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Pflanzenführer auf neuen Wegen

Pflanzen bestimmen ist nicht ganz einfach. Möchte man ein Buch verfassen, das dies für alle einheimischen Arten erlaubt, dann kommt es schnell auf mehr als 1000 Seiten für rund 4000 so genannte Gefäßpflanzen.

Verschiedene Wege hat man ausprobiert, das Einordnen dennoch möglichst zeitsparend und sicher zu ermöglichen. Zunächst trifft man für Pflanzenliebhaber – Amateure im Sinne des Worts, für die das vorliegende Werk gemacht wurde – eine Auswahl. Mehr als 3000 Arten kann man da schon mal weglassen, weil sie sehr selten sind (etwa Frauenschuh), weil sie nur an ganz wenigen exponierten Stellen wachsen (zum Beispiel Edelweiß) oder lediglich in seltenen Lebensräumen vorkommen (beispielsweise Sonnentau im Moor). Dann spart man noch alle Kulturpflanzen der Felder und alle Garten- und Parkpflanzen aus. So kommt der Autor Peter Manuel Kammer, Vegetationsökologe, Professor an der Pädagogischen Hochschule in Bern und dort verantwortlich für die Lehrerausbildung in Biologie, auf seine Auswahl von nur noch 674 Arten. Es sind dies die wichtigsten Farne, Schachtelhalme und Blütenpflanzen, einschließlich Gehölzen, Wasserpflanzen und – was sonst in solchen Büchern immer fehlt – einigen Süß- und Sauergräsern.

Qual der Wahl

Damit es nun auch noch möglichst rasch geht, bis man weiß, was man vor sich hat, ordnen die meisten farbig bebilderten Feldführer die ausgewählten Arten nach dem Blütenkolorit. Klassische Bestimmungsbücher ohne farbige Abbildungen verlangen für das Auffinden einer Art das sehr sorgfältige Lesen eines fachnahen Texts. Dabei wird immer verlangt, sich für eine von je zwei verschiedenen Beschreibungen der Pflanze oder ihrer Teile zu entscheiden, und das so lange, bis die Spezies eingegrenzt ist. Das kann sehr frustrierend sein, wenn man beispielsweise ein Schneeglöckchen in der Hand hat und bei der Tulpe ankommt.

Genau hier geht der Autor einen völlig neuen Weg, und der funktioniert ausgezeichnet. Das Abfragen von Alternativen hat er beibehalten, aber praktisch ganz ohne botanisches Fachvokabular, das man sich sonst vorher immer beibringen musste, wenn man nicht dauernd im Glossar nachschlagen wollte. An einigen wenigen Stellen geht es auch in Kammers Buch nicht ohne Fachtermini; dort erklärt er den notwendigen Begriff einfach an Ort und Stelle und bildet, wenn nötig, auch noch eine Skizze dazu ab. Ich habe das an zehn willkürlich von draußen mitgebrachten Pflanzen ausprobiert und neun davon leicht gefunden. Die übrig gebliebene war eine Brombeere, und da versagt auch so manche vielbändige Flora: die Gattung Rubus gehört zu den schwierigsten überhaupt.

Zu jeder Art gibt es eine Abbildung, gelegentlich auch zwei. Dazu eine Beschreibung, welche die Familie nennt, den lateinischen Namen erklärt und weitere wichtige Erkennungsmerkmale aufzählt. Ferner erfährt man einiges über die Blütezeit und den Lebensraum. Unter "Wissenswertes" folgen interessante Angaben zur Verwendung, zum Giftgehalt oder auch zur Bekämpfung (bei einigen sehr invasiven Arten, die endemische verdrängen können). Bezüglich der Echten Brombeere (Rubus fruticosus), wird beispielsweise erklärt, warum es "zu einer unüberblickbaren Formenvielfalt und zahlreichen schlecht unterscheidbaren Kleinarten" (innerhalb der Gattung) kommt. Hier liegen die Grenzen eines solchen Feldführers. Es bleibt auf den Seiten aber fast immer Platz für eigene Anmerkungen, was sehr nützlich sein kann.

Ein kurzes Glossar erklärt wichtige Begriffe vor allem zur Fortpflanzungsbiologie der Blütenpflanzen etwas ausführlicher. Das Literaturverzeichnis führt jene Werke auf, von denen man einige braucht, wenn man mehr als 674 Arten kennenlernen will.

Fotografisches Vermächtnis

Soweit die positiven Aspekte. Leider gibt es auch einige negative. Bei dem Urheber der Abbildungen, die durchweg sehr gut sind, handelt es sich um Konrad Lauber (1927-2004), der zu den besten Pflanzenfotografen Europas gehörte. Er illustrierte unter anderem die "Flora Helvetica" mit mehr als 3000 Arten ganz allein und erscheint dort auch als Erstautor. Im vorliegenden Werk nun wird er gerade mal im Impressum erwähnt, während Stefan Eggenberg, "dessen Zeichnungen dieses Buch veredeln", ausdrücklichen Dank erfährt. Die Titelfotos für den Einband stammen auch noch aus dem Internet von Pixabay, Fotolia oder Flickr. Eine solche Missachtung eines Fotografen ist mir bisher noch nicht untergekommen.

Bilder für Bestimmungsbücher müssen nicht "schön" sein, sondern die wesentlichen Merkmale möglichst detailreich zeigen. Das ist in diesem Band grundsätzlich hervorragend gelungen. Leider aber hat man das Buch an den Rändern so knapp beschnitten, dass bei vielen Abbildungen die gewählten Ausschnitte nicht mehr stimmig sind: Blüten- oder Laubblätter sind nur zum Teil zu sehen oder die Symmetrie des Bildaufbaus gestört. Das ist schade und wäre vermeidbar gewesen.

Unterm Strich jedoch stimmen die Qualität und der Preis des Bands. Er ist zwar kein Taschenbuch mehr, aber mit seinem flexiblen abwaschbaren Einband absolut geländetauglich. Wer ihn besitzt, hat kaum noch einen Grund, nicht sofort auf Pflanzenexpedition zu gehen!

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