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Galaxien, so weit das Auge reicht

Wer einen Bildband über Galaxien verfasst, kommt an dem gleichnamigen Buch von Timothy Ferris aus dem Jahr 1987 nicht vorbei. Auch wenn die Qualität der darin gezeigten Aufnahmen heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, muss sich jedes neue Werk mit diesem Klassiker messen. So auch der "Bildatlas der Galaxien" von Michael König und Stefan Binnewies. Und um es gleich vorwegzunehmen: Im Hinblick auf das Bildmaterial erweist er sich als würdiger Nachfolger.

Alle Aufnahmen sind von exzellenter Qualität und demonstrieren hervorragend, was Astrofotografen zurzeit erreichen können. Viele Bilder entstanden mit semiprofessioneller Ausrüstung aus dem oberen Preissegment und an überdurchschnittlich guten Beobachtungsstandorten. Die Fotos verdienen es durchaus, in noch größerem Format präsentiert zu werden als in diesem Band geschehen. Bei Druck- und Papierqualität macht es keinerlei Abstriche.

Fordernde Publikation

Ein reinrassiger Bildband ist das Werk allerdings nicht. Die begleitenden Texte erweisen sich als fachlich recht anspruchsvoll und erfordern Vorkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen der Astronomie und Astrophysik. Ein unbedarfter Laie, der das Buch an beliebiger Stelle aufschlägt, dürfte mit den Bildbeschreibungen zunächst heillos überfordert sein. Andererseits handelt es sich auch nicht um ein bebildertes Lehrbuch über Galaxien, dafür sind die Texte viel zu kurz.

Schon in der Einleitung legen die beiden Autoren ein hohes Tempo vor. Vermutlich war der promovierte Astrophysiker König in erster Linie für die Texte zuständig, während der renommierte Astro­fotograf Binnewies die Bilder zusammenstellte. Der Inhalt – von der Entdeckung der Natur der "Nebel" über die Klassifikation von Galaxien und ihrer zeitlichen Entwicklung bis hin zu (historischen) Galaxienkatalogen – wirkt dadurch recht stark komprimiert.

Die folgenden acht Kapitel haben einen identischen Aufbau. Jedes beginnt mit einer sechs- oder achtseitigen Einführung, gefolgt von bis zu 60 einseitigen und zwei bis acht doppelseitigen Porträts einzelner Galaxien oder Galaxienansammlungen. Nur die Große Magellansche Wolke wird auf insgesamt vier Seiten vorgestellt. Jedes Porträt besteht zu etwa gleichen Anteilen aus Bild und Text, letzterer beinhaltet in Tabellenform die Bezeichnung, die Koordinaten, das dazugehörige Sternbild, die Helligkeit und Informationen zur Aufnahme.

Fehlende Einordnung

Der Einführungsteil der einzelnen Kapitel baut auf der Einleitung auf und vertieft die dort beschriebenen Zusammenhänge. Jeweils getrennt für Spiral-, Balken-, elliptische Galaxien und so weiter wird die Aufteilung in Unterklassen anhand des Aussehens erläutert und beschrieben, wie sich Spiralarme, zentrale Balken, Gezeitenschweife und dergleichen Strukturen bilden. Einzelne, teils sehr spezielle Aspekte werden schlaglichtartig herausgestellt, wenn es sich um Phänomene handelt, die in nachfolgenden Bildbeschreibungen auftauchen. So dürfte selbst manch gestandener Astrophysiker noch nie von Worontsow-Weljaminow-Reihen gehört haben, sogar wenn er auf dem Gebiet der Galaxien arbeitet. Leider fehlen gerade bei diesen komplexeren Themen manchmal die Einordnung ins große Ganze sowie der rote Faden. Ganz anders als bei Ferris, der in sein Buch die wissenschaftlichen Zusammenhänge eingewoben hatte.

Spätestens im Kapitel über Spiralgalaxien wird auch deutlich: Der Leser sollte Vorkenntnisse mitbringen, zum Beispiel über die spektralen Eigenschaften von Sternen, die physikalische Natur von H II-Regionen beziehungsweise das interstellare Medium, das astronomische Magnitudensystem, Leuchtkräfte und Ähnliches, denn die zugehörigen Fachbegriffe bleiben allesamt ohne Erläuterung. Im Folgenden muss man auch die eine oder andere mathematische Hürde überwinden, wenn die Autoren zum Beispiel mit Proportio­nalitäten zu r1/4 hantieren oder Fourierentwicklungen heranziehen.

Die häufige Verwendung des Passivs und abstrakter Formulierungen machen den Text trocken – eigentlich vollkommen unnötig. Dies erschwert manchmal sogar, sich auf den Text zu konzentrieren und die Inhalte nachzuvollziehen. Auf die Goldwaage legen sollte man das Geschriebene dennoch nicht: Wo es nach aktuellem Stand der Forschung verschiedene Erklärungsansätze gibt, etwa zur Entstehung der Jets aktiver Galaxien, präsentieren die Autoren oft nur jeweils einen davon als gesichertes Faktum. Auch unterlaufen ihnen viele kleinere fachliche Ungenauigkeiten.

Einheitliche Gestaltung

Die Texte der Galaxienporträts bauen auf dem einleitenden Teil des jeweiligen Kapitels auf. Um die darin genannten Begrifflichkeiten einordnen zu können, sollte man diesen also unbedingt gelesen haben. Die Galaxien oder Galaxiengruppen und -haufen sind in den einzelnen Kapiteln nach Rektaszension sortiert, es gibt also keine weitere inhaltliche Struktur. Die Porträts selbst hängen nicht voneinander ab und können einzeln betrachtet werden. Ein wenig erinnern sie dadurch an Kalenderblätter, insbesondere wenn sie nur eine Seite belegen – umso mehr, weil das Layout (obere Seitenhälfte das Bild, untere der Text) kaum variiert.

Vergleicht man die Kapitel untereinander, so stellt man fest, dass zwar der Umfang der einleitenden Texte immer etwa gleich bleibt, aber spektakulärere Ansichten wie Spiralgalaxien und wechselwirkende Systeme für Astrofotografen offensichtlich attraktiver sind als die eher langweiligen Ellipsen oder die meist weit entfernten, punktförmigen aktiven Galaxienkerne. Diese müssen sich mit deutlich weniger Einzelporträts zufriedengeben. Den Ringgalaxien, die man streng genommen eigentlich zu den irregulären Systemen zählen müsste, wird dagegen sogar ein eigenständiges Kapitel gewidmet.

Wenn es darum geht, wie die gezeigten Bilder entstanden sind, hält sich der Bildatlas eher bedeckt. Mehr als die Gesamtbelichtungszeit, das Kameramodell und Kenndaten des Teleskops oder Kameraobjektivs erfahren die Leser nicht. Als Leitfaden für (angehende) Astrofotografen eignet sich das Werk daher nur bedingt, und wenn, dann im Sinn einer Referenz zur Objektauswahl. Auch visuelle Beobachter finden außer Koordinaten kaum Informationen, die ihnen weiterhelfen. Sie sind mit Wolfgang Steinickes "Galaxien – eine Einführung für Hobby-Astronomen" besser bedient.

Dennoch hat der "Bildatlas der Galaxien" seinen ganz eigenen Reiz. Fortgeschrittene astrophysikalisch interessierte Amateure erfahren viele interessante Details aus der Forschung über jedes einzelne Objekt. Und jedermann kann in den herrlichen Bildern schwelgen.

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