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Gier nach mehr

Ein reißerischer Titel sagt nicht unbedingt viel über den Inhalt eines Buchs aus. Auch wenn er nicht besonders gehaltvoll klingt, kann ein interessantes Werk dahinterstehen – wie im Falle von "Im Teufelskreis der Lust".

Autor Ingo Schymanski fragt, warum sich so viele wohlhabende und gesunde Menschen erschöpft und unglücklich fühlen. Die Antwort darauf findet er in den neurobiologischen Grundlagen des Lustempfindens. Der Mediziner erklärt gut verständlich und auf den Punkt, wie das Belohnungssystem des Gehirns funktioniert, warum es für unser Überleben unabdingbar ist und welche unerwünschten Risiken und Nebenwirkungen es birgt.

Immer Luxus ist nicht schön

Der Belohnungsmechanismus macht uns nicht nur glücklich, sondern ist ebenso an der Entstehung von Süchten, Depressionen und anderen psychischen Störungen beteiligt. Denn für die Signalübertragung im Körper und damit auch im Gehirn gilt: Ein Signal, das ständig präsent ist, verliert seine Wirkung. Das Belohnungssystem reagiert auf Kontraste. Die Rezeptoren, an denen Neurotransmitter wie Dopamin oder Glutamat andocken, können durch Überstimulation quasi abstumpfen. Weil sie sich an eine unablässig wechselnde Umwelt anpassen müssen, adaptieren sie nach kurzer Zeit auch an große Botenstoffmengen. Diese sind dann nicht länger eine stimulierende Ausnahme – und schon brauchen wir mehr Alkohol, mehr Schokolade oder mehr Einkaufserlebnisse, damit sich der angenehme Zustand der Befriedigung wieder einstellt. Die Rezeptoren "fahren" erst wieder herunter, wenn sie eine Stimulationspause bekommen und an ein niedrigeres Botenstoff-Niveau adaptieren. Geschieht das nicht, verlieren die "Glücks-Transmitter" ihre Wirkung. Die Folge: Wir sind angespannt, ängstlich und schlafen schlecht.

Etwas Neues erzählt der Autor damit nicht, und das ist auch nicht sein Anspruch. Vielmehr verbindet er neuropsychologische Forschungsergebnisse mit einer Bestandsaufnahme unserer Schneller-höher-weiter-Gesellschaft. Daraus wiederum leitet er ein einfaches Modell ab, das die zunehmende Prävalenz von Angststörungen, Depressionen und Abhängigkeiten erklären kann. In der Konsequenz läuft es darauf hinaus, man müsse von der Spaßgesellschaft abkehren, um diese "Zivilisationskrankheiten" einzudämmen. Letztlich reiht sich der Autor damit in den Trend ein, der dauerkrisengeschüttelten Konsumgesellschaft eine Philosophie der Entschleunigung und Vereinfachung entgegenzusetzen.

Es gibt zwar eine Menge Sachbücher, die auf neuropsychologischer Grundlage erklären, warum wir in heutigen Zeiten dringend Ruhe und Rückzug benötigen. "Im Teufelskreis der Lust" bringt die Mechanismen dahinter aber klug auf den Punkt.

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