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Blinde Flecken im Gehirn

Stellen Sie sich vor, Sie beobachten ein paar Basketballer dabei, wie sie sich Pässe zuspielen. Ihre Aufgabe: Konzentriert die Ballwechsel einer Mannschaft zählen! Würden Sie eine Frau im Gorillakostüm bemerken, die plötzlich das Spielfeld betritt, in der Mitte des Felds stehen bleibt, sich mit den Fäusten auf die Brust trommelt und die Szene wieder verlässt? So unglaublich es klingt: Jeder Zweite bekommt nichts davon mit.

Diese 1999 veröffentlichte Studie gehört zu den bekanntesten psychologischen Experimenten überhaupt – und verblüffender hätten die Kognitionspsychologen Christopher Chabris und Daniel Simons das Phänomen der "Unaufmerksamkeitsblindheit" kaum unter Beweis stellen können. Was unser Gehirn nicht erwartet, übersieht es gern, selbst wenn es sich um einen Gorilla handelt.

Die beiden Psychologieprofessoren rollen ihr Experiment nun rund zehn Jahre später wieder auf und stellen unser oft blindes Vertrauen in die eigenen kognitiven Fähigkeiten grundlegend in Frage. Dem Leser wird bald klar: Das Übersehen eines Gorillas ist nur der Anfang einer Reihe von Irrwegen und Täuschungen, mit denen das Gehirn uns Tag für Tag an der Nase herumführt. An zahlreichen Studien und Fallbeispielen demonstrieren die Autoren, wie unser Denkorgan uns nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch beim Arzt, vor Gericht und beim Fernsehen im Stich lässt, ohne dass wir uns dessen bewusst wären.

Sie erklären, wie Mariengestalten auf das Käsesandwich und falsche Erinnerungen in unser Gedächtnis kommen, und jonglieren dabei mit Begriffen wie "Unaufmerksamkeitstaubheit", "Veränderungsblindheit" und "Wissensillusion". Das Fachvokabular erklären sie jedoch gut – oder lassen es ganz außen vor: Das Buch ist für Laien gedacht und geschrieben. Der wissenschaftlichen Fundiertheit tut das keinen Abbruch.

Ob die Einsicht in die Illusionen des Alltags nun aber tatsächlich "Leben verändert", wie in der Einleitung etwas großspurig versprochen wird, scheint fraglich. So passend, originell und amüsant die Anekdoten teilweise gewählt sind: Die beschriebenen Phänomene sind keineswegs neu. Auch hat die Begeisterung der Psychologen für ihre Materie eine Kehrseite: Sie schweifen oft ab – hier und da hätte ein Tick mehr Prägnanz gutgetan. So mag die Erläuterung des Punktesystems im Turnierschach zwar zum Thema Selbstüberschätzung hinführen – aber muss sie gleich zwei Seiten lang ausfallen? An Stellen wie diesen wird die Lektüre langatmig.

Und was lernen wir letztendlich aus den zahlreichen Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Wissensillusionen? Simons und Chabris räumen ein: "Die Alltagsillusionen und ihre potenziell gefährlichen Folgen zu beschreiben ist leichter, als Lösungen für die dadurch aufgeworfenen Probleme zu finden." Ein Trost bleibt: dass wir unsere kognitiven Handikaps in der Regel eben gar nicht mitbekommen.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 9/2011

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