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Psychische Störungen: Borderline-Persönlichkeit

Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, wie häufig tritt sie auf, was sind ihre Ursachen? Und welche Folgen hat diese Erkrankung? Informationen für Betroffene und Angehörige.
Borderline-Persönlichkeit

Borderline-Persönlichkeit – was ist das?

Die Erkrankung hat viele Gesichter: Selbstverletzungen, extreme Stimmungsschwankungen, Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang, Wutausbrüche, starke Unsicherheit und ein geringes Selbstwertgefühl kennzeichnen das Leben der meisten Betroffenen.

Die borderlinetypischen, wenn auch nicht zwangsläufig auftretenden Selbstschädigungen haben für die Betroffenen einen positiven Effekt: Schmerz verspüren sie zunächst nicht, wenn sie sich schneiden, den Kopf gegen die Wand schlagen, sich verbrennen, verätzen oder beißen – im Gegenteil: Meist berichten sie von einem Gefühl der Ruhe und Entlastung. Erst etwa 20 Minuten später setzt das Schmerzempfinden ein.

Den Kern des Problems bildet eine Störung der Gefühlsregulation. Nichtigkeiten rufen demnach heftige Emotionen hervor, die die Patienten als unkontrollierbar wahrnehmen – bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Es dauert oft lange, bis diese intensiven Gefühle wieder abklingen. Häufig wissen Betroffene nicht, welche Empfindungen in der gespürten Erregung mitschwingen, sondern erleben nur einen quälenden Zustand diffuser Anspannung. Die meisten geraten mehrmals täglich unter einen derartigen Druck. Diese Zustände wechseln mit Phasen emotionaler Taubheit. Die innere Leere, das Fehlen jeglicher Gefühle kennen ebenfalls die meisten Patienten. Es wird als ähnlich schlimm empfunden wie die emotionale Anspannung.

Ein Experiment zeigte: Bei gesunden Menschen steigt die Herzfrequenz, wenn sie sich beispielsweise mit einer Nadel stechen lassen. Bei Borderline-Patienten hingegen dämpfen schmerzhafte Reize die emotionale Erregung – ihr Herz schlägt dann langsamer. Sie fühlen sich erleichtert.

Kennzeichnend sind außerdem das verzweifelte Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden, und eine intensive Angst vor dem Alleinsein sowie Panik schon bei zeitlich begrenzten Trennungen. Typischerweise kommt es im Lauf des Lebens zu einem Muster aus intensiven, aber instabilen zwischenmenschlichen Beziehungen: Mal idealisieren die Betroffenen ihr Gegenüber, dann entwerten sie es – und das im schnellen Wechsel.

Auch das Selbstbild und die Selbstwahrnehmung sind instabil: Es kommt häufig zu dramatischen Wechseln von Zielsetzungen und Berufswünschen. Neben den Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen oder -drohungen schaden sie sich auch indirekt selbst, indem sie selbstgefährdendes Verhalten an den Tag legen – etwa Drogenkonsum, Essattacken, Spielsucht oder unkontrolliertes Geldausgeben. Außerdem können Belastungen so genannte Dissoziationen auslösen: Viele Patienten sind häufig der Realität entrückt und nehmen den eigenen Körper wie von außen wahr.

Wie verbreitet ist die Borderline-Störung, und wie verläuft sie?

Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung leiden an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung – ohne Behandlung oft ein Leben lang. 70 Prozent aller Borderline-Patienten sind weiblich. Experten vermuten, dass sich männliche Borderliner seltener in therapeutische Behandlung begeben. Außerdem werden sie häufiger straffällig.

Wann sich eine Borderline-Störung zum ersten Mal bemerkbar macht, ist sehr unterschiedlich: Erste Verhaltensauffälligkeiten, die zur stationären Behandlung führen, treten verschiedenen Studien zufolge im Mittel schon mit etwa 14 Jahren oder aber mit Anfang 20 auf.

Wie entsteht die Borderline-Störung?

Wie bei den meisten psychischen Erkrankungen vermuten Experten ein Zusammenspiel genetischer und sozialer Einflüsse. Diverse Untersuchungen belegen mittlerweile, dass die Gene eine entscheidende Rolle spielen. Viele Ergebnisse stützen sich dabei auf Studien an eineiigen Zwillingen, deren Erbgut zu 100 Prozent identisch ist: Wurde bei einem der Zwillinge eine Borderline-Störung diagnostiziert, lag die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls an der Störung zu leiden, für das Geschwister bei rund 55 Prozent.

Andererseits scheinen frühe Erfahrungen von Gewalt und Vernachlässigung die Borderline-Störung zu begünstigen. Außerdem berichten bis zu 60 Prozent aller weiblichen Patienten, in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden zu sein. Ob eine solche Traumatisierung allein eine Borderline-Persönlichkeitsstörung verursachen kann, ist unter Experten allerdings strittig. Offenbar schaden besonders jene frühkindlichen Erfahrungen, in denen die Gefühle des Kindes lächerlich gemacht und entwertet werden. Eine solche Invalidierung beginnt etwa, wenn der Sprössling vor Schmerz weint und die Mutter entgegnet: "Tut doch gar nicht weh – jetzt hab dich nicht so!"

Bildgebende Verfahren zeigten in den vergangenen Jahren, dass Hirnareale, die für die Emotionsregulation eine Rolle spielen, verändert sind. Vor allem Amygdala und Hippocampus sind im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen verkleinert. Während ein kleinerer Hippocampus häufig auch bei anderen traumatisierten Patienten gefunden wird, scheint das reduzierte Volumen der Amygdala eine Besonderheit der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu sein. Ob die neurobiologischen Veränderungen die Erkrankung verursachen oder von dieser hervorgerufen werden, wissen die Forscher allerdings noch nicht.

Was sind die Folgen?

Eine Suizidrate von acht Prozent verdeutlicht den Ernst der Lage für die Betroffenen. 50 Prozent aller Borderline-Patienten, die sich selbst töteten, hatten zuvor bereits mindestens einen Suizidversuch begangen.

Auch Essstörungen sowie Drogenmissbrauch sind häufig Folge des steten Bemühens, Anspannung zu regulieren. Andere wiederum suchen das Risiko, um der inneren Leere entgegenzuwirken: Sie balancieren auf Brückengeländern, rasen mit 200 Kilometern pro Stunde über die Autobahn oder setzen sich auf Bahngleise, bis sie die Vibrationen eines nahenden Zugs spüren.

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