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Genie und Wahnsinn

"Er war das Genie des Jahrhunderts, der Christoph Kolumbus der Moderne oder der leibhaftige Teufel. Heute ist er ein einsamer Mann, der seinem Unglück entgegenrollt." Mit diesen Worten beschreibt Laurent Seksik den Physiker Albert Einstein, kurz nachdem dieser erfahren hat, dass sein Sohn Eduard mit Schizophrenie in die Züricher Heilanstalt Burghölzli eingewiesen wurde. Seksiks Roman "Der Fall Eduard Einstein" schildert das Leben der Einsteins vom Tag der Einweisung an bis ins Jahr 1963. Dabei beleuchtet der Autor die Ereignisse aus drei verschiedenen Perspektiven: die des Vaters, der Mutter und des Sohns. Sein Buch ist allerdings keine Biografie, sondern eine fiktionale Erzählung, die sich an biografische Fakten anlehnt.

Mileva Marić, Einsteins Ex-Gattin und Eduards Mutter, stellt der Autor als verlassene und besorgte Frau dar. In dem Roman opfert sie sich bis zum Ende vollkommen für ihren Sohn auf, immer hin und her gerissen zwischen ihren Skrupeln ob der schmerzhaften Therapiemethoden und der Hoffnung, die rabiate Behandlung könne eine Besserung herbeiführen. Mileva vereinsamt zunehmend und trauert der glücklichen Vergangenheit mit Albert nach. Dieser tritt uns in der Geschichte einmal nicht als gefeiertes Genie entgegen, sondern als Verfolgter: Zuerst als Staatsfeind in Nazideutschland, dann als Pazifist mit kommunistischen Tendenzen im Amerika der McCarthy-Ära und schließlich als Schuldiger am Bau der Atombombe – zumindest aus Sicht der Öffentlichkeit. Auch im Privatleben muss Albert sich verteidigen. Vor seinem älteren Sohn, weil er Mileva und die Familie verlassen hat, um erneut zu heiraten – und vor sich selbst, weil er trotz allem Mut, den er in der politischen Öffentlichkeit zeigt, nicht die Kraft findet, sich um Eduard zu kümmern.

Wachsende Distanz zum Vater

Seksik schildert die Geschichten von Mileva und Albert in der dritten Person, lässt Eduard hingegen in der Ich-Form sprechen. Dabei schimmert die große Kultiviertheit des jungen Mannes, der vor dem Ausbruch seiner Erkrankung dichtete, Klavier spielte und Medizin studierte, immer wieder durch. Den schizophrenen Eduard erleben wir als Mann, der nüchtern seine Wahnvorstellungen, seine Selbstmordversuche und die Misshandlungen in der Anstalt beschreibt und seinen eigenen seelischen und körperlichen Verfall beobachtet. Während er seiner Mutter gegenüber Liebe empfindet, ist sein Verhältnis zum Vater wesentlich schwieriger. Der Hass, den er auf Albert verspürt, weil dieser die Familie im Stich gelassen hat, wandelt sich mit den Jahren in Gleichgültigkeit, so dass der Tod des Vaters ihn emotional nicht mehr berührt. Am Ende schließt er Frieden mit ihm.

Die Physik spielt im Roman eine untergeordnete Rolle. Seksik zieht sie bisweilen für Metaphern heran, interessiert sich ansonsten aber nicht für den Wissenschaftler, sondern den Privatmann Albert Einstein. Das Buch erlaubt dem Leser, sich tief in die Figuren einzufühlen, und zeichnet ein Bild ihrer Gedankenwelt. Allerdings bringt der Autor einige biografische Daten durcheinander und unterschlägt Personen wie Einsteins Schwester Maja, die zwölf Jahre lang bei ihm lebte, im Roman aber keine Erwähnung findet. Wer sich an diesen Unstimmigkeiten nicht stört, wird eine aufwühlende und fesselnde Familiengeschichte vorfinden. Zahlreiche Literaturangaben im Anhang verweisen auf weiterführende biografische Werke über die Einsteins.

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