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Kein Bruder des Todes

Schon die alten Griechen zerbrachen sich den Kopf über den mysteriösen Zustand, in den wir Nacht für Nacht verfallen. Sie glaubten, der Gott des Schlafes, Hypnos, sei der Bruder von Thanatos, dem Tod. Noch bis ins 20. Jahrhundert hielt sich die Vorstellung, dass wir schlummernd in eine Art Standby-Modus wechseln. Erst mit Erfindung der Elektroenzephalographie (EEG) zeigte sich: Das Gehirn fährt seine Aktivität keineswegs herunter – es ist während des gesamten Schlafs rege beschäftigt. Welche Bedeutung die nächtlichen Reisen in unser Inneres haben und wie unser Denkorgan die verschiedensten Träume hervorbringt, erläutert der renommierte Wissenschaftsautor Stefan Klein in seinem neuen Werk. Anschaulich führt er durch die Geschichte der Schlafforschung bis hin zu aktuellen Thesen und Befunden, und zeigt, dass wir trotz mittlerweile umfassenden Wissens noch lange nicht alle Phänomene des Schlummers erklären können.

Ein Drittel unserer Lebenszeit verbringen wir mit geschlossenen Lidern in einem Kosmos, den außer uns niemand kennt. In einer Welt der sozialen Netzwerke und des sekundenschnellen Kommunizierens könnte man meinen, dies sei Zeitverschwendung. Klein, promovierter Physiker und Philosoph sowie ehemaliger "Spiegel"- und "Geo"-Redakteur, sieht das jedoch anders. Seiner Meinung nach sollten wir uns mit unserem nächtlichen Innenleben auseinandersetzen und seine Bedeutung für unser Selbstbild erkennen. Der Autor erläutert, was Träume laut wissenschaftlichen Erkenntnissen über uns verraten und wie sie – häufig unbemerkt – das Leben im Wachzustand beeinflussen.

Kontrollverlust führt zu wirren Bildern

Im Laufe der Nacht schleust uns das Gehirn durch verschiedene Schlafphasen. Nach dem Einschlafen geraten die Neurone zunehmend in einen Gleichtakt, dem sie sich im Tiefschlaf maximal annähern. Der präfrontale Kortex – die Kontroll- und Organisatoreinheit des Gehirns – fährt seine Aktivität langsam herunter, was mit unlogischen und irrealen Traumerlebnissen einhergeht. Besonders intensiv träumen wir während des so genannten REM-Schlafs, der etwa ein Viertel der Schlafdauer beansprucht. Aber nicht nur dann: Unsere Reisen in die innere Wirklichkeit finden die ganze Nacht über statt. Die sehr lebhaften Träume der REM-Phase prägen sich lediglich besonders intensiv ins Gedächtnis ein, wie Klein erörtert. Es seien mitnichten zufällige oder wirre Bilder, sondern Begleiterscheinungen eines Lernprozesses: Tagsüber besonders beanspruchte Nervenverbindungen festigen sich und werden damit leistungsfähiger. Das betrifft laut dem Autor sowohl Wissensinhalte als auch Emotionen. So versuchen Psychotherapeuten bei traumatisierten Menschen, den Inhalt von Albträumen zu verändern, um belastende Schreckensbilder durch erträglichere zu ersetzen.

Selbst komplizierte Phänomene wie die mutmaßlichen neuronalen Grundlagen des Bewusstseins bricht der Autor auf ein allgemein verständliches Niveau herunter, ohne dabei unkorrekt zu werden. Auch Leser ohne fachliche Vorkenntnisse können ihm durchweg folgen. Lebensnahe und mitunter sehr amüsante Anekdoten über berühmte Persönlichkeiten und renommierte Wissenschaftler machen die Lektüre durchweg erbaulich. So dürften Laien wie Experten wenig Mühe haben, den Stoff aufzunehmen.

Klein behandelt Themen, die für jeden Menschen relevant sind. Egal ob Albträume, kreative nächtliche Eingebungen oder Traumgedanken – wir alle sind solchen Phänomenen begegnet. Und auch in den Passagen, die sich mit luziden Träumen oder Schlafwandeln befassen, dürfte sich mancher Leser wiederfinden, denn "Schlaf ist mehr als Erholung", wie der Autor wiederholt betont. Eine Analyse der Schlummerbilder, so das Fazit des Buchs, biete die Chance, die Psyche aus einer zusätzlichen Perspektive zu erschließen. Bewusstsein, Ich-Erleben sowie unsere mentale Repräsentation der Außenwelt ließen sich so besser verstehen. Wer von Hypnos‘ Reich fasziniert ist und es wissenschaftlich fundiert erkunden möchte, dem sei Kleins Buch empfohlen.

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