»Schliemanns Welten«: Umstrittener Entdecker
Troja! Wer diesen Namen hört, denkt an Homer und tragische Schicksale in einem epischen Ringen zwischen Göttern und Menschen. Aber auch an Heinrich Schliemann und seine zwei Karrieren: erst steinreicher Großkaufmann im Zarenreich, dann Pionier der prähistorischen Archäologie. Er holte den homerischen Mythos in die Gegenwart, naiv und genial zugleich.
Ihm widmet das Berliner Museum für Ur- und Frühgeschichte eine große Ausstellung. Es geht um die Person Schliemann, seinen Werdegang, seinen Mythos. Und natürlich um seine Wirkungsstätten, vor allem Troja und Mykene.
Es ist nie einfach, ein Leben in der Retrospektive in Kapitel einzuteilen, doch in diesem Katalog ist es gelungen. Meist kurze und durch ihre grafische Gestaltung optisch abgehobene Artikel vermitteln Hintergrundwissen zu Personen wie »Die erste große Liebe? Minna Meincke« oder »Rudolf Virchow«, zu Orten und Geschehnissen wie »Amsterdam in den 1840er Jahren« oder »Ägypten und das Rätsel der Kleopatra«. Lediglich »Troja – was war das nochmal?« macht eine verständliche Ausnahme: Ein Historiker fasst den Mythos zusammen und gibt einen umfassenden Überblick über die vorhandenen Quellen.
Wer also war Schliemann, und wie kam er dazu, auf eigene Kosten in einem Hügel in der Türkei nach einer Stadt zu graben, die als reiner Mythos galt? Bis ins Kleinste lassen sich diese Fragen wohl nicht beantworten. Zwar hinterließ Schliemann zwei Autobiografien und mehr als 20 000 Briefe, Telegramme und Postkarten, dazu 18 Reise- und Grabungstagebücher. Doch verstand er sich auch darauf, am eigenen Mythos zu arbeiten.
Der Pastorensohn entdeckte schon als Kind seine Faszination für Sagen und Legenden. Die Mutter starb, der Vater verlor seine Anstellung wegen seines unchristlichen Lebenswandels. Schliemann wuchs bei einem Onkel auf, lernte Latein, war aber aus finanziellen Gründen gezwungen, eine Lehre in einer Materialwarenhandlung zu beginnen.
Als Arbeiter investierte er sein spärliches Gehalt in Sprachunterricht. Und Schliemann war begabt: Schon nach einem Jahr beherrschte er Russisch gut genug für kaufmännische Briefwechsel. 1846 ließ er sich in Sankt Petersburg nieder, nahm nach einigen Jahren die russische Staatsbürgerschaft an und erwarb das Patent eines Kaufmanns der zweiten Gilde von Sankt Petersburg. Damit waren Privilegien verbunden, darunter Reisefreiheit, wie sie sonst nur der Adel genoss.
Der Tod seines Bruders in Kalifornien veranlasste Schliemann Ende 1850 zu seiner ersten Amerikareise. Im aufstrebenden Sacramento gründete er ein Bankhaus, ließ sich auf das riskante Goldgeschäft ein und vermehrte in wenigen Monaten sein Vermögen. Nach schwerer Fieberkrankheit und einer verheerenden Überschwemmung der Stadt, kehrte er nach Sankt Petersburg zurück und heiratete Jekaterina Lyshina, die Tochter eines Juristen.
1858 sehnte sich Schliemann nach neuen Herausforderungen und zog sich aus dem aktiven Geschäftsleben zurück. Sein Vermögen belief sich auf umgerechnet mehr als 60 Millionen Euro. Er unternahm mehrmonatige Reisen, um die Altertümer der Welt zu besichtigen. Anfang des 19. Jahrhunderts bedeutete das: Strapazen und Risiken. So ritt Schliemann von Peking aus 14 Stunden auf einem Pferd, um die Chinesische Mauer zu erreichen. Davor hatte er Indien bereist, weiter ging es nach Japan und Amerika. Bis zu seinem Lebensende blieb er so mobil und besuchte etwa 50 Länder – sei es per Dampfer oder Boot, Eisenbahn oder Kutsche, zu Pferd oder einfach auf Schusters Rappen.
Auf den Spuren Homers
1868 war die nächste Reise den bei Homer beschriebenen Stätten gewidmet, glaubte Schliemann doch fest daran, dessen Epen schilderten tatsächliche Ereignisse und Gegebenheiten. So suchte er in Ithaka das Haus des Odysseus – und richtete mit der Spitzhacke einigen Schaden an. Zwei deutsche Archäologen hielten das Dorf Bunabaschi mit dem Hügel Bali Dagh für den Schauplatz der von Homer besungenen Geschehnisse, doch Schliemann fand nach gründlicher Begehung des gesamten Geländes, dass die in der »Ilias« und der »Odyssee« beschriebenen Gegebenheiten nicht dazu passten. Der in der Troas lebende Brite Frank Calvert legte Schliemann den Hügel Hissarlik nahe. Dort fand Schliemann die erhofften Parallelen.
1873 legten seine Arbeiter einen gepflasterten Weg frei, dazu die Überreste einer Toranlage. Sogleich verkündete Schliemann, das »Skäische Tor« gefunden zu haben – das einzige von Homer erwähnte Stadttor Trojas. Auch andernorts bemühte er sich, die prähistorische Landschaft anhand antiker Schilderungen zu rekonstruieren, wobei er auch Autoren wie Pausanias und Strabon folgte. So ließ er in Tiryns wie zuvor auf dem Hissarlik einen Grabenschnitt bis auf den gewachsenen Felsen anlegen. Schliemanns Homergläubigkeit war deutschen Akademikern Anlass für Spott und scharfe Kritik. Und doch war sie die Voraussetzung für seinen Erfolg.
Allerdings ließ sie den unerfahrenen Ausgräber auch mit brachialer Gewalt vorgehen. Lange ignorierte er, was ihm nicht homerisch erschien. Im Lauf der Zeit erkannte er den Fehler seiner Herangehensweise: »Da es meine Absicht war, Troja auszugraben, und da ich dasselbe in einer der unteren Städte zu finden erwartete, musste ich manche interessante Ruine in den oberen Schichten zerstören.« Dennoch erforschte Schliemann als Erster einen kompletten prähistorischen Siedlungshügel. Erst 1882 begann er komplette Siedlungsschichten auszugraben, statt breite Gräben durch den Hügel zu treiben.
Schliemann kehrte immer wieder in die Troas zurück, oft mit Fragen, die sich aus seinen Grabungen in Griechenland ergaben. Wie in Troja ordnete er seine Funde lange zeitlich falsch ein. Doch wieder war er es, der einen Blick in die Vorgeschichte eröffnete: Schliemann gilt als Entdecker der mykenischen Kultur.
Ob der Pionier wirklich das Troja Homers entdeckt hat, darüber stritt man schon zu seinen Lebzeiten – und darüber ist man sich auch heute noch nicht einig. Die akademische Welt hat er in zwei Lager gespalten, und manch ein renommierter Archäologe ließ sich nicht beirren, den Quereinsteiger für einen Dilettanten mit fragwürdigen Methoden zu halten. Doch Schliemann bewies, dass »eine Epoche und Kulturwelt existiert hatte, von der vorher niemand etwas Genaues wissen, sondern lediglich anhand der homerischen Epen mutmaßen konnte«.
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