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Wir Öljunkies

Als ich "Europa im Erdölrausch" von Daniele Ganser in die Hände bekam, war ich mehr als skeptisch: Historiker und Friedensforscher sei der Autor. Doch bei der Lektüre wurde ich zumindest teilweise schnell eines Besseren belehrt. Ganser gelingt es mühelos, den Spannungsbogen von der beginnenden industriellen Nutzung der Erdölressourcen als Lampenbrennstoff über die Weltkriege und die Ölkrisen des letzten Jahrhunderts bis hin zu den aktuellen Kapriolen des Erdölpreises zu schlagen.

Dabei behält er immer den Blickwinkel des Historikers bei und versteht es, die Ereignisse aus der Erdölperspektive zu beschreiben. Das Buch liest sich bei all der Informationsdichte sehr spannend und flüssig, die Darstellungen sind leicht verständlich. Als Schweizer beziehen sich viele seiner Darstellungen der Abhängigkeit vom Schwarzen Gold auf die Schweiz, sie lassen sich aber meist problemlos auf andere westliche Industriestaaten übertragen. Denn kaum ein Rohstoff bietet so viele Nutzungen an wie das Erdöl: Von der Herstellung von Treibstoffen und elektrischer Energie abgesehen, dient es auch als Grundlage für fast alle Produkte der chemischen und viele der pharmazeutischen Industrie. Ohne billiges Öl sähe unsere Zivilisation vermutlich ganz anders aus. Und weil das Öl ein so besonderer Saft ist, haben viele Staaten und Konzerne seit jeher all ihre Macht genutzt, um möglichst freien Zugang zu möglichst günstigen Preisen zu bekommen – und je knapper das Gut wird, umso stärker drohen die Konflikte darüber. So sind die unterschiedlichen Golfkriege zumindest teilweise auch um diesen Rohstoff geführt worden. Unsere Sucht nach Erdöl hat also nach wie vor enorme Auswirkungen auf die Politik weltweit.

Leider hat der Autor es jedoch nicht vermieden, reale und vermutete Verschwörungen rund um das Öl deutlich zu trenne:. So faszinierend manche Gedankenspiele auch sein mögen, mir erschließt sich aber nicht, was die Anschläge vom 11. September 2001 und speziell der Fall des World Trade Centers mit Ressourcenkriegen wie dem gegen den Irak zu tun haben sollen. Denn als Kriegsgrund am Golf hätten die Anschläge kaum gereicht. Und die Erwähnung der immer wieder von Verschwörungstheoretikern gerne zitierten "Bilderberger" stiftet ebenfalls mehr Verwirrung, als dass sie aufklärt. Denn die vermeintlichen "Bilderberger" als wie auch immer geartete heimliche Weltregierung sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts als ein Mythos – auch wenn es diese Konferenzen, benannt nach einem Hotel in den Niederlanden wirklich gibt. Und wenn der Autor schon einmal bei Verschwörungen ist, welche die Bösartigkeit der Öl-Mächtigen zeigen sollen, warum erwähnt er dann nicht eine der wohl definitiv erfolgreichsten? Diejenige, mit der die Ölkonzerne zumindest in den USA und mit zunehmendem Erfolg in Deutschland entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ansicht unter das Volk streuen, der Klimawandel sei nur eine Erfindung interessierter Kreise der Klimaforschung.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Fixierung auf den Energieaspekt des Öls: Dieser ist sicher für unsere Zivilisation enorm wichtig, aber es wird unterschlagen, dass Öl eigentlich viel zu wertvoll ist, um es einfach durch dem Auspuff zu jagen. Denn so sehr unsere Mobilität – zur Zeit – vom Öl abhängt, hier kann vermutlich noch am ehesten nach Ersatz gesucht werden. Erdöl ist jedoch für unsere chemische und ebenso die pharmazeutische Industrie ein essenzieller Rohstoff.

Eine zentrale These des Autors ist Peak Oil, also der Zeitpunkt, an dem die Förderung aus einem Ölfeld, in einem Förderland oder eben weltweit ihr Maximum erreicht hat und nicht weiter gesteigert werden kann, um in der Folge wieder abzusinken. Die Tatsache, dass Ölfelder ein Fördermaximum haben, nach dessen Erreichen die Förderung meist unwiderruflich absinkt, ist mir ebensowenig neu wie die Information, dass dies sowohl für einzelne Staaten wie weltweit gilt. Es ist trotzdem interessant, Ganser dieses Problem mit all seiner Dramatik hier präsentiert. Jeder auf diesem Planeten, der sich nur entfernt mit unserer Zivilisation auseinandersetzt, sollte sich dieser Problematik bewusst sein. Der Autor sieht das globale Ölfördermaximum bereits im Jahr 2006 erreicht, was vermutlich auch sehr gut zu den kurz darauf einsetzenden Kapriolen des Ölpreises passen würde. Vermutlich ist das eine sehr pessimistische Sicht, aber das Erreichen des globalem Fördermaximums wird von einigen anderen Autoren ebenfalls im Zeitraum zwischen 2007 bis 2037 erwartet.

Laut dem Ölkonzern BP sank im Jahr 2007 die weltweite Förderung um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr – bei gleichzeitig steigender Nachfrage um 1,1 Prozent. Mit dem steigenden Preis wuchs jedoch wieder die weltweite Förderung und erreichte 2011, laut der Internationalen Energieagentur, erstmals den Wert von 90 Megabarrel pro Tag. Die Diskussion zu Peak Oil bleibt also am Kochen, doch ist der genaue Zeitpunkt nicht wirklich wichtig. Es genügt zu wissen, dass die Zeit des billigen, weil leicht zu fördernden Öls unwiderruflich vorbei ist – und dass uns unsere Abhängigkeit von diesem Rohstoff langsam, aber sicher und nicht nur an der Tankstelle sehr teuer zu stehen kommen wird. Leider ist diese Tatsache noch nicht bei jedem angekommen.

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