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Der lange Weg zum Bürgerverband

Epochale historische Umwälzungen haben ihre Vorgeschichte. Dies gilt auch und besonders für die Entstehung der athenischen Demokratie im 5. Jahrhundert v. Chr. Lange bevor im antiken Griechenland die Teilhabe Aller an Allem praktiziert werden konnte, hatten dort Adlige das Sagen – ob als Herrschaft einiger weniger (Oligarchie) oder eines Einzelnen, der das Gemeinwesen als König oder als Tyrann monokratisch regierte.

Klaus Bringmann, emeritierter Althistoriker, erzählt im vorliegenden Buch die Geschichte einer ungemein bewegten Zeit, in der Migration und Kulturtransfer neue Wege für ein gesellschaftliches Miteinander ebneten. Ausgehend vom Niedergang der mykenischen Palastkultur und den sich daran anschließenden "Dunklen Jahrhunderten" beleuchtet er, wie und warum sich aus den zunächst aristokratisch dominierten griechischen Stammesgesellschaften im 8. Jahrhundert jene kulturspezifische Besonderheit der antiken griechischen Welt herausbildete, die den polites, den Bürger, zum Teilhaber und Mitgestalter der Gemeinschaft machte.

Von Athen bis Sparta

Anschaulich, fundiert und auf der Höhe der Forschung skizziert der Autor die frühe griechische Staatenwelt im Archaischen Zeitalter (900-550 v. Chr.). Sie lässt sich als territorialer Flickenteppich aus hunderten unmittelbar benachbarten Gemeinden beschreiben, in denen sich unterschiedliche politische Strukturen etablierten. Darunter Sparta mit seiner aus dem Rahmen fallenden Verfassung der Doppelmonarchie, aber auch Athen, wo man die Herrschaft des Volks als politische Ordnung institutionell verankerte.

Bringmann beschränkt sich in seiner Darstellung nicht nur auf historische Abläufe, sondern nimmt auch die gesellschaftliche Entwicklung in der Literatur, Philosophie, Kunst, Religion, Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick. Schriftliche Quellen setzt er geschickt mit archäologischen Befunden in Beziehung und verwebt sie zu einem komplexen Ganzen.

Ausführlich beschreibt der Althistoriker den Kulturkontakt mit dem Vorderen Orient und dessen Rückwirkungen auf die griechische Gesellschaft – ob in Kunst, Handwerk oder Schrift. Zudem verweist er auf die sozioökonomischen Zwänge einer kleinräumigen griechischen Welt, die mit auswärtigen Koloniegründungen ein Ventil fand, um auf Bevölkerungswachstum und innerstaatliche Rivalitäten konkurrierender Adliger (stasis) zu reagieren. Bringmann blickt in das Innenleben des griechischen Bürgerstaats, erläutert die Einteilung der Bürgerschaft in genossenschaftliche Basisverbände (Phylen, Phratrien, Demen) sowie die Herausbildung staatlicher Institutionen (Volksversammlung, Rat, Magistrate). Integrierende und identitätsstiftende Praktiken (Kult, Fest, Wettkämpfe) behandelt er ebenso wie politische und soziale Verwerfungen, welche die Transformation der Gemeinden in staatlich organisierte Poleis mit sich brachte – etwa die Verschuldung der Bauern gegenüber adligen Großgrundbesitzern.

Legislaturperioden vor zweieinhalbtausend Jahren

Anhand des Gesetzes von Dreros aus der Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts zeigt der Autor, wie entstehende Rechtsordnungen die Eigengewalt und die Adelswillkür beschnitten und den politischen Wettbewerb staatlich institutionalisierten. Die aus dem Nordosten Kretas stammende Inschrift ist das früheste greifbare Dokument, das die Bestellung und Kontrolle der Magistrate in einer Polis reguliert. Sie verdeutlicht, dass bereits damals die Befristung der Herrschaft und die periodische Neubesetzung ihrer Träger etabliert waren.

In Athen, so erfahren wir, sorgte etwa zur gleichen Zeit die Institution der asylia dafür, Fremde vor Gewaltanwendung staatlich zu schützen, während die drakonischen Gesetze die Selbstjustiz zu Gunsten staatlichen Gewaltmonopols zurückdrängten. Bahnbrechende zivilisatorische Errungenschaften, die noch heute die abendländische Kultur prägen. Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. schuf der Athener Kleisthenes den institutionellen Rahmen, in dem eine auf Gleichheit (Isonomie) gründende Demokratie wachsen konnte. Die Grundprinzipien dieser Ordnung arbeitet der Autor ebenso überzeugend heraus wie die Ursachen des sich wenige Jahre später anbahnenden Konflikts mit den Persern.

"Im Schatten der Paläste" eröffnet den Lesern die Erkenntnis, dass der Weg in die Demokratie nicht unbedingt zwangsläufig und die "Herrschaft des Volkes" im antiken Hellas nur eine unter vielen war. Das Buch zeigt aber auch, wie uneins und zerstritten sich die Griechen bei aller ethnischen Verwandtschaft zeigten. Dass Hellenen gemeinsame Sache mit den Persern machten – im Griechischen mit dem Begriff medismos umschrieben –, ist dafür ein schlagender Beweis.

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