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Großer Streit um die Welt des Kleinen

Das Leben von Mikroorganismen ist ein steter Konkurrenzkampf: Jeder Einzeller sucht einen Platz zu ergattern, an dem er optimal mit Energie und Nährstoffen versorgt ist. Wer den besten Zugang zu wertvollen Ressourcen hat, vermehrt sich am schnellsten und dominiert das Geschehen. Ein ähnliches Ringen lieferten sich die Gründerväter der Mikrobiologie, der deutsche Arzt Robert Koch und der französische Chemiker Louis Pasteur. Beide erforschten mikrobielle Infektionskrankheiten und rivalisierten um die Anerkennung ihrer jeweiligen Beiträge – eine mitreißende Geschichte, die im vorliegenden Buch spannend aufbereitet ist.

Der 1822 geborene Pasteur verdient sich seine Sporen, indem er die tragende Rolle von Mikroorganismen beim Gärungsprozess nachweist. Außerdem untersucht er im Auftrag der französischen Regierung verschiedene Krankheiten von Seidenraupen, die er auf mikrobielle Infektionen zurückführen kann. Als junger Wissenschaftler reist Pasteur durch Deutschland und nimmt einen positiven Eindruck von seinen Kollegen in Leipzig, Dresden und Darmstadt mit. Diese Einstellung gegenüber dem Nachbarland verkehrt sich allerdings während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870 bis 1871 ins Gegenteil.

Disput um den Milzbranderreger

1876 liest Pasteur den Artikel eines 20 Jahre jüngeren deutschen Arztes, der den Infektionsweg des Milzbrands durch ein Bakterium beschreibt. Pasteur, der einige Jahre zuvor selbst einen Artikel über den Bazillus veröffentlicht hat, ohne freilich dessen ursächliche Rolle bei der Erkrankung nachzuweisen, ärgert sich über die mangelnde Erwähnung seiner Vorarbeiten. Seine Wut spornt ihn an, wieder intensiv mit dem Bakterium zu arbeiten. Als Ergebnis entsteht ein Impfstoff, mit dem sich Nutztiere vor der Infektion schützen lassen.

In Berlin allerdings kritisiert Koch die Arbeiten des Konkurrenten, der ihm bei der Anzucht reiner Bakterienkulturen unterlegen ist. Aus Kochs Labor stammt die noch heute gängige Praxis, einzelne Mikrobenstämme auf festem Medium voneinander zu separieren. Nach seinen Arbeiten zum Milzbrand wendet sich der deutsche Mediziner einer weiteren Infektionskrankheit zu, der Tuberkulose, deren Erreger er 1882 identifiziert. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere trifft er endlich den rivalisierenden Kollegen. In Vorträgen auf dem internationalen Kongress für Hygiene und Demographie in Genf diskreditieren die beiden sich gegenseitig. Entsprechende Berichte in den nationalistisch gefärbten Zeitungen beider Länder heizen die Spannungen weiter an – ebenso wie zahlreiche Missverständnisse, die daraus entstehen, dass Koch kaum Französisch versteht und Pasteur nur wenig Deutsch.

Erst Jahre später, nachdem Pasteur die ersten Menschen gegen Tollwut immunisiert und dadurch unermesslichen Ruhm erlangt hat, entspannt sich das Verhältnis zwischen den beiden Männern. Sowohl zu Pasteurs 70. Geburtstag als auch zu dessen Tod drei Jahre später sendet Koch ein Telegramm. Zu dieser Zeit existiert bereits ein Institut Pasteur in Paris – ebenso wie ein Robert-Koch-Institut in Berlin. Koch hält sich allerdings nur noch selten in der Stadt auf: Seit der skandalträchtigen Scheidung von seiner ersten Frau reist er regelmäßig in tropische Länder, wo er gegen weitere Infektionskrankheiten in den Kampf zieht. Bevor er 1910 in Baden-Baden stirbt, wird er mit einem der ersten Nobelpreise für Medizin geehrt.

Reibungsverluste

"Robert Koch und Louis Pasteur" liest sich wie ein Krimi der Wissenschaftsgeschichte. Aus dem Werk geht hervor, wie sehr die deutsch-französischen Konflikte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die Wissenschaft ausstrahlten. Es liegt die Frage nahe, was Pasteur und Koch wohl alles bewegt hätten, wenn sie in die heutige Zeit hineingeboren worden wären und nicht gegen-, sondern miteinander gearbeitet hätten.

Die Autoren, Annick Perrot und Maxime Schwartz, sind beide Franzosen. Perrot hat am Musée Pasteur und Schwartz am Institut Pasteur gearbeitet. Trotzdem widmen sie dem deutschen Mikrobiologen in ihrem Werk ähnlich viel Raum wie dem französischen. Ihre detaillierten Beschreibungen lassen auf einen enormen Rechercheaufwand schließen. Perrot und Schwartz gehen nicht nur auf Koch und Pasteur ein, sondern thematisieren auch die Leistungen derer Schüler und Mitarbeiter. Das ist sicher fair, hat aber zur Folge, dass der Text teils sehr stark zwischen Schauplätzen und Akteuren hin und her springt, was mitunter verwirrt. Für Mikrobiologen ist das Werk ein Muss, aber auch jeder, der sich für Wissenschaftsgeschichte interessiert, wird die Lektüre als lohnend empfinden.

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