»Frauen, die die Wissenschaft veränderten«: Forschende Frauen: Keine Ausnahme
Nein, es geht nicht um Marie Curie oder Lise Meitner. Auch Rachel Carson, die Meeresbiologin und Kämpferin gegen den Einsatz des Insektizids DDT, wird nur kurz erwähnt. Sie sind die Lichtgestalten, deren Geschichten »bei jeder erdenklichen Gelegenheit in gebührender Ehrerbietung lang und breit erzählt werden«, schreiben die Historikerin Anna Reser und die Autorin Leila McNeill.
Beide haben die vielen forschenden Frauen gesucht, die unsichtbar sind. Sie zeigen, auf wie viele Arten Frauen in der Wissenschaft systematisch ausgegrenzt wurden. Dabei treibt es Frauen ebenso wie Männer seit jeher an, Wissen zu erlangen. Geforscht haben sie meist versteckt in Nischen. Diese haben die Autorinnen aufgespürt und stellen in ihrem Buch viele Forscherinnen im Porträt vor. Ihr erstes Beispiel ist Peseschet, die im alten Ägypten vor 4000 Jahren lebte, eine »Chefärztin« für Frauenheilkunde. Sie leitete eine Gruppe von Frauen, welche die Natur genau beobachteten. So steht auf einem Papyrus: Um eine Schwangerschaft festzustellen, testeten sie den Urin, den sie auf ausgewählte Kornsamen träufelten.
»Ich muss wissenschaftlich arbeiten … Das ist vielleicht das tiefste Bedürfnis in meinem Leben« – Hilda Geiringer, die erste Frau, die sich in Berlin in Angewandter Mathematik habilitierte
Im Buch geht es auch um die Mathematikerin Hypatia, Leiterin eine Schule; um Maria Cunitz, die Keplers Theorie verbesserte; um die Medizinerin Dorothea Erxleben; um die Naturforscherin Jeanne Baret, die als Mann verkleidet an einer Forschungsreise zum Pazifik teilnahm, und um Tilly Edinger, die sich unsichtbar macht, indem sie ihr Namensschild an ihrer Bürotür entfernt, damit sie als Jüdin in der Nazizeit weiter an Fossilien forschen kann. Viele Frauen flohen damals, so wie Emmy Noether, eine einflussreiche Mathematikerin, die ein Berufsverbot erhielt. Doch im Ausland erhielten Frauen oft keine Chance, um wie ihre männlichen Kollegen weiterzuforschen.
Im Ausnahmefall werden Frauen für das nationale Ansehen benutzt. Im Frühjahr 1963 fliegt die sowjetische Kosmonautin Walentina Tereschkowa als erste Frau ins All. Sie ist zwar talentiert, aber der Grund für ihre Reise ist ein anderer. Die Sowjetunion wollte unter keinen Umständen, dass eine Amerikanerin als erste Frau in den Weltraum reist. Trotz erfolgreicher Reise von Tereschkowa gibt es bis heute kaum Frauen als Astronautinnen, ganz anders, als es viele Sci-Fi-Filme suggerieren.
Wie Männer sich in den Vordergrund drängen, zeigt das Beispiel der Astronomin Vera Rubin. Die Erforschung Dunkler Materie wurde erst mit ihrer Arbeit ernst genommen. Doch als sie ihre Ergebnisse auf einem internationalen Kongress vorstellen will, soll sie zu Hause bleiben. Ein Fakultätsleiter bietet ihr an, den Vortrag für sie zu halten, denn sie hat ja ein kleines Kind, um das sie sich kümmern muss. Als Gegenleistung solle sie seinen Namen auf ihre Veröffentlichung schreiben. Rubin lehnt ab und hält den Vortrag.
Die Astrophysikerin Jocelyn Bell Burnell wurde hingegen erfolgreich um ihren Ruhm gebracht. Sie hatte als Erste Pulsare aufgespürt, was eine wichtige kosmologische Entdeckung darstellt. Den Nobelpreis dafür bekamen aber zwei Männer, wovon einer ihr Doktorvater war. Traurigerweise ist das kein Einzelfall, wie die Geschichte bekannterer Forscherinnen wie Lise Meitner zeigen.
Reser und McNeill ist ein sehr lesenswertes und bemerkenswertes Buch gelungen. Es ist liebevoll mit vielen Fotos bebildert und eröffnet einen authentischen Blick auf die Frauen in ihrer jeweiligen Zeit. Die Autorinnen zeigen, dass eine große Anzahl von Frauen als Mathematikerinnen, Ärztinnen, Geburtshelferinnen, Baumeisterinnen und Forscherinnen arbeiteten. Doch sie wollen nicht nur die Ahnengalerie um weitere Frauen erweitern. Sie weisen nach, wie Frauen systematisch ausgegrenzt wurden und immer noch werden.
Und es ist ja irgendwie komisch, dass auf der Rückseite der Nobelpreismedaillen für Chemie und Physik weibliche Figuren zu sehen sind und sich viele wissenschaftliche Institutionen mit ähnlichen Abbildern schmücken, während Frauen in der Wissenschaft schwer zu finden sind. Solange die Wissenschaftsgeschichte nicht danach sucht und anerkennt, wo, wie und was Frauen erforscht haben, wird das Bild der Forschung unvollständig bleiben.
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