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Duell der Giganten

Duelle haben Tradition. Denken wir an Wahlkämpfe, den Wilden Westen oder wissenschaftliche Dispute. Von der letztgenannten Art handelt das Buch "Das Weltgeheimnis" von Thomas de Padova.

Welch ein Glücksfall der Geschichte, dass mitten in der von Kopernikus eingeleiteten Wende – dem Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild – zwei der genialsten und einflussreichsten Gelehrten aufeinander trafen: Galileo Galilei und Johannes Kepler. Die Protagonisten könnten kaum unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite der eitle, eloquente, physisch starke und ehrgeizige Galilei, auf der anderen Seite der fromme, in sich gekehrte, schwächliche und selbstkritische Kepler. Die Beziehung des Italieners und Deutschen, ausgedrückt in Briefen und Publikationen, ist das zentrale Thema des Buches von Thomas de Padova.

Um es vorweg zu sagen: Der Autor hat eine überzeugende Darstellung der persönlichen, geschichtlichen und wissenschaftlichen Hintergründe abgeliefert. Ein Drama in vielen Akten, das mit dem ärmlichen Tod Keplers und der Verbannung und Erblindung Galileis endet. Trotz aller Widrigkeiten der Zeit haben beide ein Feuerwerk von neuen Theorien, Experimenten und Beobachtungen gezündet – mit erheblichen Nachwirkungen. Innerhalb weniger Jahrzehnte des frühen 17. Jahrhunderts, geprägt von Kriegen, Epidemien und (zu allem Überfluss) der Inquisition, bricht eine neue Zeit für die Astronomie und Physik an.

Ursache ist nur zum Teil die Erfindung des Fernrohrs im Jahr 1608, die Galilei geschickt zu nutzen wusste. Wesentlich war auch die Hinterlassenschaft des dänischen Astronomen Tycho Brahe: die genauesten astronomischen Messungen der Zeit. Erst in Keplers Hand wurde dieser Schatz zum Grundstein der modernen Himmelsmechanik. Sein mathematisches Können, seine geistige Freiheit und ein bewundernswerter Mut führte – in zähem Ringen mit Tycho Brahes Daten – zu einer neuen Astronomie, ausgedrückt in den Keplerschen Gesetzen.

Obwohl beide Gelehrte heute als Astronomen gelten, zeigt die Geschichte doch große Unterschiede. Kepler, von Haus aus evangelischer Theologe, war mehr der Mathematiker. Die Astronomie bot ihm ein faszinierendes Anwendungsgebiet. Ohne Rücksicht auf religiöse Dogmen wollte er die verborgene Harmonie des Kosmos ergründen, die "göttliche Ordnung" beweisen. Galilei dagegen war durch und durch Physiker. Durch seine Experimente und Theorien hat er dieses Wissensgebiet entscheidend geprägt und von den Fesseln der Antike (Aristoteles) gelöst. Das Fernrohr war dabei Mittel zum Zweck – es half ihm, den nötigen Ruhm und die finanzielle Unabhängigkeit zu garantieren. Infiziert von den Ideen des Kopernikus und alle Denkverbote ignorierend, mussten beide Forscher zwangsläufig in Konflikt mit der allmächtigen Kirche kommen – jeder auf seine Weise.

Sehr schön arbeitet der Autor diese Entwicklung heraus. Zentral ist dabei die Kommunikation zwischen Kepler und Galilei. Bedingt durch die unterschiedlichen Charaktere und Intentionen verlief sie zeitweise recht einseitig. Kepler hat Galilei sein ganzes Wissen offengelegt und ist für dessen Erkenntnisse immer wieder öffentlich eingetreten. Davon zeugen seine Briefe, Publikationen und Gutachten. Umgekehrt hielt Galilei sich mit Informationen sehr bedeckt. Kepler bekam meist nur die gedruckten Werke, wie etwa den "Sidereus Nuncis" ("Sternenbote") von 1610, in dem die Ergebnisse der ersten Fernrohrbeobachtungen vorgestellt werden. Dessen aufrichtige Begeisterung stand eine kühle Reserviertheit des Italieners gegenüber. Galilei ist auf Keplers revolutionäre Ergebnisse kaum eingegangen. Er sorgte sich hauptsächlich um sein eigenes Ansehen, fremde Erfolge standen da nur im Weg.

Der Autor hat gründlich recherchiert – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Einige wenige schwarz-weiße Abbildungen schmücken das 320-seitige Werk, das sich sehr flüssig liest und viele spannende Geschichten erzählt. Dabei wechseln sich die Kapitel über Galilei und Kepler ab. Die Chronologie beschreibt auch die familiären Verhältnisse und gesellschaftlichen Hintergründe. Erschienen im Jahr der Astronomie 2009, wird das "Weltgeheimnis" von Thomas de Padova für einige Zeit einen Standard definieren. Ich habe es mit großer Freude gelesen – und einiges dazu gelernt!

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