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Bettnässen: Wie wird mein Kind nachts trocken?

Bettnässen im Schul- oder Vorschulalter ist häufig. Kinder und Eltern leiden meist gleichermaßen darunter. Doch nur selten hat das nächtliche Einnässen auch psychische Ursachen. Viel öfter liegt der Grund in einer verzögerten Entwicklung – oder an einem falschen Trinkverhalten.
Teddy mit Pfütze - Symbol für Bettnässen

Leon weint. Wieder ist die Matratze nass. Seine Mama schimpft: "Jetzt bist du schon fünf Jahre alt und machst immer noch nachts ins Bett!" Ein Donnerwetter folgt auf das nächste, Nacht für Nacht. Doch das Kind wird einfach nicht trocken.

Wie Leon nässen etwa 15 Prozent aller fünfjährigen Kinder nachts noch regelmäßig ein. Bei den Siebenjährigen sind es zehn Prozent, Jungen sind doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Das Bettnässen gilt als das zweithäufigste Kinderleiden nach Allergien. Und die Dunkelziffer liegt weit höher: Denn viele Eltern und Kinder scheuen aus Scham den Gang zum Arzt. Nur der Experte kann jedoch feststellen, ob das Bettnässen behandlungsbedürftig ist. Er stellt die Diagnose "Enuresis", wie das Bettnässen medizinisch genannt wird, wenn Fünf- oder Sechsjährige in mindestens zwei Nächten im Monat einnässen, Siebenjährige oder ältere Kinder in einer Nacht pro Monat. Doch was steckt hinter der unkontrollierbaren Blase, und wie kann man seinem Kind helfen?

Wieso macht mein Kind nachts noch ins Bett?

"Bettnässen kann viele Ursachen haben", sagt Daniela Schultz-Lampel, Leiterin des Kontinenzzentrums am Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen. Entscheidend ist zunächst die Entwicklung der Blasenkontrolle. Alle Babys kommen mit einer so genannten überaktiven Blase zu Welt, die sich automatisch leert, sobald sie gefüllt ist. Mit der Zeit lernt das Kind aber, die Blasenentleerung selbst zu steuern. "Ab dem Alter von ein bis zwei Jahren reifen dafür hemmende, kontrollierende Nervenbahnen heran, die die Blase beruhigen", so Schultz-Lampel. Mit fünf Jahren sind solche Reifungsprozesse meist abgeschlossen. Dann werden die Kinder sogar im Schlaf von ihrer vollen Blase geweckt.

Nächtliches Drama | Im Schul- oder Vorschulalter machen viele Kinder noch ins Bett. Wenn die Situation allerdings zur Belastung für die Kleinen wird, sollte man ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Bei einigen Kindern entwickeln sich die Nervenbahnen für diesen Weckreiz jedoch erst relativ spät, und sie können die reflexartige Blasenentleerung auch im Alter von fünf Jahren noch nicht richtig steuern. Solche Entwicklungsverzögerungen können zudem verursachen, dass die Kapazität der Blase noch zu klein ist, um den Urin nachts zu halten.

"Bei diesen Kindern fällt auf, dass sie auch tagsüber häufig auf die Toilette müssen, dann aber immer nur kleine Mengen Urin verlieren, oder sich beim konzentrierten Spielen in die Hose machen", sagt die Urologin. Weitere so genannte Tagsymptome können ein starker Harndrang, aber auch Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen oder ein Hinauszögern des Toilettengangs sein. "Um das Wasserlassen zu verhindern, setzen sich Mädchen zum Beispiel in die Hocke oder überkreuzen die Beine", erklärt Schultz-Lampel.

Können noch andere Ursachen dahinterstecken?

Möglich ist auch, dass das Kind das Hormon Vasopressin nachts nicht ausreichend produziert. Vasopressin (auch antidiuretisches Hormon, kurz: ADH, genannt) schüttet jeder Mensch nachts in größerer Menge aus der Hypophyse aus als tagsüber. "Vasopressin hemmt die Urinproduktion, damit wir ruhig schlafen können", erklärt Daniela Schultz-Lampel. Bei einigen Kindern ist dieser Mechanismus noch nicht ausgereift.

In seltenen Fällen stecken hinter dem Einnässen zudem medizinische Gründe wie eine anatomische Fehlbildung der Harnröhre oder chronische Harnwegsinfekte. Werden diese Erkrankungen behandelt, verschwindet auch das Einnässen.

Was ist mit psychischen Problemen?

Früher wurden psychische Ursachen des Bettnässens von Ärzten und Familien drastisch überbewertet. "Und noch heute versuchen viele Eltern, psychische Probleme als Auslöser für die Enuresis zu finden", sagt Schultz-Lampel. "Doch inzwischen wissen wir: Wenn ein Kind noch nie in seinem Leben trocken war, stecken fast nie psychische Ursachen dahinter."

