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Palmyra, Tochter der Wüste

"Kulturelles Patchwork führt nicht zu kultureller Gleichwertigkeit, sondern macht durch seine Verschiedenartigkeit den Weg frei für Einfallsreichtum und Originalität." Mit diesem Satz würdigt Paul Veyne, Professor für römische Geschichte am Collège de France in Paris, die kulturelle Vielfalt der antiken syrischen Wüstenstadt Palmyra, die 2015 von der IS-Miliz eingenommen und großteils zerstört wurde. Im März dieses Jahres eroberten syrische und russische Streitkräfte den Ort zurück.

In seinem Buch unternimmt Veyne einen Parforceritt durch die Stadthistorie. Dabei hat er weniger einen akademischen als vielmehr einen humanitären Anspruch. Auch will er keine detaillierte Geschichte Palmyras erzählen. Er versteht sein Werk als Requiem an die geschundene Wüstensiedlung – und als Würdigung des Archäologen Khaled al-Asaad, des Generaldirektors der Altertümer von Palmyra, der im August 2015 vom IS ermordet wurde.

Kompakte Darstellung

In kurzen Kapiteln schildert der Autor chronologisch sortiert die Vergangenheit Palmyras. Die Wüstenstadt war durch Gewürz-, Perlen- und Elfenbeinhandel zu Reichtum und Bedeutung gekommen. Dabei verliefen die Handelsrouten vom Persischen Golf entlang des Euphrats bis nach Rom. Ab 267 n. Chr. erlangte Palmyra auch politische Macht. Königin Septimia Zenobia (240 bis ca. 273), Gattin des Septimius Odaenathus, übernahm nach dessen gewaltsamem Tod die Herrschaft. Es gelang ihr, Arabien und Ägypten, die zum römischen Reich gehörten, unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Jahr 272 wurden ihre Truppen von denen des römischen Kaisers Aurelian (214-275) besiegt.

Neben solchen wirtschaftlichen und politischen Aspekten arbeitet Veyne vor allem heraus, was Palmyra so einzigartig machte: die kulturelle Vielfalt. Denn in der Stadt trafen Okzident und Orient zusammen und vermischten sich. Welche Wirkung das über die Jahrhunderte hinweg hatte, umreißt der Autor sehr gekonnt. An Beispielen aus Religion und Kunst stellt er dar, wie griechische und römische Einflüsse die Stadt prägten und wie die Einwohner damit umgingen. Palmyrenische Bildhauer beispielsweise übernahmen griechische Kunstformen und entwickelten daraus einen eigenen Stil.

Sich im Wandel treu geblieben

Veynes Buch ist eine Hommage an die Innovationskraft, die am Schnittpunkt unterschiedlichster Kulturen entstehen kann. Palmyra, so erfahren wir, habe sich den Einflüssen der jeweils dominierenden Macht weder verschlossen noch habe es sich diesen angepasst. Als "hybride Stadt" habe sie all die verschiedenen Strömungen aufgenommen und sei doch "immer sie selbst geblieben". Veynes Fazit: Palmyra ist nicht trotz der kulturellen Vielfalt einzigartig, sondern wegen ihr.

Die starke Raffung geschichtlicher Ereignisse, die der Autor vornimmt, erscheint angesichts der etwa 4000-jährigen Stadthistorie zunächst sehr gewagt. Bedenkt man jedoch die Intention des Werks, sind die Kürzungen nicht nur zulässig, sondern notwendig. Der Detailreichtum der langen Siedlungsgeschichte würde den Blick auf das Wesentliche verstellen, nämlich die Würdigung des einzigartigen kulturellen Reichtums Palmyras. Dank der Komprimierung bietet das Buch einen klar strukturierten und verständlichen Überblick über das Thema. Es lässt sich nicht nur geschichtsinteressierten Lesern empfehlen, sondern einem wesentlich breiteren Publikum.

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