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Riskantes Spiel mit Mutter Natur

Es muss ein entsetzlicher Anblick gewesen sein, als der Cuyahoga-River in Cleveland (USA) wieder einmal in Flammen stand. Der Fluss wurde seit dem 19. Jahrhundert so stark durch Öl und Industrieabfälle verschmutzt, dass sich auf seiner Oberfläche immer wieder eine brennbare Schicht bildete. Doch erst der Brand von 1969, über den das Nachrichtenmagazin "Time" berichtete, schreckte die Öffentlichkeit auf – vermutlich auch deshalb, weil sich die Region damals bereits im industriellen Niedergang befand. In den Jahrzehnten zuvor, als die Industrie noch florierte, konnten die wiederkehrenden Feuer nicht ins öffentliche Bewusstsein dringen, schreiben Verena Winiwarter und Hans-Rudolf Bork – denn die Wahrnehmung der Öffentlichkeit sei stets interessengelenkt. Winiwarter ist Professorin für Umweltgeschichte und leitet das Zentrum für Umweltgeschichte der Universität Klagenfurt; Bork arbeitet als Professor für Ökosystemforschung an der Universität Kiel.

Reaktorunfälle, Havarien von Bohrinseln und Tankern, der weltweite Rückgang der biologischen Artenvielfalt und natürlich die Veränderung des Klimas zeigen: Heute sind die ökologischen Risiken nicht kleiner geworden. Ein Teil des Problems liegt darin, dass die Weltbevölkerung inzwischen auf etwa 7 Milliarden Menschen angewachsen ist – so viele wie nie zuvor. Winiwarter und Bork durchleuchten diese Entwicklung und hinterfragen, welche Gefahren sie birgt. Anhand von 60 Beispielen aus der Geschichte berichten sie von den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur und zeigen, wann und wo ökologische "Risikospiralen" drohen. So bezeichnen die Autoren es, wenn zunächst erfolgreiche menschliche Eingriffe in die Natur – die etwa vor den Gefahren von Naturgewalten schützen – unerwartete Nebenwirkungen zeitigen, die weitere Eingriffe notwendig machen.

Wenn Deiche die Flut verschlimmern

Als Beispiel führen die Autoren das Leben an der Nordseeküste an, wo die Sturmfluten den Bewohnern umfangreiche Schutzmaßnahmen abverlangen. Durch Errichten von Deichen gelang es zwar, das Meer zu bändigen – allerdings um den Preis, dass Pufferflächen verschwanden, die das Meerwasser einst überschwemmen konnte, wodurch die Fluten in Flussmündungen nun stärker ausfallen als zuvor. Auch führten Versuche, dem Meer durch Trockenlegungen Siedlungsraum abzugewinnen, oft zum Absinken des Lands und zur Gefahr schwerer Überschwemmungen.

Ein drastisches Beispiel dafür, wie verheerend sich das Einschleppen nicht-heimischer Arten auswirken kann, bietet Australien. Europäische Siedler setzten hier im 19. Jahrhundert Kaninchen aus, um sie zu jagen. Mangels natürlicher Feinde vermehrten sich die Tiere so stark, dass selbst der Abschuss von jährlich mehreren Millionen die Population nicht mehr ernsthaft dezimieren konnte. Füchse, die ebenfalls für die Jagd ausgesetzt wurden, fressen Kaninchen zwar, stellen aber auch für heimische Arten eine Gefahr dar. Zur Plage wurde weiterhin die giftige Aga-Kröte, die man einst auf dem Kontinent ansiedelte, um den Zuckerrohrkäfer aus Puerto Rico zu bekämpfen.

Ertragssteigerung führt zu Ertragsvernichtung

Indien wiederum gibt ein Exempel für die ökologischen Probleme des Kolonialismus ab. Hier verschärften die Briten im 19. Jahrhundert die Besteuerung der Bauern. Daraufhin drohte diesen die Verschuldung, weshalb sie nur noch Pflanzen anbauten, die höchste Erträge versprachen. Auch suchten sie die Anbaufläche zu vergrößern, indem sie Waldflächen rodeten, was den Nährstoff- und Wasserhaushalt der Böden negativ beeinflusste. Der Grundwasserspiegel sank und die einstmals fruchtbare Landschaft verödete.

Die Autoren gehen auf zahlreiche weitere Beispiele ein, etwa das Schrumpfen des Aralsees durch unbedachte Wasserentnahme aus den Flüssen Amudarja und Syrdarja, oder den flächendeckenden Herbizid-Einsatz im Vietnamkrieg und seine ökologischen Folgen. Ihr Buch präsentiert sich überzeugend, kompakt und allgemeinverständlich. Mehr als 200 Abbildungen, Grafiken und Karten veranschaulichen den Text, Infokästen vermitteln Detailwissen. Als nützliche Hilfen erweisen sich das ausführliche Inhaltsverzeichnis, das umfangreiche Register sowie die Weltkarten, auf denen die im Buch behandelten Regionen gekennzeichnet sind.

Es bleibt die Frage, wie die aus der Geschichte gewonnenen Erfahrungen dazu dienen können, ökologische Katastrophen künftig zu vermeiden. Winiwarter und Bork leiten daraus eine Umweltethik ab, der zufolge natürliche Ökosysteme als höchst fragil gelten müssen. Durch entsprechend behutsame menschliche Eingriffe, so die Autoren, ließe sich die Gefahr von Risikospiralen mindern. Keinesfalls sollte das Wissen um ökologische, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Zusammenhänge nur auf so genanntem "Expertenwissen" basieren. Denn dieses werde durch Auftraggeber und Eigeninteressen gelenkt oder sei – bei Wissenschaftlern – sehr speziell. Die Autoren plädieren für die Berücksichtigung möglichst aller Wissensaspekte zu einem Thema, also das Einbeziehen einer möglichst großen Zahl von Personen, die Wissen und Erfahrungen zu einem Problem beisteuern können. Das schließt etwa indigene Bevölkerungsgruppen ein. Auch sprechen sich Winiwarter und Bork dafür aus, einen "Rat für nachhaltige Entwicklung" zu schaffen, vergleichbar dem UN-Sicherheitsrat.

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