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Rückschau auf ein Leben als Raumfahrer

In Deutschland ist das Thema Schwerelosigkeit derzeit aktuell, hält sich doch mit Alexander Gerst gerade ein deutscher Astronaut auf der Internationalen Raumstation (ISS) auf. In weiser Vorausschau hat er einen Fußball dabei, mit dem er anlässlich der Fußball-WM beeindruckende Torschüsse in der Schwerelosigkeit präsentierte. Sein Glückwunsch zum Weltmeistertitel wurde über alle Kanäle gesendet.

Ein ähnliches großes Medienecho erzielte im vergangenen Jahr der kanadische Astronaut Chris Hadfield. Er hatte eine Gitarre mit auf die ISS genommen und präsentierte in 400 Kilometer Höhe den berühmten Song "Space Oddity" von David Bowie (mit Einverständnis des Künstlers). Die außerirdische Version des Titels wurde auf Youtube ein Riesenhit.

Im diesem Buch legt Hadfield nun seine Memoiren vor. Das tun viele namhafte Persönlichkeiten, wenn sie im verdienten Ruhestand sind. Man hat dann viel Zeit, über alles nachzudenken und es aufzuschreiben, und Geld bringt es auch ein. Leider entstehen dabei nicht immer große Würfe – "Anleitung zur Schwerelosigkeit" jedoch überzeugt im Gesamteindruck.

Nichts für Verzagte

Die meisten Leser werden den deutschen Titel wohl als etwas hochtrabend empfinden. Kaum jemand von uns bekommt je die Chance, vom Boden abzuheben und Schwerelosigkeit im All zu erleben. Wozu dann eine Anleitung? Der Untertitel trifft die Sache schon eher. Hadfield, Jahrgang 1959, hat im Weltraum offenbar viel fürs Leben gelernt. Geprägt haben ihn auch das langjährige Raumfahrttraining, immer wieder von Problemen und Rückschlägen begleitet, sowie der ständige Konkurrenzdruck, einer von vielen exzellenten Astronautenanwärtern zu sein, die alle nur ein Ziel haben – den Weltraum. Eine enorme Herausforderung für Körper, Geist und Seele.

Vom frühen Kindesalter an verfolgte Hadfield hartnäckig das Ziel, ins All zu fliegen. Dem ordnete er alles unter, später selbst das Familienleben mit Ehefrau und drei Kindern. Ein hoher Preis, doch seine Karriere mutet im Rückblick wie aus dem Bilderbuch an: Schule, Universität, Luftwaffe, Testpilot. Alle Flugzeugtypen testete Hadfield bis an die Grenzen der Belastbarkeit, manchmal half nur der Schleudersitz. Schließlich, in den frühen 1990er Jahren, sah er noch eine letzte Hürde vor sich: Wie kommt man – zumal als Kanadier – zur Nasa?

Charakterlich eine Null

Ständiges Lernen und Weiterbilden reichen hier allein nicht aus. Man muss auch im entscheidenden Moment Glück haben. Immerhin sah sich Hadfield damals 5330 (meist amerikanischen) Mitbewerbern gegenüber. Der Autor berichtet ausführlich über die Herausforderungen beim Astronautentraining; er erläutert, wie man ohne Murren den Dauerstress erträgt und ständig dazulernt ("Von wo droht mir als nächstes Lebensgefahr?"). Um diese Anforderungen zu bewältigen, schreibt Hadfield, müsse man von Charaktertyp her eine "Null" sein, das heißt willig, kooperativ und unauffällig; man dürfe kein "plus 1"-Typ sein, sprich ein überheblicher Streber – und als "minus 1"-Typ (introvertierter Drückeberger) habe man schon gar keine Chancen.

Leider zeigt sich das Buch in diesen Passagen sehr redundant. Der Autor erläutert die zum Raumfahrerdasein nötigen Qualitäten in epischer Breite – meist am Beispiel von sich selbst. Offenkundig machte er aber wirklich vieles richtig, denn er wurde mit drei Raumflügen belohnt. 1995 brachte ihn der Space Shuttle Atlantis zur russischen Weltraumstation Mir, wo Hadfield wichtige Erfahrungen sammelte – etwa, wie oft man als Astronaut in runden Luken aneckt. 2001 flog er mit dem Shuttle Endeavour zur im Bau befindlichen ISS. Dort absolvierte er im Zuge der Installation eines kanadischen Roboterarms zwei Außeneinsätze. Seine dritte Mission fand erst 12 Jahre später statt und hatte wieder die ISS zum Ziel, diesmal an Bord eines russischen Raumschiffs "Sojus" (zusammen mit einem Amerikaner und dem russischen Kommandanten). Das altgediente Gefährt bietet solide Technik, ist aber nichts für Leute mit Platzangst.

Dem darauf folgenden zweimonatigen Aufenthalt an Bord der ISS widmet sich der größte Teil des Buchs. Hier brilliert Hadfield als perfekter Erzähler. Keine Einzelheit aus dem Alltag unter Schwerelosigkeit lässt er aus: Schlafen, Toilettenbesuch, Körperpflege, Übelkeit, Staubsaugen, Experimente, Fitnesstraining, Freizeitbeschäftigung, grandiose Ausblicke aus der neuen Beobachtungskuppel und diverse technische Probleme (mit seinen Kollegen gab es zum Glück nie ernsthafte Schwierigkeiten). Hadfield wurde Kommandant der Raumstation – der Höhepunkt einer beeindruckenden Karriere.

Teuer bezahlter Weltraumaufenthalt

Spannend erzählt der Autor auch die beschwerliche Rückreise zu Erde inklusive hartem Aufprall in der kasachischen Steppe. Brutal war die wiedererlangte Schwere. Für jeden Tag im All brauche man auf der Erde einen zum Regenerieren, schreibt Hadfield. Übelkeit, Schwäche, Orientierungslosigkeit und Konzentrationsstörungen seien anfangs nur im Liegen zu ertragen, und ans Autofahren sei überhaupt nicht zu denken. Hinzu kämen ständige Untersuchungen, Tests, Befragungen und nicht zuletzt der durch "Space Oddity" selbst verschuldete Medienrummel. Hadfield benötigte Monate, um wieder der Alte zu werden. Kurz danach ging er in Rente.

Ein insgesamt gelungenes Buch, geschrieben von einem Insider, der beneidenswert viele Tugenden hat und diese auch mit gesundem Selbstbewusstsein seinem Publikum präsentiert. Typisch amerikanisch-theatralisch, aber auch für sachlich orientierte Leser mitreißend. Illustriert wird Hadfields ereignisreiches Leben auf 8 Farbseiten in der Buchmitte. Ein nützliches Stichwortverzeichnis am Ende komplettiert das Werk.

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