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Fließend durch die Zeiten

Das Knauf-Museum Iphofen präsentiert noch bis zum 5. November die Ausstellung "Frühe Main Geschichte. Archäologie am Fluss". Das vorliegende Buch ist ihr Begleitband und fällt schon beim ersten Durchblättern durch viele Illustrationen, Tabellen, Statistiken, Karten, Grabungsprofile und großformatige Fotos auf. Namhafte Ur- und Frühgeschichtler, Geologen und Dendrochronologen dokumentieren in 21 Kapiteln das Leben am Main von der Vorzeit bis ins frühe Mittelalter.

Der erste Abschnitt entführt die Leser in die Tiefen des Erdaltertums, ins Paläozoikum. Die durchaus anspruchsvolle Lektüre befasst sich mit der Entstehung des Urmains und der Formung des heutigen Flussbetts. Beides war verbunden mit geologischen Großereignissen in Mitteleuropa, etwa der Alpenhebung mit dem Rückzug des Molassemeeres, tektonischen Verschiebungen, Bergstürzen und dem Entstehen von Flussterrassen.

Steinzeitliche Klingen

Allgemeinverständlicher präsentieren sich die folgenden Beiträge, in denen es um früheste Zeugnisse menschlichen und tierischen Lebens aus den immer noch schriftlosen Epochen geht. Einfache Werkzeuge aus marinen Sedimentgesteinen belegen, dass zwischen 300.000 und 40.000 Jahren vor Heute Neandertaler in der Mainregion gelebt haben. Sie siedelten, vermutlich zur besseren Tierbeobachtung, wohl vorzugsweise auf Flussterrassen oder Höhenrücken. Später hinterließ der moderne Mensch (Homo sapiens) als Sammler, Jäger oder Fischer seine Geräte entlang des Ufers. An rund 200 Orten haben Forscher so genannte Mikrolithe gefunden, kleine steinzeitliche Klingen und Spitzen. Vom 6. bis 5. vorchristlichen Jahrtausend an finden sich erstmals auch Tongefäße im Schwemmsand, geformt und verziert von den Bandkeramikern, der ersten bäuerlichen, sesshaften Kultur in Mitteleuropa. Sie bevorzugten Lössböden und die Nähe von Wasser und schufen zweckmäßige Arbeitsgeräte aus geschliffenem Stein, so genannte Schuhleistenkeile.

Gegenstand heftiger Fachdebatten waren die vielen Flussfunde im Main, die aus verschiedenen Epochen stammen: neolithische Steinbeile ebenso wie Äxte, Schwerter und Helme der Bronzezeit sowie Frauenschmuck und Reste von Pferdegeschirren. Diese Artefakte wurden lange Zeit sehr widersprüchlich interpretiert, erfahren wir aus dem Band. Jetzt aber herrsche weitgehend wissenschaftlicher Konsens darüber, dass nur wenige von ihnen Zufallsverluste darstellen; es handle sich mehrheitlich wohl um Opfer- und Weihegaben, die mit religiösen Praktiken zu tun hatten. Der Luftbildarchäologie war 1985 die sensationelle Entdeckung des Römerlagers Marktbreit zu danken, dessen Überreste sich durch Bewuchsmerkmale und Bodenverfärbungen verrieten. Das 37 Hektar große Gelände für zwei Legionen wurde wahrscheinlich vor der Zeitenwende angelegt und dürfte der augustäischen Expansionspolitik gen Osten gedient haben. Die Römer gaben es aber nach der Varusschlacht wieder auf. Archäologische Grabungen im zentralen Bereich brachten nur unbedeutende Funde von Münzen, Vorratsamphoren und Kochtöpfen zum Vorschein.

Jede Menge Holz

Dafür bezeugt eine einzigartige Fundgattung des 3. nachchristlichen Jahrhunderts das römische Leben am Untermain: Weihesteine, überwiegend an die Waldgötter Silvanus und Diana. Bereits mit den Bauaktivitäten rund um den Limes und der Gründung des Lagers Marktbreit, schreiben die Autoren, habe ein intensiver Holzeinschlag im Spessart, im Oden- und Steigerwald begonnen. Tausende gefällter Eichen wurden zum Niederrhein geflößt. Auch Buntsandstein transportierten die Römer auf dem Main; sie gewannen ihn an heute noch sichtbaren Abbaustellen entlang des Ufers. Da der Main in der Antike ein flaches Flussbett hatte, eigneten sich für schwere Lasten nur breite Schiffe mit geringem Tiefgang. Flussaufwärts wurden sie getreidelt oder gestakt, flussabwärts sorgte die Strömung für den Vortrieb. Für kleinere Lasten genügten Einbäume, die sich an günstigen Furten, etwa bei Schweinfurt, zu pontonartigen Schwimmkörpern verbinden ließen.

1885 kam bei Aushubarbeiten der "Fund von Thüngersheim" zum Vorschein, der sicher unbeabsichtigt verloren ging. Von ursprünglich 8 Münzen und einer Fibel haben sich nur 4 Objekte erhalten, die aus den Zeiten unter den Kaisern Antoninus Pius (68-161), Marc Aurel (121-180) und Gallienus (218-268) stammen. Die zu Schmuckstücken umgearbeiteten Münzen sind in dem Band auf exzellenten Fotos abgebildet.

Kanalbau im Frühmittelalter

Die letzten, ebenfalls fesselnden Kapitel widmen sich der wachsenden Binnenschifffahrt auf dem Main, seinen Nebenflüssen und der nahen Donau im Zuge der fränkischen Expansion. Prominentester Passagier war Karl der Große (748-814) auf seinen jährlichen Reisen zu Pfalzen, wichtigen Bischofssitzen oder Kriegsschauplätzen – alles gewissenhaft notiert von seinem Biografen Einhard. Karl nutzte unterschiedliche Schiffstypen zum Fortkommen. Die "Europäische Wasserscheide" bereitete dabei große Schwierigkeiten: Die Landenge zwischen Main und Donau etwa ließ sich nur durch Tragen der Schiffe überwinden. Schon damals entstand die Idee zum Bau eines "Karlskanals", die endgültige Ausführung jedoch scheiterte. Erhalten hat sich aber eine farbige Illustration in der Würzburger Bischofschronik, die vier schwer arbeitende Männer beim Ausschachten zeigt. Fast genauso hart arbeiten die Archäologen seit 2012, um die Spundwände der "Fossa Carolina" zu bergen, einer karolingischen Verbindung zwischen Rhein und Donau.

Der hervorragend gestaltete Band überrascht durch große inhaltliche Vielfalt, Akribie und Empathie der Autoren sowie durch sorgfältige Literatur- und Abbildungsverzeichnisse. Das Buch dürfte sowohl einschlägig arbeitenden Wissenschaftlern nützen als auch Interessierte dazu anregen, sich intensiver mit der Vergangenheit der Region zu beschäftigen. Für regional weniger Kundige wäre eine aktuelle Übersichtskarte vom Main im Anhang wünschenswert, um das schnellere Auffinden der zitierten Fundorte zu erleichtern. Die wenigen Druckfehler sind entschuldbar.

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