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Symmetrische Polyeder

Die Griechen der Antike schätzten sie über alles, doch heutige professionelle Mathematiker haben nur noch ein Achselzucken für sie übrig: jene fünf von ebenen Flächen begrenzten Körper mit maximaler Regelmäßigkeit, die man als die platonischen kennt. Schon recht – mit den modernen Methoden ist auf dem Gebiet kaum noch etwas zu holen; alle begrifflichen Werkzeuge finden sich im Wesentlichen schon bei den alten Griechen, namentlich bei Euklid.

Die Schulmathematik lässt die platonischen Körper und ihre Abkömmlinge ebenfalls links liegen – und hat dafür weit weniger überzeugende Ausreden parat. Das Gebiet ist sehr ergiebig, vor allem wenn man die asketische Forderung nach totaler Einheitlichkeit etwas lockert, aber die nach Symmetrie beibehält. Man besteht also besser nicht darauf, dass alle Flächen gleiche, regelmäßige, auf einheitliche Weise um die Ecken angeordnete Vielecke sein sollen, wohl aber, dass der Körper unter einer Vielzahl von Drehungen und Spiegelungen wieder in sich selbst übergeht. Die Ergebnisse sind mit Schulmitteln erreichbar und vor allem hübsch anzusehen – wenn man sich denn mit ihnen befasst. Dass dies in der Schule vielfach nicht geschieht, liegt vielleicht daran, dass die analytische Geometrie mit ihren Koordinaten die altehrwürdigen Körper an den Rand gedrängt hat.

Domäne der Rudolf-Steiner-Schulen

Allein in der Waldorfpädagogik genießen sie hohes Ansehen; dort nimmt man sich auch die Zeit, sie als Modelle zum Anfassen herzustellen. Nicht umsonst stammt aus dieser Ecke das bisherige Standardwerk "Platonische und archimedische Körper, ihre Sternformen und polaren Gebilde" von Paul Adam und Arnold Wyss (1984), das inzwischen vergriffen und nur noch zu stolzen Preisen antiquarisch zu haben ist. Für eine theoretisch anspruchsvollere Behandlung gibt es im Wesentlichen nur die Bücher von Renatus Ziegler vom Goetheanum in Dornach.

Der Autor des vorliegenden Buchs, Walter Kraul (Jahrgang 1926), ist ebenfalls altgedienter Waldorflehrer. Nebenher betreibt er eine Firma, die unter anderem Bausätze für Kantenmodelle platonischer Körper aus Messing feilbietet. Gegenüber dem Band von Adam und Wyss wirkt sein neuestes Werk auf den ersten Blick hausbackener und unsystematischer. Auch die abgebildeten Kartonmodelle vermitteln zuweilen einen merkwürdig unbeholfenen Eindruck, als wären sie von Kinderhand gefertigt. Auf den zweiten Blick finden sich eine ganze Menge Ideen, die Adam und Wyss nicht oder nur am Rande erwähnten.

Hand anlegen an die Ecken

Die Forderung nach Einheitlichkeit lockern, aber die Symmetrie beibehalten: Dieses Rezept kann man auf sehr viele verschiedene Weisen umsetzen. Durch Wegnehmen, indem man einem platonischen Körper alle Ecken abschneidet, mehr oder weniger tief, aber vor allem von jeder Ecke gleich viel (Kraul nennt das "Stutzen"). Durch Hinzufügen, indem man auf jede Seitenfläche eine Pyramide aufsetzt ("Zelten"). Oder durch Übergang zum "polaren Körper", indem man auf regelhafte Weise Ecken durch Flächen ersetzt und umgekehrt. Gewisse Raumdiagonalen eines platonischen Körpers, das heißt durch den Körper verlaufende Verbindungslinien von Ecke zu Ecke, lassen sich häufig zu Kanten eines anderen platonischen Körpers zusammenfassen. Das gelingt mehrfach in ein und demselben Körper, so dass zum Beispiel in einem Dodekaeder fünf Tetraeder oder fünf Würfel zu finden sind, die sich gegenseitig durchdringen und damit einen prachtvollen Anblick bieten (Titelbild des Buchs). Andere Diagonalen fügen sich zu jenen Sternkörpern, die in der Literatur unter den Namen ihrer Entdecker Johannes Kepler und Louis Poinsot bekannt sind.

Über dieses "Standardprogramm" hinaus bietet Kraul etliche neue und überraschende Ideen. Platonische Körper kann man "ineinander schachteln", das heißt ganz konkret aufklappbar aus Karton bauen und in der Größe so aufeinander abstimmen, dass sie genau und möglichst symmetrisch ineinanderpassen. Kraul zeigt uns eine von vielen Möglichkeiten, dies zu tun. Allem Anschein nach gibt es keine, die den anderen klar überlegen wäre.

Der Autor demonstriert auch, wie man geometrische Körper zerschneiden und anders wieder zusammenzusetzen kann. Oder man baut viele gleiche Exemplare eines platonischen Körpers und konstruiert daraus neue, fantasievolle Bauwerke. Hätten Sie gewusst, dass man 30 reguläre Ikosaeder Kante an Kante zu einem geschlossenen kugelförmigen Gebilde zusammenfügen kann? Kraul entdeckte dies, als er über das "gekerbte Dodekaeder" nachdachte, einen Körper, der in der Literatur als uniformes Polyeder aus zwölf Fünfsternen und 20 Dreiecken bekannt ist.

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