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Der Medienkaiser

Älteren ist der römische Kaiser Nero (37-68 n. Chr.) vor allem aus dem Monumentalfilm "Quo vadis" (USA 1951) bekannt, in dem Peter Ustinov den Herrscher als dekadente und gestörte Persönlichkeit darstellte. Im abendländischen Denken gilt der Kaiser als Unterdrücker, der Roms Brand im Jahre 64 den Christen in die Schuhe schob und sie daraufhin öffentlich grausam ermorden ließ. Die römischen Geschichtsschreiber Tacitus, Sueton und Cassius Dio sahen ihn, den letzten Vertreter der julisch-claudischen Dynastie, als Tyrann und Versager.

Mit diesen Vorurteilen möchte das Buch des Historikers Holger Sonnabend aufräumen. Der Autor strebt historische Genauigkeit an, indem er sich auf intensives Quellenstudium stützt. Was wissenschaftlich verdienstvoll ist, wirkt stilistisch gelegentlich ermüdend, denn der Historiker versucht generell keine Spannung aufzubauen.

Ein singender, klingender Imperator

Sonnabend zeichnet Nero als Herrscher mit eigenwilligem Stil. Gerade die römischen Geschichtsschreiber, die der gesellschaftlichen Elite entstammten, betrachteten Neros künstlerische oder auch sportliche Aktivitäten als eines Kaisers nicht würdig: etwa seine Wagenrennen oder seine Teilnahme an den Spielen von Olympia. Dabei war der Herrscher auf künstlerischem Gebiet keineswegs Dilettant. Er nahm jahrelang Musikunterricht, bevor er sich in die Öffentlichkeit wagte und sein Volk als singender Kaiser überraschte, der Kithara spielte – ein schwer zu bändigendes Saiteninstrument, das im Apollokult eine wichtige Rolle spielte. Nero zählte sicherlich nicht zu den Meistern der Bühne, doch in anderen Fragen kannte er sich bestens aus, etwa der Inszenierung und Choreografie von Großveranstaltungen. Man könnte ihn einen Medienkaiser nennen, der rund 2000 Jahre vor dem "Medienkanzler" Gerhard Schröder von sich reden machte.

Für einen römischen Herrscher war der Kontakt zur Bevölkerung der Hauptstadt eminent wichtig. Hier konnte er durch öffentliche Popularität seine Position gegenüber Senat und Aristokratie stärken; beide standen Nero von Anfang an eher skeptisch gegenüber. Mit 17 Jahren war er als Nachfolger des Kaisers Claudius (10 v. Chr.-54 n. Chr.) auf den Thron gelangt, und zwar auf Betreiben seiner Mutter Agrippina hin. Ihr wurde nachgesagt, Claudius genötigt zu haben, seinen Stiefsohn Nero zu adoptieren.

Einige Jahre lang erreichte Nero große Beliebtheit in der römischen Bevölkerung. Das Volk verzieh ihm daher manche Eskapaden: Seine Mutter und seine erste Frau ließ er beide umbringen, bei der zweiten Gattin erledigte er das jähzornig gleich selbst. Doch irgendwann erlahmte das öffentliche Interesse an seinen künstlerischen und sportlichen Auftritten – nach dem Soziologen Max Weber (1864-1920) ein allemal normales Verblassen des Charismas.

Die Gunst der Truppen

Nero war vom Beifall des Publikums allerdings derart abhängig, dass er sich auf eine 15 Monate dauernde Griechenlandreise begab, wo man ihn als Kaiser, Künstler und Sportler feierte. Danach entglitt ihm die Macht. Die Bevölkerung litt unter wirtschaftlich schlechter Lage, und ausgerechnet in dieser Situation sah sich Nero durch den Brand Roms im Jahr 64 (den er Sonnabend zufolge ganz bestimmt nicht gelegt hatte) zu teuren Wiederaufbautätigkeiten angehalten. Die Steuern mussten erhöht, der Sold der Legionäre gekürzt werden. Das verstimmte die Soldaten, auf deren Wohlwollen die Kaiser elementar angewiesen waren. Aufstände in den Provinzen waren die Folge, und sie boten dem Senat die Gelegenheit, Nero zum Selbstmord zu zwingen.

Holger Sonnabend zeichnet auf lehrreiche Weise das Bild eines klugen, durchaus sensiblen Herrschers, der sich eine Zeitlang geschickt medialer Inszenierungen zu bedienen wusste, um seine Macht zu festigen sowie seinem Vergnügen zu frönen. Man kann Nero als frühen Verfechter eines Regierungsstils ansehen, der sich medial exzessiv in Szene setzt. Ein Stil, den sich heutige Politiker umfassend zu eigen gemacht haben.

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