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Das große Töten

Die Ära vom ausgehenden 15. bis zum beginnenden 18. Jahrhundert gilt als Epoche bahnbrechender Erfindungen und Entdeckungen, die das Weltbild revolutionierten und geistige Strömungen wie Humanismus und Aufklärung hervorbrachten. Doch die sozialen Verwerfungen, der religiöse Fanatismus und die machiavellistische Machtpolitik dieser Umbruchszeit boten zugleich einen fruchtbaren Nährboden für endlose, todbringende Konflikte.

Lauro Martines beleuchtet diese "Welt aus Eisen und Blut". Der Neuzeithistoriker, vormals am Lehrstuhl für Europäische Geschichte der University of California Los Angeles tätig, erzählt von Tätern und Opfern militärischen Wütens, von Konfessionskriegen, von Gewaltkonflikten aufgrund sozialer Missstände und von verzehrenden Auseinandersetzungen um Macht und Einfluss. Viele davon blieben regional begrenzt, andere weiteten sich auf ganz Europa aus, etwa der Kampf zwischen Katholiken und Protestanten, der im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) gipfelte. Der Autor breitet das grausame Panorama militärischer Gewalt in thematisch gegliederten Kapiteln aus: "Hölle in den Dörfern", "Geplünderte Städte", "Belagerungen", "Plündergut und Beute", "Waffen und Fürsten", "Pöbel und Adlige: Soldaten", "Töten für Gott".

Multiethnische Söldnerarmeen

Wir denken heute oft in nationalstaatlichen Kategorien, doch in der frühen Neuzeit war das anders. Damals, im 15. bis 17. Jahrhundert, zogen Europas Völker bunt durchmischt in den Kampf: Schweizer, Polen, Albaner, Schweden, Genuesen, Deutsche bildeten die Kontingente der multiethnischen Heere, die vornehmlich aus Söldnern bestanden. Es war eine Zeit umfassender waffentechnischer Modernisierungen, die mit Schießpulver, Handfeuerwaffen und Kanonen eine neue Technik bereitstellte, welche sich als tödlicher erweisen sollte als alles zuvor. Pulver und Blei ersetzten fortan Hauen und Stechen, Schießen auf Distanz den körperbetonten Nahkampf – und so machten die neuen "Hightech-Waffen" den Kämpfer buchstäblich zum Kanonenfutter.

Die geballte Feuerkraft wirkte sich nicht nur auf das Kampfgeschehen aus, sondern noch weit darüber hinaus. So verlangsamte die Einführung der schweren Artillerie das Tempo marschierender Armeen, so dass die Soldaten mehr denn je darauf angewiesen waren, sich an denen schadlos zu halten, deren Land sie durchquerten. Es überrascht nicht, wer die Zeche dafür zu zahlen hatte: die einfache Bevölkerung. In einer Welt, in der der Zweck die Mittel heiligte und Zivilisten keinen allgemein anerkannten humanitären Schutz genossen, konnte sich die brutale Willkür verrohter Söldner oft hemmungslos entfalten.

Martines beschreibt das blutige Geschehen an den Frontlinien ebenso wie die "unheilige Dreifaltigkeit von Gewalt, Hunger und Seuchen" mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf die Bevölkerung. In Deutschland, dem Hauptschlachtfeld des Dreißigjährigen Kriegs, das jahrzehntelang von einer marodierenden Soldateska heimgesucht wurde, schrumpfte die Einwohnerzahl von 17 auf 11 Millionen. Am Ende waren ganze Landstriche entvölkert.

Zusätzlich erfährt der Leser Wissenswertes über Logistik, Bekleidung und Ausrüstung der Heere sowie über die Finanzierung des Militärwesens. Indem Kriegsunternehmer wie Wallenstein (1583-1634) nach dem Prinzip "der Krieg ernährt den Krieg" riesige Armeen dauerhaft unterhielten (und zwar auf dem Rücken der Zivilisten), schufen sie die Grundlagen für die stehenden Heere des Absolutismus.

Frauen an der Waffe

Mit Gewinn liest man zudem die Passagen über Rekrutierung und Fahnenflucht, sowie über ein Phänomen, das seit kurzem im Zuge der Genderforschung in den wissenschaftlichen Fokus rückt. Die Armeen der frühen Neuzeit bestanden nämlich keineswegs nur aus Männern. Frauen vom Typus der "Mutter Courage" (Bertolt Brecht) begleiteten den Heerestross als "Marketenderinnen", eine Art Händlerinnen. Zudem gab es "Women Worriers", die Schwert und Muskete selbst in die Hand nahmen, oder sich gar wie Jeanne d’Arc (1412-1431) an die Spitze militärischer Unternehmen stellten. Allerdings waren weibliche Kampfeinsätze nur unter der Maske männlicher (Ver-)Kleidung möglich.

Kenntnisreich, nüchtern und ohne Pathos leuchtet Martines die finsteren Abgründe militärischer Gewalt aus. Sein aufwühlendes Mosaik des Krieges dürfte empfindlichen Gemütern auf den Magen schlagen. Den wissenschaftlichen Wert des Buchs stellt das aber keineswegs in Frage.

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