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Wo sich Gott und Gehirn begegnen

Die Gottesfrage neu beantworten – dieses ehrgeizige Ziel hat sich Eugen Drewermann, einer der bekanntesten Theologen der Gegenwart, gesteckt. Der Dialog mit den Neurowissenschaften soll ihm dabei helfen. Wie hat der ehemalige Katholik, Psychotherapeut und Schriftsteller seinen kühnen Plan umgesetzt?

Zunächst einmal wird der Leser vom Umfang der beiden Werke nahezu erschlagen: Drewermanns Gedankenflut zum Thema Neurotheologie füllt insgesamt 1930 Seiten, unterteilt in zwei voluminöse Bände. Inhaltlich sind sie eng miteinander verknüpft; Drewermann unterscheidet neurobiologische Korrelate (Band 1: "Das Gehirn") und geistige Prozesse (Band 2: "Die Seele").

Der Autor beginnt den ersten Band mit einem 50-seitigen, flott geschriebenen Überblick über die theologische und philosophische Seelenlehre. Die Inhalte streift er in dieser Kürze allerdings nur oberflächlich. Wie will man auch auf neun Seiten ausgewogen den uralten Streit um die Einheit der Person zwischen dualistischen, buddhistischen, idealistischen, materialistischen und psychoanalytischen Positionen darstellen? Drewermann scheucht den Leser mit zahlreichen Zitaten durch die Philosophie- und Kulturgeschichte unterschiedlicher Epochen und Kontinente, dass ihm nahezu schwindelig wird. Nur die elegante, verführerisch dahinfließende Sprache hält ihn bei der Stange.

Weiter geht es mit "ein bisschen Neuroanatomie und Neurophysiologie". Das erinnert sehr an einen Einführungskurs in die neurologischen Grundlagen des Gehirns, zumal die Abbildungen den Standardwerken entnommen sind. Danach erklärt er ausführlich neuropsychologische Grundlagen von Denken, Wahrnehmen, Schmerzen, Sucht und anderen Phänomenen. Ihre theologischen Deutungen bleiben leider durchweg vage.

Dass dann in einem umfangreichen Kapitel überholte Emotionstheorien referiert werden, scheint dem persönlichen Interesse des Autors geschuldet. Einige Kritiker werfen Drewermann eine von Søren Kierkegaard (1813 – 1855) geprägte melancholische Grundhaltung vor. Und richtig: Das letzte Kapitel beschäftigt sich ausgiebig mit Angst und Verzweiflung. Ein Grundlagenwerk über das Gehirn so zu beenden, reflektiert offenbar individuelle Vorlieben des Autors.

Der zweite Band über die Seele behandelt an erster Stelle psychosomatische Erkrankungen, die Drewermann allein als Fehlfunktionen des Gehirns betrachtet. Es schließen sich wiederum allgemeine Abhandlungen über neurotische, psychotische und neurologische Erkrankungen an. Zum Schluss behandelt er die Fragen nach der besonderen Stellung des Menschen, nach Bewusstsein, Geist, Persönlichkeit, Unsterblichkeit und Freiheit. In gewohnt eigenwilliger Weise nähert er sich diesen Themen an und würzt seine Darstellung mit allerlei theologischen Anmerkungen.

Beide Bände sind lehrbuchartig aufgemacht. Fast 300 großformatige Abbildungen sowie einige Übersichtstabellen lockern das angenehm große Schriftbild auf. Bibliografie und Register, beide thematisch untergliedert, stellt er ein Bibelstellenverzeichnis zur Seite. Der Nachteil dieser Ordnung: Wer nach einer Quellenangabe sucht, muss vorab wissen, in welchem Gebiet er wohl fündig wird.

Der Text selbst ist glänzend formuliert und reich an literarischen Beispielen, philosophischen Gedankensplittern und psychologischem Grundwissen. Der universal gebildete Autor liefert viele interessante Details und treffsichere Zitate. Allerdings reicht die Darstellung über das feuilletonistische Niveau nicht hinaus.

Ein typisches Beispiel: In seiner rhetorisch brillanten Antwort auf das Gehirn- Geist-Problem springt Drewermann munter zwischen antiken Philosophen, mittelalterlichen Theologen und zeitgenössischen Hirnforschern hin und her. Dabei mischt er ihre Argumente bunt durcheinander, ohne die verschiedenen Geltungsbereiche zu beachten. Das Grundproblem, dass seelisches Erleben parallel zur Hirnaktivität verläuft und Bedeutung nicht im Gehirn entsteht, hat Drewermann übergangen. Um die Neurowissenschaften theologisch einzuordnen, braucht es freilich mehr wissenschaftstheoretisches Unterscheidungsvermögen und Fachwissen.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 7–8/2007

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