisch ohne Zwischenraum (also wie eine Kontaktlinse) mit der gleichen Wölbung wie die Cornea, aber natürlich am Glas konkav. Die andere Wölbung des Stabes ist die des doppelt so großen Auges. Dass Glas oder Acrylglas eine andere Brechzahl als Wasser oder Augeninneres hat, ist hier nebensächlich. Eine passend große und passend gewölbte Taucherbrille anstelle des Glasstabes täte es auch, aber sie würde sozusagen umgekehrt benutzt: außen Luft und innen Wasser.

In diesem Modell von Auge und (massivem!) Fernrohr werden die Lichtstrahlen nur einmal wesentlich geknickt: rechts an der Außenfläche der Stablinse. Wenn zwischen ihr und dem Auge ein kleiner Zwischenraum aus Luft besteht, ändert das (außer störenden Reflexionen) nicht viel.

Unsere Stablinse macht (näherungsweise) aus einem von rechts kommenden Parallelbündel schwacher Neigung ein nach links auslaufendes Parallelbündel stärkerer Neigung. Das ist genau die Tätigkeit eines Fernrohrs, und im Gegensatz zum Kepler-Fernrohr kehrt das holländische (und ungenauerweise nach Galilei benannte) Fernrohr das Vorzeichen der Neigung nicht um. Normalerweise besteht es nicht aus einem Glasstück, sondern aus zwei Linsen (konkav hinten und konvex vorne aus der Sicht der benutzenden Person) und Luft dazwischen. Wir begegnen ihm als Theaterglas. Es wurde vor vier Jahrhunderten in Holland (genauer: Zeeland) erfunden und kurz darauf von Galilei verbessert und zu Entdeckungen genutzt, die das Weltbild der Menschheit stärker verändert haben als irgend etwas sonst. Fast gleichzeitig wurde ebenfalls in Holland das Mikroskop erfunden. Beide Geräte sind Schlüsselerfindungen von einer kaum zu überschätzender Tragweite für die Wissenschaften: Seitdem dringt der Mensch mit seinen Kenntnissen immer weiter ins Kleine und ins Große der Natur ein.

Zusatzfrage: Kurzsichtige tragen zum Weitsehen konkave Brillen oder entsprechende Kontaktlinsen. Wie sehen sie dabei die Objekte der Außenwelt: größer oder kleiner oder gleich? Was hat das mit dem holländischen Fernrohr zu tun?

Kurzsichtigkeit liegt vor, wenn die Wölbung der Cornea für die Länge des Auges zu stark ist (in der Regel wird das dadurch verursacht, dass das Längenwachstum des Augapfels in der Kindheit nicht früh genug stoppt).

Wir denken uns nun ein normalsichtiges Auge durch Auflegen einer konvexen Kontaktlinse künstlich in ein kurzsichtiges verwandelt, dem zum Ausgleich mit einigen Zentimetern Abstand ein konkaves Brillenglas vorgesetzt wird. Beides zusammen wirkt nicht anders als ein falsch herum gehaltenes Fernglas. Der kurzsichtige Mensch sieht mit also Brille alles kleiner als ohne (aber ohne sieht er eben nur bei hinreichend kleiner Entfernung scharf). Der Effekt verschwindet fast ganz, wenn das Brillenglas näher an das Auge gehalten wird, der Extremfall liegt praktisch bei der Kontaktlinse vor.

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  • Quellen
Die Diskussion des holländischen Fernrohrs als effektiv vergrößertes Auge folgt weit gehend Epstein.

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