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Was ist tatsächlich da draußen?

Auf die Frage, ob wir jemals die Funktionsweise des Gehirns verstehen werden, gab 1872 der Physiologe Emil Heinrich du Bois-Reymond (1818-1896) die pessimistische Antwort: "Ignoramus et ignorabimus" – wir wissen es nicht und werden es nie wissen. In den beinahe 150 Jahren, die seither vergangen sind, ist die Neurowissenschaft jedoch zu bahnbrechenden Erkenntnissen über das Verhältnis zwischen Gehirn und Bewusstsein gelangt. In diesem Buch gibt der renommierte Mainzer Physiologe Heiko J. Luhmann einen detailreichen Überblick darüber, wie aus Gehirnaktivität unsere bewusste Wahrnehmung der Welt entsteht.

Das Tor zum Bewusstsein stellt nach Luhmann der Thalamus dar. Dieser Teil des Zwischenhirns bildet eine zentrale Umschaltstation im Gehirn, die sämtliche Informationen aus den Sinnesorganen passieren müssen, bevor sie in der Hirnrinde zu bewusster Wahrnehmung führen. Daran anknüpfend beschreibt Luhmann, wie neuronale Prozesse zu unterschiedlichen Bewusstseinszuständen und zu Wahrnehmungsstörungen führen. Er behandelt Phänomene wie Schlaf, Meditation und die Wirkung von Drogen, aber auch außerkörperliche Erfahrungen und Nahtoderlebnisse. Dabei wird deutlich, dass unser inneres Bild von der Welt keine originalgetreue Darstellung derselben ist. Vielmehr handelt es sich um eine Konstruktion, die von der Beschaffenheit und Arbeitsweise unseres Gehirns abhängt. In diesem Sinn erweist sich für Luhmann unsere Wahrnehmung als pure Einbildung.

Der marktschreierische Titel des Buchs kollidiert mit dessen sachlichem, stellenweise lehrbuchähnlichem Stil. Luhmann stützt sich weitgehend auf etablierte Forschungsergebnisse und führt zahlreiche Fakten auf. An einigen Stellen wird er etwas zu detailliert, beispielsweise wenn er den Aufbau und der die Funktionsweise von Nervenzellen beschreibt.

Viel Neues erfährt man in dem Buch jedoch nicht. Erst am Schluss geht der Autor – leider nur kurz – auf aktuelle Diskussionen zum ethisch umstrittenen Neuroenhancement ein, der medikamentös bewirkten Steigerung unserer Gehirnleistung, und befasst sich mit Gehirn-Computer-Schnittstellen, die etwa künstliche Gliedmaßen direkt mit den Hirnen von Querschnittsgelähmten verbinden. Mehr zu diesen spannenden Fragen hätte dem Werk gut getan. Trotz dieser Schwäche überzeugt Luhmanns Buch als ausführliche und gut verständliche Darstellung insbesondere für Laien.

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