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Rezensionen: Medikamente gegen das Älterwerden?

Die amerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA steht in diesen Wochen vor einer wegweisenden Entscheidung. Möglicherweise wird sie zum ersten Mal eine Studie über einen Arzneistoff genehmigen, der nicht direkt dazu dienen soll, eine Erkrankung zu verhindern, unter Kontrolle zu halten oder zu heilen. Stattdessen soll er das Altern aufhalten. "Metformin", ein gängiges Mittel gegen Diabetes, senkt zugleich das allgemeine Sterberisiko der Behandelten. In der geplanten Studie möchten Mediziner nun herausfinden, ob dieser Effekt auch bei Nichtdiabetikern auftritt.

Laut Deutscher Gesellschaft für Endokrinologie würde diese Studie das Altern aus der Kategorie eines unumkehrbaren biologischen Prozesses in die einer behandelbaren physiologischen Veränderung verschieben. Eine Entwicklung, die zweifellos von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. Allein die Tatsache, dass eine solche Untersuchung heute möglich ist, belegt: Wissenschaftler verstehen mittlerweile immer besser, welche Mechanismen in den Zellen unseres Körpers dafür sorgen, dass wir altern.

Im Galopp durch die Molekularbiologie

Björn Schumacher, Professor für Genomstabilität während Alterungs- und Erkrankungsprozessen an der Universität zu Köln, hat die jüngsten Erkenntnisse der Alternsforschung im vorliegenden Sachbuch allgemeinverständlich zusammengefasst. Zunächst unternimmt er einen Ritt durch die Geschichte der Molekularbiologie, um Lesern mit geringen Vorkenntnissen wichtige Grundlagen zu vermitteln. Damit ausgerüstet kann man die später beschriebenen wissenschaftlichen Experimente gut nachvollziehen. Die Erkenntnisse, die sich aus solchen Versuchen ergeben, betreffen alternsrelevante Erbanlagen und deren Wirkungen auf Zellen und Gewebe bis hin zum gesamten Organismus. Diese Reihenfolge entspricht auch dem groben Aufbau des Buchs.

Bei verschiedenen Organismen haben Wissenschaftler bereits einzelne Genvarianten identifiziert, die den Alterungsprozess beschleunigen. Es ist sogar gelungen, Mäuse zu züchten, bei denen einzelne dieser Erbanlagen ausgeschaltet sind und die deutlich länger leben als gewöhnliche Mäuse. Der Autor, der in seinem Labor sowohl Fadenwürmer als auch Mäuse auf alternsbezogene Mechanismen untersucht, diskutiert, inwieweit die Ergebnisse solcher Tierversuche auf den Menschen übertragbar sind. Dies scheint nicht immer ganz eindeutig: Beispielsweise leben sowohl Fadenwürmer als auch Mäuse bei systematischer Unterernährung deutlich länger. Zwei Studien mit Rhesusaffen lieferten diesbezüglich jedoch widersprüchliche Resultate.

Kompliziert erscheinen auch die Zusammenhänge zwischen den molekularen Mechanismen des Alterns und denen der Krebsentstehung. Manche Faktoren, etwa eine fehlerhafte Reparatur von DNA-Schäden seitens der Zelle, begünstigen sowohl den Alterungsprozess als auch die Entstehung von Krebs. Bei vielen anderen ist die Wirkung hingegen zweischneidig. Wenn das Immunsystem beispielsweise beschädigte Zellen nicht hinreichend gründlich entfernt, steigt das Krebsrisiko. Fällt die Immunreaktion dagegen zu stark aus, richtet sie sich auch gegen gesundes Gewebe, was mit Alterungserscheinungen einhergeht. In mancher Hinsicht schützt Altern sogar vor Krebs: Alte Zellen teilen sich langsamer, wodurch Schäden am Erbmaterial weniger schnell verbreitet werden.

Viel bewegen, wenig schlemmen

Obwohl die Mechanismen, die dem Altern zu Grunde liegen, keineswegs vollkommen verstanden sind, hängen Lebensstil und Lebenserwartung eindeutig miteinander zusammen, wie Schumacher schreibt. Deshalb ruft er mit deutlichen Worten zu einer gesunden Lebensweise auf. Er plädiert für ein ausreichendes Bewegungspensum und maßvolle Ernährung, um das Risiko zu minimieren, früh an den Folgen von Zivilisationskrankheiten zu sterben.

Weiterhin geht der Autor auf Probleme ein, vor der unsere alternde Gesellschaft steht – etwa jenes, die materielle und pflegerische Versorgung im gehobenen Lebensalter sicherzustellen. Um Lösungsansätze hierfür zu finden, sollten Forscher seiner Meinung nach möglichst große Freiräume haben. Daher plädiert er am Ende seines Buchs für eine umfassende Freiheit der Forschung. Auch appelliert er an die Leser, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.

Schumacher hat sich redlich bemüht, "Die Geheimnisse des menschlichen Alterns" allen zugänglich zu machen, die sich dafür interessieren. Jedes Kapitel leitet er mit einem amüsanten Vorspann ein; molekularbiologische Prozesse veranschaulicht er mit sorgfältig ausgewählten Bildern. Die Arbeit von DNA-Reparaturenzymen beispielsweise vergleicht er mit der Instandsetzung eines Autos in voller Fahrt. Allerdings verwendet er viele Fachbegriffe wie "Nucleotidexzisionsreparatur", was Leser ohne entsprechenden Hintergrund überfordern dürfte. Daher profitieren Biologen und Mediziner am ehesten von der Lektüre. Sie aber lernen beim Lesen darüber zu staunen, welche Fortschritte die Alternsforschung in den letzten Jahren gemacht hat.

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