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Zocker, Croupiers und einarmige Banditen

Thomas Bronder ist promovierter Physiker und Mathematiker. Er hat viele Jahre lang die Gruppe "Spielgeräte" an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geleitet und besitzt daher professionelle Erfahrung mit gewerblichen Spielautomaten. Mit dieser Expertise hat er Polizei und Ordnungsbehörden ebenso beraten wie Staats- und Rechtsanwälte, Psychologen und Journalisten. Im vorliegenden Werk, für das er zusätzlich umfangreich recherchiert hat, fasst er seine Kenntnisse zusammen.

Das Buch umfasst vier Kapitel. Seltsamerweise verzeichnet es zu Beginn – und nicht hinten, wie sonst üblich – die enthaltenen Abbildungen, Tabellen und Übersichtskästen. Darauf folgt eine vergleichsweise kurze Einführung, die bereits ahnen lässt, auf welch komplizierte Lektüre man sich einlässt.

Erst im zweiten Kapitel "Das Spiel" steigt der Autor richtig ins Thema ein. Nachdem er die Geschichte des Glückspiels umrissen und sich ein wenig mit den mathematischen Grundlagen auseinandergesetzt hat, beschreibt er detailliert die zu unterscheidenden Spielformen. Er klassifiziert Würfel-, Brett- und Kartenspiele, Lotterien und Wetten. Dabei unterscheidet er "reine Glücksspiele", "reine Geschicklichkeitsspiele" und "gemischte Spiele". Zudem schreibt er einiges über deren juristische Bewertung und stellt heraus, dass das Tempo (also der Zeitaufwand für ein Spiel), der Einsatz und der Gewinn eine wesentliche Rolle für die rechtliche Einordnung spielen.

Diverse Kriterien

Es folgen Abschnitte, die sich mit der Spieltheorie beschäftigen, welche der Mathematiker John von Neumann (1903-1957) in den 1920er Jahren begründete. Bronder konfrontiert seine Leser mit zahlreichen Einteilungskriterien für Spiele, mit der Unterscheidung zwischen Zwei- und Mehrpersonenspielen, mit perfekten und imperfekten Informationen, mit Spielstrategien, Gewinnfunktionen, Null- und Konstantsummenspielen und vielem mehr, und veranschaulicht es am Beispiel von Skat und Poker. Zudem gibt er einen Überblick darüber, wie sich der Ablauf von Spielturnieren organisieren lässt.

Das dritte Kapitel "Der Zufall" stellt zunächst die Schwierigkeiten dar, die sich mit diesem Begriff verbinden. Bronder gibt eine erste Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie, wobei er sich zunächst auf die formale Unterscheidung von abhängigen und unabhängigen Ereignissen beschränkt. Nachdem er einen Abstecher in das Problem der Zufallszahlen-Erzeugung gemacht hat, schildert er das Ringen um den Wahrscheinlichkeitsbegriff bis hin zum Axiomensystem des sowjetischen Mathematikers Andrei Nikolajewitsch Kolmogorov (1903-1987).

Eine wesentliche Rolle in dem Zusammenhang spielen das Gesetz der großen Zahl und die Normalverteilung, daher ist es naheliegend, dass der Autor darauf besonders eingeht. Mit gelungenen Grafiken verdeutlicht er an bestimmten Roulettespiel-Strategien, mit welcher Wahrscheinlichkeit Gewinne beziehungsweise Verluste eintreten. Aus Grafiken, die absolute Gewinne und Verluste (beziehungsweise Gewinn- und Verlustquoten) wiedergeben, kann man herauslesen, nach wie vielen Spielen man sich fast sicher in der Verlustzone befindet und nicht mehr in die Gewinnzone gelangen kann ("Point of no Return"). Bronder vertieft das am Beispiel von Geldspielautomaten, was insofern wichtig ist, da die Gesetzgebung von Betreibern verlangt, die durchschnittliche Verlustrate dürfe 20 Euro pro Stunde nicht überschreiten. Eine bemerkenswerte Feststellung ist in diesem Zusammenhang, dass es seit den 1980er Jahren aufgrund der Mikroprozessoren in Spielautomaten und der damit einhergehenden Vervielfachung der Spielvarianten an einem Gerät praktisch nicht mehr möglich ist, die vom Hersteller angegebene Auszahlungsquote verlässlich zu überprüfen.

Gut geplant ist ertragreich gezockt

Schließlich behandelt der Autor die Konstruktion von Spielen und Spielautomaten – und deren Wirtschaftlichkeit. Dabei erläutert er Begriffe wie "Gewinnplan" oder "Auszahlungsquote" und beschreibt, wie Buchmacher Wett- und Auszahlungsquoten steuern können. Er hinterfragt, ob es sichere Spielsysteme geben kann, etwa Martingale beim Roulette, und berichtet über (versuchte) Spielmanipulationen. In dem Zusammenhang setzt er sich mit der Ökonomie von Spielbanken auseinander. Ein Betreiber einer solchen Einrichtung muss sicherstellen, dass die angebotenen Spiele für die Besucher attraktiv sind. Hierfür müssen sie beispielsweise dem Budget der Besucher entsprechen und dürfen kein zu hohes Verlusttempo haben.

Der Anhang des Buchs enthält eine Checkliste für Spiele, die auf Jahrmärkten angeboten werden dürfen, eine Übersicht über einschlägige Gesetze und Verordnungen sowie Kriterien, um Spiele zu klassifizieren. Eine Tabelle mit Formeln, um wichtige Größen zu berechnen, macht noch einmal deutlich, wie vielschichtig die Materie ist. Erstaunlicherweise findet man hier auch eine Beschreibung des Betrugsablaufs beim Hütchenspiel sowie Fragen zu Spielmanipulationen. All das erscheint freilich in kaum nachvollziehbarer Zusammenstellung. Auf den letzten Buchseiten präsentiert der Autor eine beeindruckende Liste der verwendeten Quellen, ein Stichwortverzeichnis und Anmerkungen, die er vermutlich nach Abschluss des Manuskripts unbedingt noch ergänzen wollte.

Es ist schwierig, ein kurzes, treffendes Urteil über das Werk zu formulieren. Bronder hat sich zweifellos verdient damit gemacht, die sehr unterschiedlichen mathematischen, technischen, rechtlichen und kommerziellen Aspekte des Themas anschaulich und umfassend zusammenzutragen. Das Buch profitiert von den jahrzehntelangen Erfahrungen des Autors, doch diese Fülle ist zugleich ein Problem. Es liegt sicher nicht nur an der Komplexität des Themas, dass man sich für die Lektüre viel Zeit nehmen muss. An manchen Stellen wäre eine straffere Gedankenführung sowohl möglich als auch wünschenswert gewesen.

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