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Wenig hoffnungsfroh

Das bunte Titelbild verwirrt – und macht neugierig: Off-Shore-Windanlagen stehen aufgereiht in der See, und im Vordergrund qualmt ein antiquierter Dampfer vor Segelschiffen. Das Ganze ist zusammengefügt aus einem modernen Foto und einem Gemälde des Künstlers William Turner von 1838. Was wollen uns Verlag und Autor damit sagen? Etwa, dass die Konkurrenz verschiedener Energieträger schon immer die Welt bewegt hat? Oder, dass die industrielle Revolution wieder umgekehrt werden soll – weg vom Verbrauch fossiler Brennstoffe und (erneut) hin zur Windkraft?

Offenbar letzteres. Buchautor Manfred Popp ist Experte für Energiethemen und hat die Höhen und Tiefen der bundesdeutschen Energiepolitik miterlebt wie kaum ein Zweiter. Faktenreich erörtert er, welche Herausforderungen die politisch gewollte Energiewende in Deutschland mit sich bringt, und wirft einen Blick in die Zukunft. Gelänge es tatsächlich, die Erneuerbaren wieder zum Hauptpfeiler der Versorgung zu machen, so wäre das, wie er schreibt, "ein Schritt von historischer Dimension".

Seine Einschätzung fällt allerdings ernüchternd aus. Angesichts des weltweit weiter steigenden Energieverbrauchs sowie des einsetzenden Klimawandels sei das wichtigste Ziel der deutschen Energiewende mittlerweile nicht mehr zu erreichen. "Deutschland kann beim besten Willen keinen stabilisierenden Einfluss auf das Weltklima ausüben (...)." Dies gelte auch für die Europäische Union. Popp stellt eine klare Forderung an die deutschen Politiker: Statt hartnäckig am so genannten Klimaschutz festzuhalten, solle man endlich damit beginnen, sich auf die Folgen der klimatischen Veränderungen vorzubereiten.

Der Autor hat bereits die Energiekrise von 1973 als Beamter im Bundesministerium für Forschung und Technologie mit bewältigt. Von 1976 an prägte er dort mehr als zehn Jahre lang die deutsche Energieforschung maßgeblich mit, die sich langsam, aber sicher von der Kerntechnik ab- und den erneuerbaren Energien zuwandte. Auch als hessischer Staatssekretär für Umwelt und Reaktorsicherheit, vor allem aber als Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe (jetzt Karlsruher Institut für Technologie) war Popp mit dem Thema Energieversorgung befasst. Diese Expertise scheint in dem Buch deutlich durch.

Seine Bilanz der bundesdeutschen Energieforschung in den zurückliegenden Jahrzehnten fällt bescheiden aus: "Insgesamt blieb der große Traum, durch Erforschung neuer Energietechnologien die Handlungsmöglichkeiten künftiger Generationen (...) zu erweitern, (...) unerfüllt." Auch im Schlusskapitel wird er deutlich. Er geißelt das Ziel der Bundesregierung, im nationalen Alleingang bis 2050 eine weitgehend klimaneutrale Energieversorgung aufzubauen, als "Anachronismus", denn Energiemärkte und Klima würden global bestimmt. Zudem sei dieses Vorhaben ein Bruch mit den bisherigen Zielen der deutschen Energiepolitik, insbesondere hinsichtlich der Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit.

Statt die Markteinführung unausgereifter Techniken zu subventionieren (Popp nennt explizit Photovoltaik, Biomasse und Geothermie), solle die Politik das Geld besser in Forschung und Technikentwicklung investieren. Auch verurteilt er die Zersplitterung der Zuständigkeiten in der Energieforschung. Detailliert geht er darauf ein, wie die deutsche Energiewende zustande gekommen ist, wie sie ethisch begründet und umgesetzt wird und welche Konsequenzen sie voraussichtlich zeitigt – und äußert nur wenig Hoffnung, dass sie gelingen wird. Seine lapidare Prognose: Wenn die Kosten explodieren, das Netz instabil wird oder bis zur Abschaltung des letzten Atommeilers die für den Umbau erforderlichen Stromtrassen und Speicher nicht realisiert wurden, "dann dürfte die Energiewende als politisch gescheitert gelten." Diese meinungsstarken Abschnitte sind sehr fesselnd, lassen den Leser aber auch mit vielen offenen Fragen zurück.

Am Ende zählt der Autor auf, wie man seiner Ansicht nach zu einer zukunftsweisenden Energiepolitik kommen könnte. Er befürwortet marktwirtschaftliche Prinzipien im Energiesektor, eine vorrangig dezentrale Anwendung erneuerbarer Energien, neue Speichertechnologien, eine Eindämmung der Energieumwandlungsverluste sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz.

Im Schlusswort versucht er noch einmal einen optimistischen Ausblick, wobei es seiner Meinung nach nicht sehr wahrscheinlich ist, "dass Deutschlands Energiezukunft sich wirklich so entwickeln wird, wie (es) mit der Energiewende geplant wurde." Doch die Menschen würden sich schon zu helfen wissen.

Trotz des wenig erbaulichen Fazits ist das Buch sehr lesenswert. Die Abbildungen hingegen, durchweg schwarzweiß, sind unzumutbar. Angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten in Layout und Druck mutet die Bebilderung des Buchs antiquarisch an. Das kann man dem Autor nicht anlasten, das ist das Versäumnis des Verlags – ein unrühmliches Alleinstellungsmerkmal.

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