Wenn ein Kind allerdings mehr als sechs Monate in seinem Leben nachts bereits nicht mehr ins Bett gemacht hat und das Einnässen dann neu beginnt, kann durchaus psychischer Stress der Auslöser sein. Typischerweise tritt das Bettnässen dann nach belastenden Lebensereignissen neu auf wie Trennung der Eltern, Streit, Umzug, Schuleintritt, Mobbing oder Geburt eines Geschwisterchens.

Neue Situation | Nur selten ist psychischer Stress der Auslöser fürs Bettnässen. In solchen Fällen treten die Probleme oft nach belastenden Lebensereignissen auf – wie etwa nach der Geburt eines Geschwisterchens.

Kann das Bettnässen auch vererbt werden?

Eine überaktive Blase und die verminderte Produktion des Hormons Vasopressin sind zumindest teilweise erblich bedingt. So liegt das Risiko für eine Enuresis einer Studie zufolge bei etwa 40 Prozent, wenn ein Elternteil als Kind auch betroffen war. Waren beide Elternteile betroffen, steigt die Wahrscheinlichkeit sogar auf 77 Prozent.

Muss das Einnässen behandelt werden?

Ein Termin beim Kinderarzt oder Urologen ist dann sinnvoll, wenn das Kind unter dem Einnässen leidet, es etwa nicht mehr bei anderen Kindern übernachten möchte, es zusätzlich tagsüber einnässt, häufig Harnwegsinfekte hat oder auch mal einkotet. Wichtig ist aber auch: "Etwa 15 Prozent aller Kinder werden pro Jahr ganz von allein trocken, ohne dass man etwas macht", so die Urologin.

Was können Eltern tun?

Viele Eltern fühlen sich unter Druck gesetzt. Schließlich ist der Nachwuchs von Freunden schon längst trocken. Doch trotz dieser Versagensängste sollten sie vor allem Geduld mit ihrem Kind haben. Schimpfen hilft nicht, schließlich nässen die Kinder nicht absichtlich ein.

Ganz praktisch können Eltern zunächst über ein bis zwei Monate ein Trink- und Pipiprotokoll führen, um die Ursache für das Bettnässen zu entdecken (Vorlage abrufbar bei der Deutschen Kontinenz Gesellschaft). Darin wird genau notiert: Wann nässt das Kind ein? Wann geht es auf die Toilette? Wie viel hat es wann getrunken? Treten die Symptome auch am Tag auf?

Anhand des Protokolls kann ein Kinderarzt oder Urologe feststellen, ob bereits eine einfache Veränderung des Trink- oder Toilettenverhaltens einen Effekt haben wird. Denn viele Kinder trinken zu spät noch zu viel – und diese Flüssigkeit drückt während des Schlafens auf die Blase. "Das betrifft meist die Kinder, die in den ersten ein bis drei Stunden nachts einnässen", sagt Daniela Schultz-Lampel. "In den letzten zwei Stunden vor dem Schlafen sollte das Kind nichts mehr trinken. Außerdem sollten Eltern es vor dem Zubettgehen unbedingt noch einmal auf die Toilette schicken, damit die Blase vollständig leer ist." Vor einem Arztbesuch können Eltern zudem messen, wie viel Urin ihr Kind bei jedem Toilettengang verliert. Der Fachmann berechnet anhand der Angaben, wie groß die Kapazität der Blase ist.

Was passiert beim Kinderarzt?

Für die Behandlung des Bettnässens gibt es genaue Vorgaben. So schließt der Arzt zunächst organische, funktionelle oder neurologische Grunderkrankungen aus, untersucht den Urin und macht einen Ultraschall. Dann ordnet er an, dass das Kind regelmäßig am Tag einen Becher trinkt und zu bestimmten Zeiten auf die Toilette geht. Bei einer zu kleinen Blasenkapazität oder einem ADH-Mangel kann er zudem Medikamente verordnen.

Fehlt den Kindern schlicht die Wahrnehmung für ihre volle Blase in der Nacht, wenden Ärzte eine apparative Verhaltenstherapie an. Dabei schlafen Kinder auf einer so genannten Klingelmatte oder tragen eine Klingelhose, die Alarm schlägt, sobald sie mit Feuchtigkeit in Berührung kommt. Die Folge: Das Kind wacht auf und geht zur Toilette. So lernt der Körper, bereits vor dem Einnässen ein Wecksignal zu geben – ein Lernprinzip der klassischen Konditionierung. Nach und nach wacht das Kind dann gar nicht mehr auf, sondern schläft einfach durch, trocken. "Wie genau dieser letzte Lernschritt funktioniert, ist noch nicht erklärbar", sagt die Urologin. Fakt ist aber: Die apparative Verhaltenstherapie ist sehr erfolgreich. Kinder, die mit Alarmsystemen behandelt wurden, werden 13-mal wahrscheinlicher trocken als Kinder ohne Alarmtherapie.

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