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Schmelztiegel der Kulturen

Unter allen Ländern rund ums Mittelmeer weist die Iberische Halbinsel eine nahezu beispiellose kulturelle Vielfalt auf: Phönizier, Griechen, Karthager, Kelten, Römer, Westgoten und Araber haben dort – mehr oder weniger nachhaltig – über Jahrtausende hinweg ihre Spuren hinterlassen. Wie sich diese Einflüsse auf die einheimische Bevölkerung ausgewirkt haben, erzählt das kenntnisreich und spannend geschriebene Buch des Altertumsforschers Michael Koch. Der Autor, der seit 40 Jahren fleißig über alle Aspekte des antiken Spanien publiziert, spannt auf 176 Seiten einen Bogen von der Kupferzeit im späten 4. Jahrtausend v. Chr. bis zur arabischen Eroberung von "al-Andalus", dem maurischen Begriff für Spanien, im Jahr 711.

Koch begreift die Geschichte Hispaniens als historisches Wechselspiel zwischen Anpassung und Widerstand, das "in allen Regionen und zu allen Zeiten einmal mehr und einmal weniger auffällig wird". Besonders markant tritt dies während der Zeit der römischen Herrschaft (197 v. Chr.–490 n. Chr.) hervor. Die Römer brauchten einen langen Atem, um ihre Interessen auf der Halbinsel durchzusetzen, zumal der bereits vom römischen Schriftsteller Plinius beobachtete "kämpferische Geist" der Iberer (laut Koch ein beständiger Wesenszug der dortigen Bevölkerung) immer wieder aufflammte. So bot Viriatus, ein charismatischer Anführer des keltiberischen Stammes der Lusitanier, 10 Jahre lang der Weltmacht Rom die Stirn, indem er sie in eine blutige Guerilla verwickelte.

Aus der spanischen Sonne in den römischen Senat

Das Imperium benötigte rund 200 Jahre, um die Halbinsel zu befrieden. Was das Schwert dabei nicht vermocht hatte, besorgte die anschließende Pax Augusta, "der Augusteische Friede". Unter römischer Ägide entwickelte sich Spanien zur wirtschaftlich erfolgreichen Musterprovinz. Vor allem das Gebiet Baetica, das heutige Andalusien, avancierte zu einer der reichsweit führenden Regionen der Olivenölproduktion. Doch Roms Cäsaren schufen nicht nur blühende Landschaften, sondern auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Integration der Iberer, die sich im sozialen Aufstieg provinzialer Eliten in die Reichsaristokratie widerspiegelte. Schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert saßen zahlreiche Spanier im römischen Senat, und es ist kein Zufall, dass der erste römische Kaiser, der statt in Italien in der Provinz geboren worden war (Trajan nämlich), von der Halbinsel kam.

Allerdings gab es auch Verlierer des Aufschwungs, etwa die Bagauden (keltisch: "die Streitbaren"). Sie waren aufständische Bauern, die im 4. Jahrhundert erfolglos gegen Forderungen des römischen Fiskus und der Großgrundbesitzer rebellierten. Und der spätantike fanatische Glaubenseiferer Priscillian scheiterte mit seiner asketischen Lehre, mit der er gegen die Amtskirche aufbegehrte. Nach Ansicht des Autors trug er zur "Radikalisierung des Katholizismus" in Spanien bei.

Die Reconquista vor der Reconquista

Als die Römer im 5. Jahrhundert mit ihrem Latein am Ende waren und ihr kollabierendes Imperium ein Vakuum hinterließ, errichtete der Westgote Geiserich um 430 ein florierendes Königreich auf spanischem Boden, das mehr als 100 Jahre Bestand hatte. Nach dem kurzen Intermezzo einer "römischen Reconquista", die General Belisar im Jahr 534 auf die Halbinsel führte, hissten 711 die Krieger Allahs das Banner des Propheten auf spanischem Boden und etablierten mit al-Andalus den ersten muslimischen Vorposten im christlichen Abendland.

Kochs Buch erzählt eine Geschichte von Rebellion gegen staatliche Obrigkeit und Fremdherrschaft. Es erzählt aber auch von der wechselseitigen Beeinflussung verschiedener Kulturen. Der Band bietet eine schier erdrückende Fülle an Material und Quellen unterschiedlichsten Alters. Allerdings macht er es den Lesern damit nicht leicht, den Überblick zu behalten. Für interessierte Laien dürfte die Lektüre recht anstrengend sein.

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