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Der Albtraum, der wahr wurde

Eine mittelalterliche Burg mit meterdicken Wänden aus Stein. Was passiert, wenn man die Mauern mit Bällen bewirft? Sie prallen ab. Was in der klassischen Welt normal erscheint, gilt in der Quantenwelt der subatomaren Teilchen nicht mehr. Dort tunneln Teilchen durch Potentialwälle hindurch, die sie auf klassische Weise nicht überwinden können. Der Film "Einsteins Albtraum", der erste auf der vorliegenden DVD, verdeutlicht das mit Bildern von riesigen, roten Medizinbällen, die "spukhaft" durch Burgmauern hindurch schweben. Damit entführt er seine Zuschauer in die geheimnisvolle Welt der Quantenphysik. Als Sprecher tritt der Physiker Jim Al-Khalili von der University of Surrey (England) in Erscheinung.

Der Filmtitel spielt darauf an, dass die Quantenphysik Albert Einstein (1879-1955) lebenslang Sorgen bereitete. Einer ihrer vielen seltsamen Effekte widersprach seiner klassisch geprägten Intuition besonders stark: die Verschränkung. Zwei Teilchen können über große Distanzen miteinander verbunden sein, so dass sie einen gemeinsamen Quantenzustand ergeben. Sobald man Messungen an einem der Teilchen vornimmt, steht das entsprechende Messergebnis für das zweite schlagartig fest, egal wie groß ihr Abstand ist. Ein entscheidender Punkt dabei: Dies geht nicht auf verborgene Eigenschaften der Teilchen zurück, wie etwa Einstein vermutete.

Kollaps der Wellenfunktion

Al-Khalili illustriert dies an einem Paar Handschuhe. Er legt sie einzeln in separate Schachteln. Wenn nun jemand in einem Karton den rechten Handschuh findet, weiß er sofort, dass in dem anderen der linke sein muss. So weit, so verständlich – doch hier hört die Analogie auch schon auf. Denn die Quantenphysik ist um einiges befremdlicher: Was man aus der Schachtel zieht, ist dem Zufall überlassen; trotzdem wird man in der anderen Schachtel stets das Gegenstück finden. Und das im selben Moment, also schneller, als sich das Licht ausbreiten kann.

Die Quantenverschränkung ist wohl das am widersinnigsten erscheinende Phänomen der Physik. Al-Khalili bringt es den Zuschauern mit gelungenen Vergleichen und aufschlussreichen Experimenten näher. Natürlich kann er es nicht auflösen in dem Sinne, dass man es intuitiv begreift. Unser Vorstellungsvermögen ist darauf ausgelegt, klassisch-physikalische Erscheinungen zu verarbeiten; bei Quanteneffekten versagt es.

Der Chronologie folgend, führt Al-Khalili über den Fotoeffekt ins Thema ein. Den Welle-Teilchen-Dualismus erklärt er, wenig überraschend, mit dem Doppelspaltexperiment. Sodann schreitet der Film über die Quantenverschränkung zur Bellschen Ungleichung fort und schließlich zu den Experimenten, die diese überprüfen – mit dem frappierenden Ergebnis, dass Einsteins Albtraum Realität ist.

Zocke niemals gegen den Quantendämon

Der Film ist absolut sehenswert, was vor allem an den klugen Analogien liegt, die der Physiker benutzt. Ein schönes Beispiel ist seine Wurfbude, an der er versucht, mit roten, energiearmen Tischtennisbällen oder mit blauen, energiereichen Golfbällen die Dosen umzuwerfen. Dabei erklärt er sehr geschickt den Fotoeffekt. An anderer Stelle spielt er Karten gegen einen Dämon – und verliert immer, selbst wenn er die Regeln des Matchs ändern darf. Denn der Dämon spielt so, wie sich ein verschränktes Quantensystem verhält: Seine Karten wissen auf spukhafte Weise immer schon, was Al-Khalili zieht.

Es haben sich aber auch kleine Fehler in den Film eingeschlichen. So wird der Begriff "Ultraviolettkatastrophe" unsauber verwendet. Er bezeichnet eigentlich das Phänomen, dass die Ausstrahlung eines Schwarzen Körpers, beschrieben mit der klassischen Strahlungsformel, bei kleinen Wellenlängen viel zu groß wird, so dass die Gesamtabstrahlung gegen unendlich strebt. Al-Khalili deutet den Begriff etwas um und benutzt ihn als Bezeichnung dafür, wenn es schwierig ist, energiereiche Photonen zu erzeugen. An anderer Stelle behauptet er, der Schatten seiner Hand im Sonnenlicht sei unscharf wegen der Welleneigenschaften des Lichts. Tatsächlich jedoch ist der Grund für den unscharfen Rand viel simpler: Die Sonne ist keine punktförmige Lichtquelle. Mitunter wirkt auch die Übersetzung aus dem Englischen nicht besonders glücklich; so wäre es besser, Einsteinzitate direkt zu verwenden, statt sie aus dem Englischen zurück zu übersetzen.

Das Leben tanzt auf dem Rand der Quantenwelt

Der zweite Film auf der DVD, "Es werde Leben", beschäftigt sich mit Quantenbiologie. Zentraler Gegenstand dieser modernen Forschungsdisziplin sind biochemische Reaktionen, bei denen Quanteneffekte eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören der Magnetsinn mancher Tiere, die Photosynthese in pflanzlichen Zellen, die Atmungskette in tierischen Zellen oder genetische Mutationen. Unlängst ist auf dem deutschen Markt auch ein Buch hierüber erschienen, an dem Al-Khalili mitgewirkt hat.

Die zweite DVD-Episode ist sehr aktuell und wartet mit interessanten, lehrreichen Beispielen auf. Wussten Sie beispielsweise, dass die gängigen Lehrbucherklärungen, wie das Riechen funktioniert, nicht ausreichen, um das Phänomen zu verstehen? Das übliche Schlüssel-Schloss-Modell versagt an einem bestimmten Punkt, und dort kommt man nur weiter, wenn man Quantenschwingungen der Elektronen berücksichtigt. Obgleich dieses Gebiet hoch spannend ist, schafft es der Physiker nicht, eine durchgängige Geschichte darüber zu präsentieren. Stattdessen liefert er mit seinen Ausführungen über Rotkehlchen, Taufliegen und Frösche nur einzelne Beispiele. Vermutlich ist die Forschungsrichtung einfach noch zu jung, um kohärente Erzählstränge darauf zu stützen.

Etwas eigenartig wirkt Al-Khalilis Perspektive auf die neu entdeckten Quanteneffekte in der Biologie. Oft hören sich seine Erklärungen so an, als folge "die Natur" einer geheimen Intelligenz und bediene sich der Quantenphänomene in lebenden Systemen bewusst. Das ist für meinen Geschmack zu nahe an der kreationistischen Auffassung des "Intelligent Design". Eine Einbettung in die Evolutionstheorie wäre sinnvoll gewesen.

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