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Wer staunen kann, der staune

Es ist eigentlich nicht besonders kompliziert: Die Welt fasziniert uns – und zwar umso stärker, je mehr wir über sie lernen. Diese Sichtweise ist unter wissenschaftsaffinen Menschen weit verbreitet, was kaum verwundert, stellen Neugier und Interesse doch die zentralen Triebkräfte wissenschaftlichen Handelns dar. Der bekannte englische Biologe Richard Dawkins hat das einmal recht ruppig ausgedrückt, vermutlich einen ehemaligen "Science"-Redakteur zitierend: "Science ist interesting, and if you don't agree, f**k off!" (sinngemäß: Wissenschaft ist interessant, und wer anderer Meinung ist, kann nicht auf mein Verständnis zählen).

Merkwürdigerweise gewinnen manche Menschen den Eindruck, dass mit fortschreitendem wissenschaftlichen Erkenntnisstand die Welt an Staunenswertem verliere. Das ist auch dem Wissenschaftspublizisten Ernst Peter Fischer aufgefallen. Der 1947 geborene Autor hat Biologie, Physik und Mathematik studiert und bereits in zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern seine Begeisterung für das empirische Weltbild artikuliert. In "Die Verzauberung der Welt" versucht er darzustellen, wie die Welt durch Wissenschaft und Erkenntnis fortwährend an Faszination gewinnt und immer mehr zum Staunen einlädt. Dabei möchte er laut Untertitel eine "andere Geschichte der Naturwissenschaften" präsentieren.

Magische Momente sind rar

So ganz halten kann er dieses Versprechen nicht – sein Buch liefert im Großen und Ganzen den üblichen Abriss der Wissenschaftshistorie, und im ersten Drittel ist es nicht einmal besonders interessant geschrieben. Dort fokussiert sich Fischer auf das, was wir trotz allem Fortschritt noch nicht wissen – gerade so, als ob man nur über Unbekanntes staunen könne. Er berichtet über wichtige Entdeckungen und schildert persönliche Anekdoten über berühmte Forscher wie Albert Einstein (1879-1955), Werner Heisenberg (1901-1976) oder Max Plank (1858-1947). Dabei legt er ein wenig mehr Aufmerksamkeit als sonst üblich auf deren philosophische Publikationen und stellt Verbindungen zu Kunst und Literatur her. Aber um den Leser zu "verzaubern", fehlen das Besondere in der Darstellung und ein durchgehend tragender Gedanke.

Das ändert sich, wenn der Autor über die "Romantisierung" der Wissenschaft schreibt. Er orientiert sich hierbei an einem Satz des deutschen Schriftstellers Novalis (1772-1801): "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen eine geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, romantisiere ich es." Der Abschnitt, in dem Fischer anhand dieser Überlegungen zeigt, wie die Wissenschaft eine romantische Note bekommen kann, eröffnet ungewohnte Perspektiven. Hier spürt man tatsächlich den Zauber eines wissenschaftlich-romantischen Blicks auf die Welt.

Muster, wo keine sind

Wie schon in seinem Buch "Einstein trifft Picasso und geht mit ihm ins Kino" zieht Fischer Parallelen zwischen Kunst, Literatur und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dabei sitzt er allerdings einem verbreiteten Fehlschluss auf: Die Poesie habe die Erkenntnisse der Wissenschaft vorweg genommen. Hier fällt der Autor auf etwas herein, was er selbst weiter vorn im Buch beschreibt – der hyperaktiven Mustererkennung unseres Gehirns. Wir sehen Muster auch dort, wo keine sind, und konstruieren aus bloßen Zufälligkeiten vermeintlich kausale Zusammenhänge. Eine beliebte Übung etwa von Sektierern ist es, ihre verschrobenen Ansichten mit Bibelzitaten zu "legitimieren" – ein weitgehend sinnfreies Vorgehen, denn für jede Behauptung, sei sie noch so abstrus, wird sich irgendein Bibelspruch finden, der sie stützt. Ganz ähnlich lässt sich auch für jede wissenschaftliche Erkenntnis in dem gewaltigen Berg früherer Literatur- und Kunstwerke ein hinreichend ähnlicher Gedanke finden, der sich als Vorwegnahme deuten lässt. Doch dieser Eindruck entsteht immer nur im Rückblick. Es ist allzu wohlfeil, einen Zusammenhang zwischen Picassos Kunst und Einsteins Erkenntnissen zu konstruieren.

Häufig kehrt im Buch das Motiv der "Komplementarität" wieder. Es besagt anscheinend, dass es auf jede Frage zwei quasi gegenteilige Antworten gibt, die aber beide richtig sind. Leider gelingt es dem Autor nicht, das verständlich zu machen. Warum sollten zwei sich widersprechende Aussagen gleichermaßen zutreffen? Und warum nur zwei davon, und nicht unendlich viele? Es ist schade, dass das aus dem Werk nicht hervorgeht, denn es scheint für Fischers Betrachtungen zentral zu sein.

Am Ende bleibt die Frage offen, für wen das Buch gedacht ist. Wer die Faszination der Wissenschaft täglich spürt, muss von der Kernthese nicht überzeugt werden. Und die wissenschaftshistorischen Passagen sind wenig originell, zumindest weniger fesselnd und verständlich geschrieben als man es von einem so routinierten Autor erwarten darf. Wer schließlich der Meinung ist, wissenschaftliche Erkenntnis zerstöre den Zauber der Welt, statt ihn zu mehren, wird seine Meinung nach der Lektüre wohl kaum ändern. Was gewissermaßen zum Ausgangspunkt von Dawkins' Zitat zurückführt.

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