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Topografie der Gewalt

Die archäologische Erforschung des Phänomens Krieg ist eine in Deutschland noch recht junge Disziplin. Sie gibt nicht nur Antworten darauf, wann Menschen damit begonnen haben, Gewaltkonflikte kollektiv, organisiert, bewaffnet und unter großem Ressourceneinsatz auszutragen. Sie liefert auch Erkenntnisse über das Wo und Wie. Was Schlachtfeldarchäologie konkret zu leisten vermag, zeigt der Archäologe Thomas Brock im vorliegenden Werk. Es handelt über Schlachtfelder in Deutschland von der Steinzeit bis in die jüngste Vergangenheit und trägt spannende Ausgrabungen zusammen.

Zunächst führt der Autor in die "Kriegsarchäologie" ein, die 1983 mit der systematischen Erkundung des Schlachtfelds am Little Bighorn River (Montana, USA) ihren Anfang nahm. Anschließend präsentiert er in fünf Hauptkapiteln sowohl bekannte als auch weniger bekannte archäologische Fundstellen der Stein-, Bronze-, Eisen- und Völkerwanderungszeit, des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie der Moderne.

Für die Steinzeit stehen die erschlagenen Bauern von Talheim bei Heilbronn, wo vor rund 7 000 Jahren das früheste bekannte Massaker der Menschheitsgeschichte stattfand. Der mit der Radiokohlenstoffmethode datierte Fund stützt die These, wonach mit der Sesshaftwerdung des Menschen während der neolithischen Revolution die Gewalt zwischen benachbarten Siedlungsgemeinschaften zunahm. Aus den Verletzungsspuren an den Knochen ließen sich die Mordwerkzeuge rekonstruieren, und die Isotopenanalyse des Zahnschmelzes erlaubte Aussagen über die Herkunft der Opfer. Demnach waren sämtliche Getöteten miteinander verwandt, so dass in Talheim wahrscheinlich mehrere Großfamilien ausgelöscht wurden, die sich zu einer Siedlungsgemeinschaft zusammengeschlossen hatten.

Vergessene Kämpfe

In die Bronzezeit, in der das Schwert zum Markenzeichen einer sich rasant entwickelnden Waffentechnologie wurde, datieren die Toten aus dem Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern. Menschenknochen von mehreren hundert Personen mit Spuren schwerster Hieb- und Stichverletzungen belegen eine neue Qualität des Tötens. Das um 1300 v. Chr. begangene Gemetzel gilt als ältester Beleg für eine regelrechte Schlacht in Mitteleuropa, bei der tödliche Waffen planmäßig zum Einsatz kamen. Es markiert den Übergang von spontaner Aggressivität in prähistorischen Gesellschaften zu geplantem Krieg zwischen sozialen Gruppen.

Was Schlachtfeldarchäologie vermag, lässt sich besonders gut anhand der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen aufzeigen. Am Beispiel der legendären Varusschlacht (9 n. Chr.) zeichnet Brock nach, wie modernste Technik Details zutage fördert, die Historikern bisher verborgen waren. Einzelne Phasen der Varusschlacht ließen sich anhand der sterblichen Überreste, Ausrüstungsteile, Speer- und Pfeilspitzen und Bleigeschosse rekonstruieren, die über eine Fläche von mehr als 30 Quadratkilometer verstreut waren.

Dass die Kriegsarchäologie sogar Gefechte belegt, die nirgends schriftlich dokumentiert sind, zeigt das 2008 nahe der niedersächsischen Stadt Northeim entdeckte Schlachtfeld am Harzhorn. Dort kreuzten um 240 n. Chr. römische Legionäre und Germanen die Klingen. In keinem anderen Fall lässt sich so exakt nachvollziehen, welche Ausrüstung, Strategie und Taktik die römischen Truppen einsetzten, um in dem unvorteilhaftem Gelände die Oberhand zu behalten und dabei die Fehler der verlorenen Varusschlacht zu vermeiden.

Mit Gottes Segen in die Hölle

Die Kriege der Neuzeit unterscheiden sich davon in Dimensionen, Funden und Befundkategorien. Aus der Lage und dem Zustand von Geschossen ergibt sich die Möglichkeit, auf Schlachtgeschehen und Waffentechnik rückzuschließen. Sogar einige Lebensumstände der Soldaten lassen sich rekonstruieren, wie das Beispiel von Lützen zeigt, wo 1632 eine der verlustreichsten Schlachten des Dreißigjährigen Kriegs tobte. Hier lieferten Skelettuntersuchungen nähere Einblicke in Ernährung, Gesundheit und Angewohnheiten der Soldaten. Unter anderem belegten Pfeifenusuren (kreisrunde Löcher in den Zähnen) den Gebrauch von Tonpfeifen.

Am Ende des Buchs stellt Brock moderne Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts vor, einschließlich ihrer spezifischen Hinterlassenschaften (Schützengräben, Gefechtsstellungen, Panzersperren, Bunker), in denen sich die Zerstörungskraft, aber auch Sinnlosigkeit der von Erich Maria Remarque (1898-1970) beschriebenen Materialschlachten widerspiegeln.

Der reich bebilderte Band bietet eine gelungene methodische und inhaltliche Einführung in das Thema. Viele Bilder, Pläne, Schemata sowie Literaturverweise ergänzen den Text und machen das Werk für einen breiten Leserkreis interessant.

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