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Der Terror der Reichen

Dass die deutsche Luftwaffe 1937 mit ihrem Angriff auf Guernica während des Spanischen Bürgerkriegs die Terrorfliegerei begonnen hätte, ist eine geläufige These. Thomas Hippler, Professor für neueste Geschichte an der Universität der Normandie in Caen, widerspricht ihr in diesem Werk. Denn mit Flugzeugen gegen Zivilbevölkerung und Infrastruktur vorzugehen, hätten die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich bereits in den 1920er und 1930er Jahren praktiziert.

In der Royal Air Force nannte man das "police bombing". Damit ging man aus der Luft gegen Aufständische vor, die sich der britischen Kolonialmacht widersetzten. Das erwies sich als weniger risikoreich als der Einsatz von Bodentruppen. Weil man die feindlichen Kämpfer mit ihren Guerilla-Taktiken schwer fassen konnte, terrorisierte man die Bevölkerung, um diese zu zwingen, vom Aufstand – beziehungsweise dessen aktiver oder passiver Unterstützung – abzulassen. Hippler erläutert hierzu nicht allein das militärische Geschehen, sondern rekonstruiert ebenso die Diskussionen, die sich darum wie um die Luftkriegstechnik rankten.

Auch die gängige Einschätzung, die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki hätten Japan zur Kapitulation bewegen sollen, bestreitet Hippler. Die Abwürfe hätten vielmehr dazu gedient, die neue Waffe zu erproben und mit dem Demonstrieren ihrer Vernichtungskraft insbesondere der Sowjetunion zu drohen.

Demokratisierung des Kriegs

Bis heute, schreibt der Autor, sei der Sinn des Luftkriegs, Druck auf die Bevölkerung auszuüben, um sie entweder zu demoralisieren oder zum Aufstand gegen das jeweilige Regime zu bewegen. Die Zivilbevölkerung werde dadurch in den Krieg einbezogen und der Krieg "demokratisiert". Hippler hält das für eine neue Entwicklung, die erst der Luftkrieg ermöglicht habe.

Zweifel daran sind erlaubt. Denn das Aushungern von belagerten Bevölkerungen und das Zerstören von Infrastruktur gehörten bereits in der Antike zu den Mitteln der Kriegführung. So verwüsteten die Spartaner während des Peloponnesischen Kriegs (431-404 v. Chr.) Jahr für Jahr das Umland von Athen. Neu am Luftkrieg ist eher, dass man mit ihm die strategischen Ziele gemeinhin nicht erreicht, wie es koloniale Konflikte, der Zweite Weltkrieg, der Vietnamkrieg und die diversen Auseinandersetzungen im Nahen Osten vorführten und vorführen. Den Kosovo-Krieg diskutiert Hippler nicht.

Staatliche Willkür

Stattdessen zieht der Autor eine Linie vom kolonialen "police bombing" zum aktuellen Drohnenkrieg der USA gegen diverse Gegner. Natürlich arbeitet er die Unterschiede heraus. Doch er postuliert auch, der Drohnenkrieg gehe einher mit einer sich global ausbreitenden Kontrolle, der niemand mehr entgehen könne. Die westlichen Demokratien unter ihrem Hegemon USA führten einen Dauerkrieg, der zum weltweiten Normalzustand avanciere.

In dem Zusammenhang betrachtet Hippler primär die US-amerikanischen strategischen Diskussionen vor dem Hintergrund von Opferzahlen, ökonomischen Interessen und der Arroganz der Macht. Auf die Vorhaben ihrer jeweiligen Gegner geht er dagegen kaum ein. Das verleiht seinem Werk eine gewisse Einseitigkeit, wozu auch beiträgt, dass er die nazideutsche Kriegführung, insbesondere den Einsatz der Luftwaffe, allenfalls am Rand thematisiert.

Das Werk enthält viel Interessantes, hat aber eine seltsame Tendenz. Der Autor entlarvt nicht nur totalitäre Züge demokratischer Staaten, sondern setzt diese manchmal mit totalitären gleich. Wahrscheinlich argumentiert er aus einer linken kulturkritischen Perspektive heraus, was sich aber manchmal nicht klar von politisch rechten Positionen unterscheiden lässt. Trotzdem – und obwohl es sich wegen seines wissenschaftlichen Stils nicht ganz leicht liest – wirft das Werk einen aufschlussreichen Blick auf das Phänomen des Luftkriegs.

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