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Mysteriöse Entzündungen

Karsten Krüger ist seit April 2017 Professor für Sport und Gesundheit am Institut für Sportwissenschaften der Leibniz Universität Hannover. Bevor er Biologie und Sport studierte, war er selbst aktiver Leistungssportler. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt den Auswirkungen sportlichen Trainings auf das Immunsystem, und zwar nicht nur bei Sportlern, sondern auch bei Patienten mit Übergewicht, Lungenerkrankungen oder Rheuma. Nun hat er ein Buch geschrieben über stille Entzündungen in unserem Körper und darüber, wie man diesem Gesundheitsrisiko begegnen kann.

In sehr einfacher Sprache erklärt Krüger, was eine Entzündung ist, wie eine so genannte stille Entzündung entsteht und welche Folgen sie haben kann. Sodann beschreibt er, wie unser Immunsystem funktioniert und was man tun kann, um die körpereigene Abwehr zu stärken. Schließlich folgt ein Abschnitt über "anti-entzündliche Lebensstrategien", die vor allem die Ernährung, Entspannung und körperliche Bewegung betreffen.

Ursache und Wirkung

Im Kopf der Leser entsteht dabei folgende Kausalkette: Typische Lebensstilfaktoren unserer Wohlstandsgesellschaft – etwa Übergewicht, Umweltverschmutzung, chronischer Stress und mangelnde Bewegung – führen zu einer "stillen Entzündung", die wiederum Folgeerkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt, Alzheimer, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Rheuma und Krebs nach sich zieht. Die stille Entzündung selbst macht sich nicht oder kaum bemerkbar, allenfalls durch Müdigkeit oder unspezifisches Unwohlsein, und sollte laut Krüger präventiv bekämpft werden.

Der Autor vereinfacht die Zusammenhänge manchmal so sehr, dass der Text an vielen Stellen unscharf wird. Man fragt sich, wie denn stille Entzündungen eigentlich definiert sind und welche Parameter bestimmt werden können, um dieses Gesundheitsrisiko zuverlässig zu diagnostizieren. Leider gibt das Buch darüber keine Auskunft, auch entsprechende Zitate oder Verweise auf Originalpublikationen fehlen. Es ist schwer herauszulesen, welche Zusammenhänge bewiesen sind und welche bisher nur Vermutungen darstellen. Denn auch, wenn sich Erklärungen zu Krankheitsmechanismen plausibel und logisch anhören, müssen sie deswegen nicht richtig sein. Wenn ein Buch so viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse behandelt, sollte es eigentlich ein ausführliches Literaturverzeichnis bieten.

Auch im Internet ist keine klare medizinische Definition zu finden, dagegen aber viele Webseiten, die über "stille Entzündungen" informieren und gleich entsprechende Präparate dagegen anpreisen. Deshalb liefert das Buch paramedizinischen Therapeuten einen guten Vorwand, um Behandlungen durchzuführen, die ein niedergelassener Kassenarzt aus gutem Grund nicht anbietet. Über die Kausalität, die der Autor suggeriert, wonach symptomlose Entzündungen gesunde Menschen krank machen und bekämpft werden müssen, sind sich Wissenschaftler noch lange nicht einig.

Korrelation oder Kausalität?

Fakt ist, dass Entzündungsmediatoren sehr stark beforscht sind und bei fast allen pathologischen, aber auch vielen physiologischen Vorgängen eine Rolle spielen. Tatsache ist auch, dass sie von Lebensstilfaktoren beeinflusst werden und an vielen Krankheiten mitwirken. Eine Kausalität nachzuweisen, ist aber sehr schwer. Vielleicht macht uns ja etwas ganz anderes krank und die beobachteten Entzündungsmediatoren sind nur eine Begleiterscheinung oder Folge davon? Solche Überlegungen spricht Krüger nicht an.

Man muss dem Autor allerdings zu Gute halten, dass er mehrfach betont, man solle anti-entzündliche Mechanismen im Körper besser selbst durch entsprechendes Gesundheitsverhalten fördern als hierfür vermeintlich entzündungsdämpfende Substanzen von außen zuzuführen. Auch sind Krügers Ratschläge für eine "anti-entzündliche Lebensweise" durchweg positiv zu bewerten. Dass sich gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und mäßige, sportliche Aktivität positiv auf unsere Gesundheit auswirken, ist inzwischen Konsens. Insofern kann das Buch viel Gutes anstoßen. Wenn es aber darum geht, neue wissenschaftliche Zusammenhänge darzustellen, fehlen nachvollziehbare Belege.

Das Werk ist lesenswert für alle, die sich leicht verständlich zu gesundheitsbewusstem Verhalten anregen lassen möchten. Man sollte sich aber keine Angst einjagen lassen vor stillen Feinden, die im Geheimen lauern.

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