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Wer wir sind

Hat die Sprache einen kommunikativen Sinn? Jürgen Habermas, Michael Tomasello und viele andere beantworten diese Frage mit Ja. Der wahrscheinlich einflussreichste Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, Noam Chomsky, sagt klar: Nein. Sprache entspringe weniger dem Bedürfnis nach Verständigung, als dass sie vom Denken her bestimmt werde. Das ist eine provokante These des emeritierten Professors vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Denn die syntaktische Struktur der Sprache, meint er, orientiere sich nicht an ihrer lautlichen Äußerung, sondern am gedanklichen Gerüst. So befinden sich Elemente im Satz, die sinngemäß zusammengehören, häufig an weit voneinander entfernten Stellen, was das Verstehen erschwert. Man denke an den deutschen Nebensatz, dessen Sinn sich erst erschließt, wenn man am Schluss das Verb hört, das sich auf das zumeist am Anfang stehende Subjekt bezieht. Statt sich an den Bedürfnissen der Kommunikation zu orientieren, folge die Sprache also der Logik der Gedanken.

Schwer zu durchdringende Natur

Was den Menschen laut Chomsky zum Menschen macht, ist seine Sprache, sein Verständnis von der Welt, sein Umgang mit anderen Menschen und schließlich sein Verhältnis zur Natur. Daher widmet sich der Autor auch der Reichweite menschlicher Erkenntnis. Er kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass Forscher viel weniger verstehen, als sie vorgeben. Chomsky geht davon aus, dass Wissenschaft immer wieder an Grenzen stoßen und vieles ein Geheimnis bleiben werde – sei es im Bezug auf den Menschen oder die Natur, die ihn umgibt. Daher gibt der Autor sich mit der Lösung überschaubarer Probleme zufrieden.

Weiterhin überlegt Chomsky, was das Gemeinwohl fördern könnte. Als politisch engagierter Intellektueller, der die US-Politik seit langem scharf kritisiert, vertritt er anarchistische Positionen und lehnt autoritäre Zwänge ab, die der Staat oder die Ökonomie auf das Individuum ausüben. Der Staat hat für ihn nur insoweit einen Sinn, als er die Schwachen vor den Starken schützt.

Mit jedem Kapitel leuchtet Chomsky aufs Neue zentrale anthropologische Grundbestimmungen aus, um letztlich eine Antwort auf Immanuel Kants Frage zu geben: Was ist der Mensch? Und zwar aus der Perspektive eines politisch engagierten Linguisten. Daraus ergibt sich der rote Faden des Buchs, das spannend ist, aber leider nicht einfach nachzuvollziehen. Schuld daran haben die vielen Bezüge beispielsweise zur Linguistik, Evolutionstheorie, Hirnforschung und politischen Philosophie, die nicht jede(r) nachvollziehen kann, die aber zum Verständnis nötig sind. Mit hinreichend Vorwissen ist Chomskys Werk sehr zu empfehlen, ohne dieses hingegen sehr mühsam zu lesen.

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